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anhaltenden ›Kolonialisierung‹ der Bildung zu sein. So sind beispielsweise jüngste Bestrebungen, öffentliche Bildung nicht mehr zu fördern oder sogar zu privatisieren, und die Arten rechtlicher Intervention des Sozialstaats, die in der Theorie des kommunikativen Handelns krititisiert werden, einander kaum ähnlich, geschweige denn eng verbunden.15

      Wenn ich mich nicht täusche, liegt es an mehr als bloßer Flüchtigkeit des Autors, dass die Theorie des kommunikativen Handelns so erstaunlich wenig zu solch relativ konventionellen Formen kapitalistischer Pathologie zu sagen hat. Die Ursprünge dieser aufschlussreichen Leerstelle sind das Thema des nächsten Abschnitts.

      III.

      Die Neigung der Theorie des kommunikativen Handelns, Kapitalismuskritik als Kritik der Verrechtlichung neu zu formulieren, basierte auf einer Reihe von Grundlagen. Diese jedoch sind kritikanfälliger als es auf den ersten Blick scheint.

      Habermas’ kritische Haltung zum Verwaltungs- und Sozialrecht beruht zu wesentlichen Teilen auf der zugrundeliegenden sozialtheoretischen These zum Verhältnis zwischen Verwaltungs- und kapitalistisch-wirtschaftlichem ›System‹. Im Gegensatz zum Marxismus, dessen Ökonomismus Habermas kritisiert, scheint die Theorie des kommunikativen Handelns beide Systeme als gleichursprünglich zu betrachten, was – vereinfacht ausgedrückt – besagt, dass jede brauchbare kritische Analyse unserer heutigen Gesellschaft den relativ autonomen Imperativen sowohl des Wirtschafts- als auch des Verwaltungssystems (ebenso wie Querverbindungen zwischen diesen beiden) gerecht werden müsse. Diese konstituierten, wie erwähnt, den »monetär-administrativen Komplex«, der sich zunehmend »gegenüber der kommunikativ strukturierten Lebenswelt […] verselbstständigt.«16 Entgegen den Versuchen der orthodoxen Linken, Kolonialisierung und Verdinglichung ausschließlich den ökonomischen Dynamiken des Kapitalismus anzurechnen, macht sich Habermas eine erkennbar Weber’sche Überarbeitung des Marxismus zu eigen. Dieser zufolge seien, wie angesprochen, Kolonialisierung und Verdinglichung in öffentlichen Institutionen ebenso wahrscheinlich wie in privaten, und selbst der Niedergang des Kapitalismus – wie durch den Staatssozialismus bezeugt – würde nicht ihr Ende bedeuten (II, 503). Tatsächlich scheint die abschließende Erörterung in der Theorie des kommunikativen Handelns zu suggerieren, dass ihre primäre Manifestation unter heutigen Bedingungen öffentlich sein würde: Verrechtlichung beträfe »die Beziehung von Klienten zu den Verwaltungen des Sozialstaates« (II, 476).

      Habermas beharrt, wie Weber, sicher zu Recht darauf, dass jede plausible Interpretation moderner Gesellschaften die relativ unabhängige Dynamik der Staatsverwaltung gebührend berücksichtigen muss. Auch seine Kritik an der einseitigen und unvollständigen Darstellung moderner Gesellschaften im traditionellen Marxismus ist gerechtfertigt. Habermas’ Neigung, seine eigene Interpretation hier und da als die einzig vernünftige theoretische Alternative zum orthodoxen Marxismus darzustellen, verdeckt jedoch leider Teile der hier auftretenden analytischen Komplexität. Hierbei ist besonders hervorzuheben, dass seine vertretbare sozialtheoretische Korrektur des Marxismus die womöglich unzulängliche Sozialdiagnose (d. h. die mängelbehaftete Kritik der Verrechtlichung) der Theorie des kommunikativen Handelns nicht ausreichend begründen kann. So ist es beispielsweise durchaus möglich, die Errungenschaften der weberschen Marxismusüberarbeitung zu akzeptieren, ohne deshalb auch die These übernehmen zu müssen, dass die Sozialpathologien der Gegenwart sich hauptsächlich auf der Ebene des Verwaltungs- und Sozialrechts, d. h. als Pathologien der Verrechtlichung, manifestieren. Sicher würde jeder ›gute‹ Weber-Marxist seine Augen für derartige Pathologien offenhalten. Abhängig von der empirischen Beweislage könnte er oder sie jedoch festhalten, dass eine der bedeutendsten Formen, in denen sich Kolonialisierung heutzutage manifestiert, mehr oder weniger unmittelbar ökonomisch ist und bleibt. Unser Weber-Marxist könnte zu dem Schluss kommen, dass unmittelbare Vermarktlichung und/oder Kommodifizierung der Lebenswelt auf Wegen, die nur indirekt mit dem Aufsichts- und Sozialrecht verbunden sind, den geeigneteren Ausgangspunkt für ein besseres Verständnis der Missstände unserer heutigen Gesellschaft bieten.

      Meinem Verständnis nach bemüht sich Habermas, eben diesen Weg zu vermeiden; zumindest zeigt er sich in der Theorie des kommunikativen Handelns überraschend zurückhaltend beim Thema der unmittelbaren Vermarktlichung und Kommodifizierung der Lebenswelt, trotz der enorm wichtigen Rolle, die jene im modernen Kapitalismus einnehmen.17 Ebenso wenig äußert er sich hier zu den unzähligen weiteren, durch den Kapitalismus hervorgerufenen Pathologien (z. B. seine Tendenz, gewaltige materielle Ungleichheit zu provozieren und zeitliche ›Effizienz‹ systematisch zu privilegieren). Die Theorie des kommunikativen Handelns könnte, rein logisch, die zunehmende Kommodifizierung der privaten Sphäre des gesellschaftlichen Lebens als Beleg für Habermas’ Theorie anführen.18 Doch bleibt dies größtenteils aus. Sicher, die ›Monetarisierung‹ stellt einen wichtigen Teil der Verrechtlichungskritik dar; hauptsächlich jedoch betrachtet die Theorie des kommunikativen Handelns Monetarisierung und Kommodifizierung als Facetten des Verwaltungs- oder Sozialrechts (z. B. die monetären Entschädigungen für Arbeitslose und Rentner), und nicht als direkte oder unmittelbare Ausläufer des kapitalistischen Wirtschaftssystems (z. B. die Privatisierung staatlicher Daseinsvorsorge oder die Unterordnung der Familie unter den Rhythmus und die Anforderungen von Arbeitswelt und Konsumismus). Auch wenn die Monetarisierung in letzter Instanz mit den kolonialisierenden Imperativen des Subsystems Wirtschaft verbunden bleibt, so erfolgt sie in dieser Interpretation doch hauptsächlich auf der Ebene des Verwaltungs- und Sozialstaats. Kurz: Die Bedeutung des Kapitalismus für die Missstände der heutigen Gesellschaft erscheint indirekt, oder zumindest hochgradig vermittelt. Aus eben diesem Grund soll Verrechtlichung (d. h. die juristischen Pathologien des administrativ-monetären Komplexes) den angeblichen »Modellfall für eine Kolonialisierung der Lebenswelt« (II, 476) darstellen.19 Tatsächlich scheint Habermas an gewissen Stellen anzudeuten, dass eben diese Umorientierung das Erklärungspotential seiner Theorie von der konventiellen – und unbefriedigenden – Sozialdiagnose unterscheidet, die dem orthodoxen Marxismus entwuchs.

      Ungeachtet der Vorteile dieser Herangehensweise gibt diese Neuorientierung Grund zur Sorge. Auch wenn Verwaltungs- und Aufsichtsrecht heutzutage in vielerlei Weise mit ökonomischem Handeln verwoben sind und es dadurch zunehmend schwieriger wird, Pathologien des Kapitalismus deutlich von solchen in Verwaltung und Recht abzugrenzen, so lässt sich dennoch eine Vielzahl empirischer und analytischer Gründe finden, diese Überlappung nicht übermäßig aufzubauschen. Am offensichtlichsten ist dieser: Kritische Theorie wäre gut beraten, die weiter aktuell bleibende Bedeutung kapitalistischer Pathologien, die nur indirekt mit der im letzten Teil der Theorie des kommunikativen Handelns thematisierten Verrechtlichung verwandt sind, nicht zu unterschätzen. Spätestens seit Ende des keynesianischen Klassenkompromisses der Nachkriegszeit und dem Wiederaufleben der politischen Rechten in den späten 1970ern sind die Einwohner selbst der privilegiertesten kapitalistischen Gesellschaften einer nahezu demiurgischen Kapazität des modernen Kapitalismus ausgesetzt, die gesellschaftliches Leben in massiver Weise formt (und deformiert). Natürlich wurden wesentliche Teile dieser Entwicklung auf juristischem Wege umgesetzt. Manche jedoch scheinen nur entfernt mit den Pathologien der Rechtsentwicklung verwandt, wie sie auf den letzten Seiten der Theorie des kommunikativen Handelns beschrieben sind. Und selbst diese basieren im Wesentlichen auf wirtschaftlichen oder materiellen Veränderungen: die Weltwirtschaft wurde in den 1970ern von einer ›Akkumulationskrise‹ getroffen, die eine massive Reorganisation der Nachkriegswirtschaft zur Folge hatte.20 Obgleich es sich um neue Entwicklungen handelt, erinnern doch viele von ihnen an althergebrachte Formen kapitalistischer Ungerechtigkeit: Schule, Familie und unzählige weitere gesellschaftliche Bereiche werden im Eiltempo mit den Systemdynamiken des aufkommenden – und nach wie vor stark umstrittenen –›post-fordistischen‹ Kapitalismus in Einklang gebracht. Selbst das sogenannte ›Verwaltungs‹-System wird outsourced oder zumindest umgebaut – im Einklang mit den Organisationsmodellen des modernen Kapitalismus, deren angebliche Flexibilität und Effizienz inzwischen weithin gerühmt werden.21 Entgegen Habermas’ Erwartungen in der Theorie des kommunikativen Handelns haben auch jüngere soziale Protestbewegungen einen unmittelbar klassenbasierten Charakter angenommen: Denken wir z. B. an die sogenannte Antiglobalisierungsbewegung, an aktuelle Proteste gegen Neoliberalismus und Austeritätsmaßnahmen in Europa und anderswo, oder an den ökonomischen Populismus

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