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Von dort richtet sich in Kapitel 10 der Blick zurück auf die Anfänge, Jesus von Nazareth, um das Verhältnis seiner Lehre, seiner Taten und seiner Hoffnungen zu dem, was nach ihm kam, zu klären.

       Irenäus von Lyon und Tertullian von Karthago, die wichtigsten Ketzerbestreiter der christlichen Frühzeit

       I. Irenäus 1

      Irenäus stammt aus Kleinasien; hier erblickte er vor 142 n. Chr. das Licht der Welt. In seiner Jugend war er Hörer des Bischofs Polykarp von Smyrna (Izmir). Später wurde er Presbyter in Lugdunum (Lyon), überbrachte im Jahr 177 n. Chr. ein den Montanismus betreffendes Schreiben seiner Gemeinde nach Rom und folgte nach 178 n. Chr. Pothinus als Bischof von Lyon nach. Zwei seiner Schriften sind in Übersetzung erhalten, das Anfang des letzten Jh.s entdeckte Alterswerk »Aufweis der apostolischen Verkündigung«2 (in armenischer Sprache) und eine aus dem Ende des 4. Jh.s stammende lateinische Version seines fünfbändigen Ketzerwerkes »Entlarvung und Widerlegung der fälschlich so genannten Gnosis«. (= Haer)3, dessen griechisches Original sich an zahlreichen Stellen wiedergewinnen lässt4, da spätere Ketzerbestreiter wie Hippolyt von Rom5, Epiphanius von Salamis6 und Theodoret von Kyros7 ebenso wie der Kirchenhistoriker Euseb von Cäsarea8 daraus umfangreiche wörtliche Zitate mitteilen.

      Zur Anlage von Irenäus’ Werk »Gegen die Häresien«

      Das erste Buch will die Lehren der Ketzer ans Licht ziehen und enthält viel wertvolles Traditionsmaterial. Im zweiten Buch setzt sich Irenäus zum Ziel, »in langen Hauptstücken ihre ganze Lehre zu widerlegen«. (Vorrede 2) und handelt beispielsweise von Gott, dem Schöpfer (II 1 – 13), unter gleichzeitiger Abweisung anderslautender gnostischer Lehren. Das dritte Buch setzt neu zur Widerlegung der Ketzer auf der Grundlage der überlieferten Schriften der Kirche ein und bespricht zunächst die vier Evangelien (III 1) und die Lehre der Apostel (III 12 ff), wobei dazwischen immer wieder thematische Exkurse eingeschoben werden (z. B. III 8 über Mt 6,24; III 10: Lk und Mk über den Gott des Alten Testaments). Das vierte Buch wendet sich den Reden Jesu zu und das fünfte hauptsächlich den Briefen des Paulus mit einem Ausblick auf die neue Erde bzw. das Ende der Welt (V 28 – 36). In den Vorreden zu den fünf Büchern und in einzelnen Überleitungen und Rückblicken verknüpft Irenäus seine Aussagen miteinander. Doch bleibt das Ganze relativ unübersichtlich. Man gewinnt den Eindruck, dass der Bischof sehr viel vorgeformtes Material übernommen hat, z. B. auch atl. Auslegungen seitens seiner Vorgänger.

      Das Interesse des Irenäus

      Irenäus’ Theologie ist die eines Kirchenmannes. Er führt seinen antiketzerischen Kampf einerseits zur Verteidigung des Schöpfergottes und andererseits zum Schutz der einfachen Kirchenchristen. Einige Proben, in denen der Bischof selbst spricht, mögen das verdeutlichen.

      »Es gibt Leute, die geben die Wahrheit aus der Hand und bringen falsche Lehren auf und ›endlose Genealogien, die nur Streitfragen mit sich bringen‹, wie der Apostel sagt, ›statt der Erbauung Gottes zu dienen, die sich im Glauben verwirklicht‹ (1Tim 1,4). Mit listig eingeübter Überredungskunst verführen sie die Ahnungslosen in ihren Vorstellungen und fangen sie ein, indem sie leichtfertig mit dem Herrenwort umgehen und das, was richtig gesagt ist, falsch ausdeuten. Viele stürzen sie dadurch ins Verderben, dass sie sie unter Vortäuschung besonderer Erkenntnis vom Schöpfer und Ordner des Alls abbringen, als ob sie ein höheres und größeres Wesen vorzeigen könnten als den Gott, der Himmel und Erde und alles darin gemacht hat (Ex 20,11; Ps 146,6: LXX 145,6; Apg 4,24; 14,15). Auf gewinnende Art bringen sie die Arglosen durch trickreiche Reden dazu, sich auf die Suche zu machen; auf gar nicht gewinnende Art aber richten sie sie zugrunde, indem sie ihr Denken zu Blasphemie und Frevel gegen den Weltschöpfer machen, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, Falsch und Wahr voneinander zu unterscheiden.«. (Haer I, Vorrede 1)9

      »Denn solcherart ist bloß das Geschäft von Lügnern, Verführern und Heuchlern, wie es die Valentinianer sind. An die Menge nämlich richten sie mit Rücksicht auf die, welche von der Kirche kommen, und die sie auch gemeine Ekklesiastiker nennen, Vorträge, um die Einfältigeren einzufangen und anzulocken, indem sie immer aufs neue unseren Vortrag nachahmen, und beklagen sich dann über uns, dass wir uns ohne Grund von ihrer Gemeinschaft zurückhielten, da sie doch Ähnliches lehrten wie wir, und dass wir sie Häretiker nennen, obwohl sie dasselbe lehrten und dieselbe Lehre hätten«. (Haer III 15,2).10

      Irenäus sieht also die ihm als bischöflichem Hirten anvertraute Herde durch ketzerische Agitation in seiner eigenen Gemeinde bedroht und besteht auf rigoroser Trennung, weil die Ketzer trotz gegenteiliger Beteuerung etwas ganz anderes als die Kirche lehrten.

      Die folgende Polemik gegen Markus, einem gnostisch-christlichen Lehrer aus der Mitte des 2. Jh.s, belegt anschaulich, wie der Kontakt zwischen »Ketzern« und »Gläubigen« zustande kam. Irenäus berichtet:

      »Einer unserer Diakone in Asien hat ihn (sc. Markus) in sein Haus aufgenommen und erlebte folgendes Unglück. Seine Frau, die sehr schön war, wurde von diesem Magier an Geist und Leib verdorben und ist ihm lange Zeit nachgelaufen. Schließlich konnten die Brüder sie unter großer Mühe bekehren. Sie tat dann die ganze Zeit Buße und klagte und weinte über die Schande, die ihr der Magier angetan hatte«. (Haer I 13,5).

      Diese Polemik mit ihren sexuellen Untertönen ist ebenso typisch wie ungerecht, beleuchtet aber gleichzeitig das Wirkungsfeld des von Irenäus angegriffenen Ketzerhauptes Markus.11

      An der soeben zitierten Stelle setzt Irenäus seine Polemik fort, indem er wiederum die fast automatische Durchschlagskraft einer sexuellen Anklage nutzt:

      »Auch einige seiner Schüler ziehen wie er durch die Gegend und haben schon viele Frauenzimmer betrogen und verdorben. Sie ernennen sich selbst zu Vollkommenen, als ob niemand sie an Größe der Erkenntnis erreichen könnte, wen du auch nennst. Kein Paulus, kein Petrus, kein anderer Apostel. Sie wollen mehr als alle wissen und haben die Größe der Erkenntnis der unsagbaren Kraft getrunken. Sie sind in der Höhe noch über aller Kraft. Deswegen haben sie auch die Freiheit, alles zu tun, ohne irgendwelche Angst wegen irgendetwas haben zu müssen … Mit solchen Reden und Praktiken haben sie auch hierzulande bei uns im Rhonegebiet viele Frauen getäuscht. Mit verbranntem Gewissen (vgl. 1Tim 4,2) tun die einen öffentlich Buße, die anderen genieren sich deshalb, ziehen sich still zurück und haben die Hoffnung auf das Leben bei Gott (vgl. Eph 4,18) aufgegeben, wobei manche nun ganz abgefallen sind, andere aber noch schwanken und erlebt haben, was das Sprichwort sagt, dass sie nämlich weder draußen noch drinnen sind.«. (Haer I 13,6 f.)

      Als die Angegriffenen das und andere Ausführungen zu liturgischen Riten und Formeln der Erlösung (vgl. Haer I 21) lasen, haben sie heftig protestiert, wie Hippolyt ca. 20 Jahre später berichtet12:

      »Der selige Presbyter Irenäus hat sich mit großem Freimut an ihre Widerlegung gemacht und hat diese Waschungen und Erlösungen (sc. ihres Lehrers Markus, wie z. B. die pneumatische Hochzeit und die Salbung der Sterbenden mit Olivenöl) auseinandergesetzt, indem er ihr Tun ausführlich schilderte. Da nun einige von ihnen das lasen, leugneten sie, derartige Lehren überkommen zu haben. Sie werden ja immer angeleitet zu leugnen.«. (Ref VI 42)13

      Wesentlich ist die Erkenntnis, dass Irenäus und seine Nachfolger Polemiker größten Stils sind und ihre Gegner ungerecht behandeln. Irenäus’ Werk ist das typische »Beispiel einer unübersichtlichen und ermüdenden Ketzerbestreitung, die aus Mangel an geistiger Überlegenheit nach jedem Argument greift, mit dem sich die Gegner verunglimpfen, verdächtigen und karikieren lassen.«14

      Für Irenäus ist »die fälschlich so genannte Gnosis« ein Sammelname einer Reihe untereinander geradezu entgegengesetzter Gruppen.15 So schreibt er in der Vorrede zu Haer II: In Buch I habe er zunächst die Erfindungen der Valentinianer (und hier besonders der Ptolemäer) als Lügenrede erwiesen. Die anderen Ketzer seien praktisch deren Vorfahren, und alle gingen auf Simon, den Magier, zurück. Indem Irenäus die Valentinianer angreift, meint er, zugleich die anderen zu treffen. Man vgl. ferner Haer II 31,1: »Nachdem also die Valentinianer widerlegt worden sind, ist auch die gesamte Menge der Ketzer zu Fall gebracht.«

      In seinem ersten Buch hatte er offenbar ein älteres antiketzerisches Werk verarbeitet,

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