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und weiden? Mein ist das Besitztum, ich besitze es von jeher, ich habe es zuerst besessen, ich habe sichere Übertragungstitel von den ersten Eigentümern selbst, denen die Sache gehört hat. Ich bin Erbe der Apostel«. (Praescr 37).

      Den heutigen Leser beschleicht bei solchen Sätzen das Gefühl, dass jemand um jeden Preis Recht behalten will, wobei der Zweck die Mittel heiligt und Sachlichkeit nicht angestrebt wird. Hier redet der juristisch geschulte Christ Tertullian, der den Prozess zu gewinnen strebt, dem aber die Wahrheit irgendwie abhanden gekommen ist, weil er sie fest zu besitzen meint. Ein Suchen nach der Wahrheit kommt für ihn nicht mehr in Frage, und jene Sucherreligiosität25 der Ketzer, die sich z. B. auf Jesu Wort Mt 7,7/​Lk 11,9 (»Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan«) stützten, war ihm ein Gräuel. Er schreibt:

      »Ich möchte es ein für allemal gesagt haben: Niemand sucht, als wer etwas nicht hat oder es verloren hat. Jene Alte (sc. im Evangelium) hatte eine von ihren zehn Drachmen verloren (Lk 15,8 f); deshalb suchte sie; sobald sie sie aber gefunden hatte, hörte sie auf zu suchen. Der Nachbar hatte kein Brot (Lk 11,5 – 8); deshalb pochte er; sobald ihm aber aufgemacht und es ihm gegeben war, hörte er auf zu pochen. Die Witwe begehrte vom Richter, angehört zu werden (Lk 18,1 – 8), weil sie keinen Zutritt erhalten hatte; sobald sie aber Gehör erlangt hatte, drang sie nicht länger in ihn. Folglich gibt es ein Ende für das Suchen, Klopfen und Bitten«. (Praescr 11).

      »Seit Jesus Christus bedürfen wir des Forschens nicht mehr, auch nicht des Untersuchens, seitdem das Evangelium verkündet wurde. Wenn wir glauben, so wünschen wir über das Glauben hinaus weiter nichts mehr. Denn das ist das erste, was wir glauben: es gebe nichts mehr, was wir über den Glauben hinaus noch zu glauben haben«. (Praescr 7).

      Kein Wunder, dass Tertullian zufolge beim Streit mit den Ketzern weiter nichts herauskommt, »als dass man sich den Magen verdirbt oder Kopfschmerzen bekommt«. (Praescr 16).

      Doch begnügte sich Tertullian nicht mit dem Argument der Prozesseinrede, sondern bemühte sich auch um eine hier nicht weiter darzustellende, äußerst genaue, umfängliche Widerlegung der Monarchianer, Markioniten und der geläufigen Spielarten der Gnosis.26

      Karl Holl hat Tertullians antiketzerische Arbeitsweise so beschrieben:

      »Für jede Meinung findet er einen Kontrast, um sie lächerlich zu machen. Er hat auch über dieses Mittel freimütig bekannt:›Wenn man da und dort lacht, so wird man damit nur der Sache hier gerecht werden. Manche Dinge sind es wert, auf diese Weise widerlegt zu werden, damit man ihnen nicht durch die ernsthafte Behandlung Verehrung zollt‹.«27

      Es ist daher kein Zufall, dass dieser Charakter, als er Montanist war und gegen die römische Kirche kämpfte, die einst von ihm so hoch gepriesenen kirchlichen Liebesfeiern (Apol 39,16 – 21) in den Schmutz zog.28 Und als der römische Bischof Kallist grundsätzlich das Recht des Bischofs festschrieb, Todsündern (d. h. Unzuchtsündern) Vergebung zu gewähren, löste das bei Tertullian scharfen Protest aus.29 Bei seinem Charakter nimmt es nicht wunder, dass Tertullian sich zuletzt sogar von den Montanisten getrennt und eine eigene Sekte gegründet hat.30

       III. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Irenäus und Tertullian

      Während Tertullian die Rechtsgrundlage der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Gnosis bestreitet, akzeptiert Irenäus die Gnostiker als Disputanten über die Schrift, da ihre Bekehrung nicht ausgeschlossen sei. Er schreibt z. B.: »Wir wollen … die Reden des Herrn anführen, ob wir nicht vielleicht durch Christi Lehre einige von ihnen überzeugen … können«. (Haer III 25,7). Irenäus will allein mit der Schrift siegreich sein; Tertullian lehnt das ausdrücklich ab. Bei ihm gibt eine »der Schrift und Exegese übergeordnete Instanz … den Ausschlag. Die Schrift bleibt folglich aus dem Disput, und eine Berufung der Gnostiker auf sie wird nicht zugestanden.«31 Er weigert sich also strikt, zum Zweck der Urteilsfindung mit den Ketzern zusammen auf den Text selbst zurückzugehen.

      Doch müssen bei beiden Kirchenvätern gleichfalls außertheologische Gesichtspunkte ins Spiel gebracht werden, die ihnen bei ihrer Polemik die Feder geführt haben mögen. Ohne sie würden wir das, was damals wirklich vorging, nicht verstehen.32

      Besonders verdächtig schien Tertullian die weitgehende »Demokratisierung« unter den gnostischen Christen. Er schreibt hierüber:

      »Ich will nicht unterlassen, auch von dem Wandel der Häretiker eine Schilderung zu entwerfen, wie locker, wie irdisch, wie niedrig menschlich (sic!) er sei, ohne Würde, ohne Autorität, ohne Kirchenzucht, so ganz ihrem Glauben entsprechend. Vorerst weiß man nicht, wer Katechumene, wer Gläubiger ist, sie treten miteinander ein, sie hören miteinander zu, sie beten miteinander – und der Heide auch mit, wenn er etwa dazukommt; sie werfen ihr Heiliges den Hunden und ihre, wenn auch unechten, Perlen den Säuen hin. Das Preisgeben der Kirchenzucht wollen sie für Einfachheit gehalten wissen, und unsere Sorge für dieselbe nennen sie Augendienerei. Was den Frieden angeht, so halten sie ihn auch unterschiedslos mit allen. Es ist in der Tat auch zwischen ihnen, obwohl sie abweichende Lehren haben, kein Unterschied, da sie sich zur gemeinschaftlichen Bekämpfung der einen Wahrheit verschworen haben. Alle sind aufgeblasen, alle versprechen die Erkenntnis. Die Katechumenen sind schon Vollendete, ehe sie noch Unterricht erhalten haben«. (Praescr 41).

      Ein besonderes Ärgernis stellten die ketzerischen Frauen dar. Über sie schreibt er im unmittelbaren Anschluss:

      »Und selbst die häretischen Frauen, wie frech und anmaßend sind sie! Sie unterstehen sich zu lehren, zu disputieren, Exorzismen vorzunehmen, Heilungen zu versprechen, vielleicht auch noch zu taufen«. (ebd.).

      Ein anderer Punkt, der seinen besonderen Widerstand erregte, war der laxe Umgang der Gnostiker mit Autorität und besonders dem Bischofsamt.33 Darüber schreibt er:

      »So ist denn heute der eine Bischof, morgen der andere; heute ist jemand Diakon und morgen Vorleser; heute einer Priester und morgen Laie; denn sie tragen die priesterlichen Verrichtungen auch Laien auf«. (Praescr 41).

      Eine solche Vorstellung war auch Irenäus unerträglich, der seit 178 n. Chr. Bischof der Gemeinde von Lyon und Vienne war. Sein striktes Festhalten daran, dass der Vater Jesu Christi und der Schöpfer der Welt identisch seien, mag auch politisch mitbedingt gewesen sein. Die Vorstellung vom Ordnungsgefüge in der Gemeinde und vom Ordnungsgefüge im Himmel entsprachen einander. Wäre im Himmel Raum für einen unbekannten Gott gewesen, hätte das zugleich die Gefahr bedeutet, dass die Gemeinde ins Wanken geraten könnte. Und eine demokratische Kirche, wie sie bei den Ketzern im Ansatz vorhanden war, widerstritt vollends der Vorstellung eines patriarchalischen Gottes.

      Und schließlich vertraten beide Ketzerbestreiter mit Nachdruck die Auferstehung des Fleisches, Irenäus sogar in ihrer chiliastischen Variante.34 Das begründeten sie in ausführlichen Exegesen von 1Kor 15 und relativierten dabei vergeblich 1Kor 15,50 (»Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben«)35, um den von ihnen bekämpften gnostischen Paulusschülern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hatte dieses unangenehme Pochen auf der fleischlichen Auferstehung Jesu und der Gläubigen sowie – nicht zu vergessen – der Ungläubigen (zum Verdammungsgericht)36 nicht auch eine politische Dimension? Wurde doch mit ihr eine klerikale Autorität erst geschaffen.

      Nun wäre es sicher verfehlt, theologische Grundsätze direkt auf politische Überzeugungen zurückzuführen. Die religiöse Wirklichkeit ist komplizierter, und die Annahme einer direkten Bedingtheit der Theologie durch die Gesellschaft ist zu simpel. Immerhin beleuchtet der Hinweis auf die Konsequenzen der Theologie für die Politik eine Dimension, um die es in dem Streit zwischen Tertullian und Irenäus auf der einen und den gnostischen Ketzern auf der anderen Seite auch ging.

      Gleichzeitig sieht man daran, dass und wie die entstehende katholische Kirche ein viel leichteres Auskommen mit dem Staat haben konnte (und umgekehrt) als die alles in Frage stellenden Ketzer, die in ihrer religiösen Suche und Neugierde eine stete Gefahr für das geschlossene System eines Irenäus und Tertullian darstellten.

       Wie aus Ketzerbestreitern Ketzer wurden oder: Die Jerusalemer Judenchristen in den ersten beiden Jahrhunderten

      

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