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sich zur Hilfswissenschaft herabgestuft. Denn solche verobjektivierende Theologie gerät früher oder später in den Bann des Supranaturalismus und überspringt damit nicht nur die Geschichtlichkeit antiker Menschen, von denen die biblischen Schriften verfasst wurden, sondern auch die Geschichtlichkeit heutiger Zeitgenossen, die das Wort von damals vernehmen. Für solche dogmatische Theologie ist das schillernde, funkelnde Leben, das zu erfassen sich die historische Betrachtung bemüht, dann nur noch farb- und bedeutungslos.

      Die zweite Abgrenzung betrifft eine Kerygmatheologie17, nach der Theologie im wesentlichen Schriftauslegung ist.18 Ihre Vertreter lehnen es ab, schwerpunktmäßig auf die Geschichte hinter den Texten zu sprechen zu kommen19, in der die ntl. Verkündigung wurzelt. Dies sei historisch vielleicht interessant, theologisch aber illegitim, da »alle den Text hinterfragende Rekonstruktion nur so lange ihr Daseinsrecht behält, als sie sich der den Text respektierenden Interpretation kompromißlos unterordnet.«20 Statt der Aufgabe einer historischen Rekonstruktion wollen sie sich bewusst der Anrede und dem Anspruch der ntl. Zeugen stellen und beziehen hieraus das Unterscheidungskriterium zwischen Theologie und Historie.21 Nicht zufällig hat diese Richtung auch keine eigentliche Geschichte des Urchristentums hervorgebracht.22

      Die dritte Abgrenzung richtet sich gegen eine Forschungsrichtung, die historisch-kritische Arbeit mit einer heilsgeschichtlichen Sicht verbinden will. So setzt z. B. Leonhard Goppelt23 voraus, dass allein die »heilsgeschichtliche« Schau das Verhältnis von Christentum und Judentum zutreffend in den Blick bekommen könne. Aber so historisch Goppelts Werk auch angelegt und so lehrreich »die Entwicklung des Verhältnisses von Christentum und Judentum bis zum Werden der katholischen Kirche am Ende des 2. Jh.s«. (S. 15) gezeichnet ist – sein Vf. postuliert eine heilsgeschichtliche Kontinuität, eine Erfüllung des alten Bundes in Christi Werk (S. 319) und damit eine bloße Ersatztheorie.

      Z. B. heißt es: »Tatsächlich ist die Ablehnung des Evangeliums durch Israel als Volksgemeinde die letzte entscheidende Wende seiner Geschichte und die … letzte Ursache der zweiten Tempelzerstörung«. (S. 311). Eine solche für alle Juden der Folgezeit niederschmetternde Sicht ist doch nur ein dogmatisch-triumphalistisches Postulat christlicher Theologie und keineswegs Ergebnis historischer Forschung, sosehr anzuerkennen bleibt, dass hier wenigstens anders als in der Kerygmatheologie die Erforschung der Geschichte der ersten beiden Jahrhunderte als Aufgabe erkannt und über die Grenze des Kanons hinausgegangen wurde.24

      Das Kanonprinzip25 führt im Übrigen ja trotz aller Differenzierungsversuche (z. B. »Kanon im Kanon«) praktisch dazu, den in ihm eingeschlossenen Schriften eine größere Würde zuzuschreiben (vgl. die Anzahl der zu den einzelnen kanonischen Schriften verfassten Kommentare im Vergleich zu denen über nichtkanonische Schriften) und die Geschichte zu einer Geschichte der Sieger zu machen. In dieser Hinsicht behält Gustav Krüger Recht:

      »Die Existenz einer neutestamentlichen Wissenschaft oder einer Wissenschaft vom Neuen Testament als einer besonderen theologisch-geschichtlichen Disziplin ist ein Haupthindernis erstens einer fruchtbaren, zu gesicherten und allgemein anerkannten Ergebnissen führenden Erforschung des Urchristentums, also auch des Neuen Testaments selbst, und zweitens eines gesunden theologisch-wissenschaftlichen Unterrichtsbetriebes.«26

      Denn es ist ein Gebot geschichtlicher Gerechtigkeit, zunächst alle uns aus der Anfangsphase des Christentums erhaltenen Schriften zu akzeptieren und nicht von vornherein geschichtliches Verstehen durch die dogmatische Setzung einer heiligen Schrift zu verhindern. Das ist aber heute leider der Fall, da die zeitgenössische theologische Literatur zum großen Teil parteilich, d. h. kirchlich bzw. klerikal ausgerichtet ist.27

      Diese Klerikalisierung wird erstens dadurch begünstigt, dass Althistoriker und Altphilologen sich hierzulande, von Ausnahmen abgesehen, im Allgemeinen nicht an der Exegese beteiligen, und zweitens dadurch, dass Nicht-Getauften der Zugang zur theologischen Universitätslaufbahn verschlossen ist. Man beachte zusätzlich, dass Menschen ohne Taufschein nicht die staatliche (!) theologische Diplomprüfung an den theologischen Fachbereichen ablegen dürfen und z. B. Juden nicht den theologischen Doktorgrad über ein ntl. Thema an einem theologischen Fachbereich erwerben können. Drittens wird vielfach vorausgesetzt, die Theologie sei eine kirchliche Wissenschaft.28 Diese weitverbreitete Auffassung hat die Forschung mehr behindert als gefördert.29

      Demgegenüber gilt ein Satz, der zunächst brutal klingt: »(E)ine Wissenschaft vom christlichen Glauben ist so wenig christlich, wie die Wissenschaft vom Verbrechen verbrecherisch ist.«30 Denn Theologie als Wissenschaft ist zunächst einmal unkirchlich31, indem sie nach der Wahrheit sucht.

      Im Übrigen bejaht protestantisches Christentum die radikale Wahrheitsforschung aus vollem Herzen, und »so viel weiss man bei allen kirchlichen Richtungen von evangelischem Christenthum, dass es da ein Ende hat, wo die Furcht vor der Wahrheit anfängt, zu herrschen.

      Eine Kirche, die sich um der Seligkeit willen gegen die Forschung nach der Wahrheit absperrt, gründet zwar tief in der menschlichen Natur, aber nicht in Jesus Christus. Sie ist überhaupt nicht christliche Kirche.«32

      Viertens zielen die meisten exegetischen Beiträge heutzutage künstlich auf den theologischen Sinn, den Skopus der ntl. Texte. Die Kanonfrage bleibt stillschweigend unerörtert, so als ob ihr Sinn auch ohne solide historische Grundlagen zu finden wäre. Sie setzen oft unbewusst voraus, die Vernunft sei durch die Offenbarung bzw. durch das Kerygma zu belehren und zu begrenzen. Das bedeutet dann »in der Praxis nichts anderes als Klerikalismus. Denn Vernunft gilt entweder ganz oder gar nicht.«33

      In diesem Zusammenhang wird oftmals betont, dass Exegese eine Sache des Gehorsams sei.34 Aber wenn schon Predigtsprache einfließt, dann würde ich eher Wolfgang Schenk darin folgen, dass Exegese »zuerst und vor allem Sache der Liebe (sc. ist), die jeden Menschen und jeden Text ausreden und das sagen läßt und zu verstehen sucht, was er selbst meint, ohne ihn damit zu überfahren.«35

      Es ist in der Tat so, dass viele Werke heutiger Exegese blutleer wirken und über der Ermittlung der Absicht des Textes, dem Vergleich der einzelnen Evangelien untereinander und einer säuberlichen Trennung von Redaktion und Tradition vergessen machen, dass die frühchristlichen Schriften einer Bewegung entstammen, die – vor Vitalität nur so strotzend – innerhalb von eineinhalb Jahrhunderten das ganze Römische Reich fast überrannt hat. Ein Anflug von Unwirklichkeit liegt so über den meisten Arbeiten zum Neuen Testament.36 Vielfach zieht man es vor, dunkle religiöse Abstraktionen zu gebrauchen, statt in den historischen Einzelheiten konkret zu werden.37 Man kann sich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, dass die herkömmlich angewandte Methode die Texte ihrer Kraft beraubt.

      Andererseits ist mit Gerhard Ebeling zu fragen, »ob nicht die weit verbreitete entsetzliche Lahmheit und Abgestandenheit der kirchlichen Verkündigung, ob nicht ihr Unvermögen, den Menschen der Gegenwart anzureden, ob nicht ebenso die Unglaubwürdigkeit der Kirche als solcher in hohem Maß damit zusammenhängt, dass man sich davor fürchtet, die Arbeit der historisch-kritischen Theologie in sachgemäßer Weise fruchtbar werden zu lassen.«38 Dabei braucht man die Bejahung der historisch-kritischen Methode gar nicht in einen inneren Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre zu bringen (so Ebeling), sondern wird sie als profanes, christliches Gebot der Wahrhaftigkeit bzw. der »Sittlichkeit des Denkens«. (Friedrich Albert Lange, 1828 – 1875) auffassen.

      Meine Arbeit setzt in ihrer Darstellung urchristlicher Geschichte absichtlich »unten« an, d. h., ich bemühe mich um eine Humanisierung der Geschichte des Urchristentums, damit heutige Zeitgenossen sich in ihr wiedererkennen. So hat bereits der erste Kanzler der Universität Göttingen, Johann Lorenz von Mosheim (1694 – 1755), von der Aufgabe der Kirchengeschichtsschreibung ähnlich gedacht.39

      Dieser »Vater der neueren Kirchengeschichtsschreibung« hält z. B. die Bekehrung der vielen Menschen vom Heidentum zum Christentum nicht für eine Folge der Wunder – wie damalige supranaturale Kirchengeschichtsschreibung weismachen wollte –, sondern für die Folge der Furcht vor Strafen und der Hoffnung auf ein glückliches Leben im Jenseits. Die so gehandhabte pragmatische Methode hat bei Mosheim eine ungeheure Vermenschlichung des kirchenhistorischen Prozesses zur Folge gehabt. Eine solche quasi anthropologische Kirchengeschichtsbetrachtung bedeutete auch für die Geschichte des Urchristentums eine kopernikanische Wende40, denn fortan war auch hier ein Rekurs auf

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