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Presbyterian Church in Nashville/​Tennessee und wurden später in Vorlesungen sowie Seminaren an der Vanderbilt Divinity School und in Göttingen weiter ausgearbeitet.

      Die z. T. heftigen Auseinandersetzungen in Kirche, Theologie und Öffentlichkeit um mein Buch »Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie«3 sind der Kontext, dem dieses Werk angehört. In der genannten Kontroverse wurde eine schwerwiegende Unwissenheit4 der Kritiker im geschichtlichen Bereich deutlich, gleichzeitig aber auch ein Auseinanderbrechen von Glaube und Wissenschaft. Aus Interesse an der historischen Wahrheit und am Christentum selbst schien es nötig, nach der Auferstehung einen weiteren Pfeiler von Kirche und Theologie, und zwar die Heilige Schrift und ihre Autorität, unter die Lupe zu nehmen.

      Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die bereits von Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) in seinem Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717 – 1786) entwickelte Einsicht, dass christlicher Glaube und christliche Kirche bereits bestanden, bevor es eine heilige Schrift des Neuen Testaments gab.5 Demnach ist »das Neue Testament … ein Werk der katholischen Kirche, und die Berufung auf neutestamentliche Schriften als an sich glaubensverbindlich … ein Dogma der katholischen Kirche. Daraus mag … jeder den Schluss ziehen, den er für gut und richtig hält.«6

      Demgegenüber kann man den Eindruck gewinnen, dass dies in Kirche und Theologie zwar bekannt, aber in seinen Konsequenzen nicht erfasst und der Öffentlichkeit verschwiegen worden ist.

      Es steht aber nun einmal fest: Die Heilige Schrift ist eindeutig Menschenwort (und nicht Gotteswort), von Menschen zu einer Zeit zusammengestellt, als das Christentum seine Anfänge bereits hinter sich gelassen hatte. Sie ist die Sammlung der siegreichen Partei, die die Dokumente der unterlegenen Gruppen aussortiert, unterdrückt und schließlich vernichtet hat.7

      Gerade unter diesem Gesichtspunkt sind die aufsehenerregenden Funde im oberägyptischen Nag Hammadi von 1945, welche über die jüngste Diskussion um die Schriftrollen vom Toten Meer8 in den Hintergrund getreten und seit 1977 vollständig in englischer Übersetzung zugänglich sind9, ein unentbehrliches Korrektiv, um bei gleichzeitiger Berücksichtigung der schon vorher vorhandenen Quellen eine unparteiliche Sicht der christlichen Anfänge zu gewinnen. Während die Forschung sich vor dem Nag-Hammadi-Fund fast ausschließlich damit begnügen musste, aus polemischen Traktaten der Kirchenväter die von ihnen bekämpften Lehren zu erschließen, hat sich die Lage nunmehr gründlich geändert. Die »Ketzer« sprechen für sich selbst, und wir erhalten Gelegenheit, ja, sind in die Pflicht genommen, unsere Vorstellungen von den christlichen Ursprüngen zu prüfen und zu korrigieren.10

      Fast möchte man in Anlehnung an Friedrich Nietzsche sagen, dass wir uns durch diese Funde in Bezug auf die Geschichte des Urchristentums wieder im Jugendzeitalter der Wissenschaft befinden und der Wahrheit wie einer schönen Fee, die uns geradezu verzaubert, nachgehen können. »(W)ie anders reizt dies an, als wenn alles Wesentliche gefunden ist und nur noch eine kümmerliche Herbstnachlese dem Forscher übrigbleibt (welche Empfindung man in einigen historischen Disziplinen kennenlernen kann).«11

      Ich habe das vorliegende Buch aber auch publiziert, um den Blick auf Jesus zu lenken, und zwar aus der Überzeugung heraus: Das Christentum aller Zeiten muss sich zu Jesus von Nazareth in eine Beziehung setzen können, wenn es glaubwürdig sein will. Dies gilt für die Anfänge der christlichen Religion, die an Jesus zu messen sind, ebenso wie für alle späteren Entwicklungen. Diese Berufung auf Jesus kann heute allerdings nicht ohne Folgen sein, sondern verlangt der theologischen Wissenschaft und der Kirche nach Jahrzehnten massiver Beeinflussung durch Kerygma- bzw. dialektische Theologie Veränderungen ab.12

      Im Folgenden geht es aber auch darum, eine andere, unbekannte Seite des Christentums nachzuzeichnen. Ich möchte neugierigen Christen ihr Eigenes als ein Fremdes zeigen, um so zum eigentlich Christlichen hinzulenken.

       Einleitung, Methode und Interesse1

      Die Geschichte des Urchristentums2 will den historischen Ablauf der ersten beiden christlichen Jahrhunderte darstellen. Sie behandelt die durch Jesu Auftreten eingeleitete erste Phase der Kirchengeschichte. Ihr Ende3 liegt dort, wo der Konsolidierungsprozess der frühchristlichen Gruppen abgeschlossen ist, dogmatische und ethische Normen über richtig und falsch, gut und böse sowie der Kanon entwickelt worden sind, mit der Entstehung des monarchischen Episkopats eine Machtstellung der frühchristlichen Gemeinden bzw. ihres Bischofs gegenüber Gegnern ausgebildet ist und sich Sanktionen wirklich durchsetzen lassen.4 Diese Abgrenzung lässt sich weiter historisch damit begründen, dass gegen Ende des 2. Jh.s ein Versiegen der mündlichen, mit Jesus genetisch zusammenhängenden Traditionen festzustellen ist und sich wissenschaftliche christliche Theologie – wenn sie mehr als bloße Rekonstruktion von Vergangenheit ist – durch Rückbezug auf Jesus ihrer Ursprünge vergewissern5 muss.6 Das trifft selbst angesichts des Befundes zu, dass nicht geringe Teile der frühchristlichen Literatur, wie z. B. die Briefe des Ignatius von Antiochien7, ohne Rückgang auf den historischen Jesus auskommen, denn dieser bleibt – geschichtlich gesehen – der entscheidende Auslöser der christlichen Bewegung.8

      In dieser Phase des frühen Christentums wurden die Weichen für das gestellt, was man später als christlich ansah. In ihr schälte sich das Christentum als eigene Erscheinung heraus. Für sie gilt, was Johann Salomo Semler (1725 – 1791) zuerst entdeckt9 und Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) weiter vertieft hat, dass es in dieser Zeit schon christlichen Glauben und eine christliche Kirche gegeben hat, bevor überhaupt ein Neues Testament existierte.10 Insofern behält die Geschichte des Urchristentums eine herausragende Bedeutung gegenüber den nachfolgenden Epochen. An ihr können grundlegende christliche Prinzipien erkannt werden, und nur in dieser Phase des Christentums finden sich Jesustraditionen, die nicht ausschließlich literarisch (etwa durch Evangelien) vermittelt sind. Diese Frühzeit des Christentums ist rein historisch zu erforschen – fast könnte man sagen, sie sei zunächst unsere Bibel –, ist doch das Schriftprinzip11 durch die Auflösung des Inspirationsdogmas für die wissenschaftliche Theologie ein für allemal zur vergangenen Größe geworden.

      Dies sei in enger Anlehnung Wolfhart Pannenbergs Aufsatz »Die Krise des Schriftprinzips« aus dem Jahr 1962 erläutert.12 Unter Berufung auf den exegetisch eindeutigen Wortsinn der Schrift habe Luther den Kampf gegen das päpstliche Lehramt aufgenommen, und zwar in der Überzeugung, seine eigenen exegetischen Ergebnisse seien identisch mit der »›Sache‹ der Schrift, wie sie in der Person und Geschichte Jesu Christi zusammengefaßt und in den Dogmen der Kirche entfaltet ist«. (S. 14). Diese Gewissheit lag seinem hermeneutischen Grundsatz von der Selbstevidenz oder Klarheit der Schrift zugrunde.13

      »Die Lehre von der Klarheit der Schrift führte notwendig zu der Forderung, daß jeder theologische Satz durch historisch-kritische Schriftauslegung zu begründen sei«. (S. 14 f). Gleichwohl habe die historisch-kritische Exegese die Grundlagenkrise heraufbeschworen, vor der wir heute ständen. War für Luther der Wortsinn der Schriften noch identisch mit ihrem historischen Gehalt, so sei hingegen für uns beides auseinandergerückt; »das Bild der verschiedenen neutestamentlichen Verfasser von Jesus und seiner Geschichte kann nicht mehr ohne weiteres als identisch mit dem tatsächlichen Hergang der Ereignisse gelten … Luther konnte noch seine eigene Lehre mit dem wörtlichen Inhalt der biblischen Schriften gleichsetzen. Für uns hingegen ist der historische Abstand jeder heute möglichen Theologie vom urchristlichen Zeitalter unübersehbar und zur Quelle der uns am meisten bewegenden theologischen Probleme geworden«. (S. 15).

      Anders gesagt: Die Kluft zwischen historischem Faktum und seiner Bedeutung, zwischen Historie und Verkündigung, zwischen Geschichte Jesu und dem vielfältigen Bild von seiner Geschichte im Neuen Testament14 macht es unmöglich, die Inspiriertheit der ntl. Schriften ernsthaft weiter zu vertreten oder gar Wort Gottes und Heilige Schrift gleichzusetzen.15

       Abgrenzungen und positive Konstruktion

      Aus diesen Einsichten ergeben sich drei polemische Abgrenzungen und entsprechende Konsequenzen für den Ansatz des vorliegenden Buches:

      Die erste Abgrenzung bezieht sich auf eine Wort-Gottes-Theologie, nach der »eine methodisch zu erhebende autoritative Offenbarung dem christlichen Lehrvortrag einen objektiven Grund verleihe.«16 Hier werden dogmatische

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