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König blieb völlig ungerührt. »Sie sind viel zu beschäftigt und werden hier gebraucht, Seamus. Und ich selbst kann auch nicht fahren. Mein Terminplan ist viel zu voll. Tanner, Sie sind der perfekte Kandidat.« Nathaniel nickte, als sei er mit dieser Entscheidung ganz zufrieden. »Sie kennen nicht nur die Details des Abkommens, Sie sind auch auf dem neuesten Stand, was die Geschichte des Hauses Augustin-Sachsen angeht. Sie sind in Miss Beswicks Alter. Außerdem wissen wir nicht, wie lange es dauern wird, bis Sie sie davon überzeugen können, mitzukommen und ihren rechtmäßigen Platz einzunehmen. Es könnte Wochen in Anspruch nehmen, und weil Sie neu sind in Ihrer Position, sind Sie am flexibelsten von uns allen.« Nathaniel zeigte mit dem Finger auf Tanner. »Ein sehr glücklicher Umstand. Also, nachdem ich nun nicht für einen beliebigen Zeitraum verreisen kann … und ich nehme an, Seamus auch nicht, ist das richtig, Gouverneur?«

      Nathaniels Tonfall schien den älteren Staatsmann zu besänftigen. »Ganz recht, Ihre Majestät«, polterte Seamus, »ganz recht.«

      »Ich weiß, dass Sie sich gerade erst in Ihrer Position etablieren«, sagte Nathaniel. »Aber ich glaube, dass Sie der Richtige sind, um die Prinzessin heimzuholen.«

      »Sir, ich werde tun, worum Sie mich bitten.« Tanner lockerte den inneren Griff, den er um sein Herz gelegt hatte. Um seinen Zeitplan. Für den König würde er doch seine eigenen Pläne hintanstellen können, oder nicht? Und sich damit sogar noch weiter von den Misserfolgen seiner Vergangenheit entfernen. »Wenn Sie meinen, ich sei derjenige, der nach Amerika reisen und die Prinzessin von ihrem Glück überzeugen soll …«

      »Das meine ich, ja.« Nathaniel lächelte, als sei damit alles erledigt. »Wir haben die Royal Air Force One für Ihre Reisen reserviert. Wenn Sie keine Einwände haben, wäre es mir recht, wenn Sie gleich morgen früh abreisten.« Der König musterte ihn abwartend. Seine informelle Ausstrahlung bekam zusehends einen majestätischen und imposanten Charakter.

      Tanner würde also morgen auf Reisen gehen …

      »Ich werde bereit sein, Ihre Majestät.« Er würde vermutlich den ganzen Abend, wenn nicht sogar die ganze Nacht brauchen, um seinen Terminplan freizuschaufeln. Hatte er genug saubere Kleidung? Drei Anzüge waren in der chemischen Reinigung. Die schloss um halb sechs. »Soll ich alleine reisen oder in Begleitung?«

      »Wenn Sie wollen, reisen Sie alleine. Je diskreter, desto besser. Wir wollen die Presse aus der Sache heraushalten. Kein Wort darüber.« Nathaniel sah sich im Raum um und sammelte zustimmende Blicke. »Lassen Sie sie uns hierherholen, sich etwas zurechtfinden mit der neuen Rolle, dann können wir die Medien auf den Plan bringen und damit wohl die ganze Welt. Tanner, Sie sind sozusagen unser Ein-Mann-Sondereinsatzkommando. Sie haben die volle Rückendeckung des Parlaments. Die königliche Behörde hat alle benötigten Dokumente vorbereitet, einschließlich dessen, das Sie in der Hand halten.« Er zeigte auf die Mappe. »Sämtliche Unterlagen werden in der Royal Air Force One auf Sie warten.«

      »Ist diese Eile denn vonnöten, Ihre Majestät?«, fragte Seamus.

      Nathaniel wandte sich dem Gouverneur zu. Er schien ruhig, gelassen. Jonathan drehte sich schneller um, und in seinen Augen war die Verwunderung deutlich zu sehen.

      »Das Abkommen endet in einem Monat, Gouverneur«, sagte Tanner. Seamus, alter Freund, sei kein Narr.

      »Was würden Sie vorschlagen, Seamus?«, fragte Nathaniel. »Wenn sie nicht weiß, dass sie die Erbin ist, wird es eine Weile dauern, bis sie die Neuigkeit verdaut hat, und noch ein bisschen länger, bis wir sie davon überzeugen können, dass wir sie brauchen. Und sollte sie zufällig bereits von ihrem Erbe wissen, so werden wir vermutlich Zeit brauchen, um mit ihr über ihren Weg hierher zu verhandeln. Da bin ich mir ganz sicher.«

      »Nobel.« Seamus klemmte sich die Pfeife zwischen die Lippen und murmelte: »Welches Mädchen träumt nicht davon herauszufinden, dass es eine Prinzessin ist?«

      »Wir sind hier nicht in einem Film, Gouverneur«, sagte Jonathan. »Miss Beswick führt ein eigenständiges Leben, sie hat Freunde, eine Familie …«

      »Was, wenn sie sich weigert?« Tanner ging der Sache direkt auf den Grund. »Wenn sie die ganze Angelegenheit ablehnt? Königliche Prinzessin gesucht, die die Zukunft eines kleinen Landes rettet, und all das …«

      »Sie überzeugen sie.« Nathaniel trat vor Tanner und schnitt ihm den Weg ab. »Kommen Sie nicht ohne sie nach Hause.«

      Tanners Angst echote in seinem Puls. Nicht vermasseln. Nicht vermasseln.

      »Ich werde mein Bestes tun …«

      »Geben wir uns keinen Illusionen hin. Das wird nicht leicht werden«, fuhr Nathaniel fort, seinen Rat zu erteilen. »Wir können alle nur dafür beten, dass sie in irgendeiner Form auf die Neuigkeiten vorbereitet ist. Vielleicht sind unsere Befürchtungen ja auch umsonst. Prinzessin Alice könnte Regina vor ihrem Tod erzählt haben, wer sie war.«

      »Aber wir wissen wirklich nicht, was Alice wusste, als sie 1914 aus Hessenberg geflohen ist. Deswegen wissen wir auch nicht, was sie Regina erzählt haben könnte.« Jonathan sah auf die Uhr. »Ihre Majestät, wir müssen los.«

      »Es tut mir leid, dass ich aufbrechen muss, aber ich muss zu einem Staatsempfang im Palast.« Nathaniel ging mit seinem Assistenten zur Tür. »Ich wollte Sie persönlich um die Übernahme dieser Aufgabe bitten, Tanner. Sie ist uns überaus wichtig. Jonathan wird Sie bezüglich weiterer Details auf dem Laufenden halten.«

      »Ich bitte Louis, Sie zu informieren, wenn ich so weit bin.« Tanner ging ebenfalls zur Tür. »Stellen Sie sich auf den Morgen ein, so gegen zehn.«

      »Tanner …«, Nathaniel hielt im Türrahmen inne und bot ihm die Hand, »Ihr König und Ihr Land sind Ihnen sehr dankbar.«

      Tanner ergriff die Hand des Königs, und die Bedeutsamkeit dieses Moments legte sich wie ein schwerer Mantel auf seine Seele.

      Hessenbergs Geschichte der letzten hundert Jahre hatte sich auf diesen Moment hin ereignet. Erst mit der Geschwindigkeit eines Schiffs, das über die offene See getrieben wird, und später, im Laufe der Jahrzehnte, mit dem stetigen Antrieb eines Automobils. Aber nun, wo sich das Ende des Brighton-Hessenberg-Abkommens abzeichnete, rasten die Wochen im Tempo eines Schnellboots dahin.

      Und Tanner war der einsame Kapitän, der nicht versagen durfte.

       Meadowbluff Palace, den 13. Juni 1914

       Heute habe ich meine letzte Sitzung mit Herrn Renoir auf der Wiese am Dickicht. Er besteht darauf, dass ich sehr schön sei und perfekt gemalt werden müsse. Dabei muss er es langsam leid sein, dass ich Tag für Tag vor ihm herumsitze. Nichtsdestotrotz haben wir einen ganz wunderbaren Sommer hier in Hessenberg, und so macht es mir nichts aus, an der frischen Luft zu sein.

       Onkel ist sehr zufrieden mit Herrn Renoirs Arbeit und hat beschlossen, dass es eine große Enthüllung geben soll, wenn das Porträt fertig ist. So geht es nun hinaus zum Dickicht, weil das Licht um die Mittagszeit dort perfekt ist. Es ist einfach zauberhaft. Ich spüre tiefen Frieden, wenn ich über den Rasen zur Wiese und zum Dickicht hinübergehe.

       Das ist auch der Ort, an dem ich meine Gebete im größten Vertrauen darauf sprechen kann, dass Gott mir zuhört. Ich schäme mich nicht dafür, zuzugeben, dass ich ihn um einen Ehemann gebeten habe. Ich liebäugele sehr mit Reinhart Friedrich – und Mama tut das ebenso. Doch er hat den Palast seit dem Frühjahr nicht mehr besucht. Auch bei den Sommergesellschaften habe ich ihn nicht gesehen.

       Lady Sharon sagt, sie habe Gerüchte gehört, dass Reinhart zur Armee gegangen sei. Welche Armee das aber sein könnte, das weiß ich nicht. Hessenberg hat kein erwähnenswertes Militär. Das weiß ich, weil es Onkel ärgert, da sein Premierminister darauf besteht, unsere Streitkräfte wieder aufzubauen.

       Ich weiß nicht, was Onkel denkt. Aber während ich gestern auf der Wiese auf Herrn Renoir wartete, sah ich, wie Onkel seinen

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