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Gelder für die Bildungspolitik bereitstellen. Und mit der neuen Steuerinitiative des Parlaments sieht es ganz so aus, als würde sich die Wirtschaft rasch erholen.«

      Genug. Tanner machte sich keine Gedanken darum, ob sich Seamus ärgern würde. Er rettete den König vor diesem nicht enden wollenden Kampagnen-Gewäsch. Er wusste sehr gut, was der Gouverneur im Sinn hatte – beim König gut Wetter machen nämlich für den Fall, dass Hessenberg seine Unabhängigkeit nicht erlangen und dauerhaft ein Teil Brightons werden würde.

      Tanner riss das Ruder der Unterhaltung an sich.

      »Wie steht es denn mit Ihren Heiratsplänen, Ihre Majestät?«

      Seit Nathaniels Verlobung mit der Amerikanerin Susanna Truitt waren die Medien voll mit Berichten über die königliche Hochzeit. Sie verglichen die hübsche, blonde, sportliche Susanna mit Herzogin Kate und fragten sich, ob sie sich wohl ebenso gut in das höfische Leben einfügen würde wie der neue Liebling der Briten. Immerhin hatten die Vereinigten Staaten seit fast 240 Jahren kein königliches Oberhaupt mehr gehabt.

      »Sehr gut, Tanner, sehr gut. Danke der Nachfrage.« Nathaniel lächelte, und etwas, das mehr war als reine Dankbarkeit, leuchtete in seinen Augen auf. Aha, der Glanz der großen Liebe. Tanner hatte so ein Gefühl noch nie empfunden, aber er hatte es bei anderen gesehen. Und sie beneidet.

      »Ihre Mutter ist angereist, um bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen. Ich möchte behaupten, man hat nicht richtig gelebt, bevor man gesehen hat, wie die Königinwitwe Brightons und die Königin des Barbecues aus Georgia aneinandergeraten.« Er lachte. »Ich fürchte, die arme Susanna ist meistens mehr Schiedsrichterin als zart errötende Braut.«

      »Da darf man sich nicht täuschen lassen.« Jonathan ging zum Teewagen. »Susanna kann ihren Standpunkt sehr gut vertreten. Sie kann ebenso gut austeilen wie einstecken.«

      »Es wird also nicht langweilig?« Tanner stand auf, um sich noch einen Tee zu holen, aber Louis, der gerade Jonathan nachgeschenkt hatte, trat ihm entgegen und schenkte ihm wortlos ein.

      »Wenn man jetzt noch meinen Bruder, Prinz Stephen, mit in den Ring wirft, dann hat man einen Zirkus erster Güte.« Nathaniel wischte sich die Finger an seiner Serviette ab und tauschte einen Blick mit Jonathan. Dieser schob seine Hand in einen Diplomatenkoffer, aus dem er einen dünne braune Mappe herausholte, die er dem König reichte. »Aber wir sind nicht gekommen, um über meine Hochzeit zu sprechen.« Der König gab die Mappe an Tanner weiter. »Wir sind gekommen, um über das Abkommen zu sprechen.«

      »Welche Neuigkeiten bringen Sie uns?« Seamus zog schnaufend eine Pfeife aus seiner Westentasche.

      »Tanner«, sagte Nathaniel und bedachte Seamus mit einem scharfen Blick. »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, als Sie uns mit Yardley Pritchard bekanntgemacht haben. Sein älterer Bruder Otto wechselte in den Jahren nach ihrer Abreise aus Hessenberg tatsächlich einige wenige Briefe mit Prinzessin Alice.«

      »Professor Pritchard hat nie ausdrücklich gesagt, dass er wüsste, wie es der Prinzessin ergangen war oder wo sie sich aufhielt«, erwiderte Tanner, »aber er hat in seinen Kursen oft erwähnt, dass sein älterer Bruder als Schreiber des Großherzogs gedient hatte, bevor der das Land verließ. Daher nahm ich an, dass irgendeine Form der Korrespondenz stattgefunden haben könnte.«

      »Ihre Annahme war richtig, Tanner. Pritchard erzählte, sein Bruder habe selten, und auch erst im Alter, über seinen Dienst am Hofe gesprochen«, fuhr der König fort. »Der alte Herzog hatte ihn davon überzeugt, dass seine Familie in Gefahr geraten würde, wenn die Feinde des Großherzogs davon erfuhren, dass Otto irgendetwas über das Abkommen oder die königliche Familie wusste. Oder schlimmer noch, dass Otto als Verräter hingerichtet werden könnte.«

      »Der arme Bruder Otto«, sagte Seamus. »Er wird ein gutes Stück älter als Yardley gewesen sein, schätze ich?«

      »Siebzehn Jahre«, bestätigte Nathaniel. »Die Zeiten waren turbulent, nachdem der Prinz das Abkommen unterzeichnet hatte, und dann kam der Krieg. Otto hat recht daran getan, den Mund zu halten.«

      »Aber glücklicherweise hatte der gute alte Otto die Geistesgegenwart, Yardley zu erzählen, wo er die Briefe der Prinzessin aufbewahrte«, sagte Jonathan.

      »Sind sie hier drin?« Tanner öffnete die Mappe, um die Briefe ans Tageslicht zu befördern. Er überlegte, dass er sie im Museum ausstellen könnte.

      »Es stellte sich heraus, dass er nur einen einzigen hatte«, sagte Nathaniel. »Sollte es mehr gegeben haben, so sind die anderen verlorengegangen oder an eine andere Stelle geräumt worden, davon wissen wir nichts. Aber von dem einen, den wir haben, liegt eine Kopie dem Bericht für Sie bei.«

      »Wir sind wohl nicht dazu berufen, so furchtbar viel über Prinz Franz und seine Familie zu erfahren.« Tanner überflog den kurzen Brief und wünschte sich, er hätte einen ruhigen Moment für sich alleine, um zu lesen und nachzudenken.

      Der Großherzog, der nicht lesen konnte, hatte wenige Aufzeichnungen über sein Leben geführt. Wenn es zu seiner Zeit Fernsehen oder Tonfilme oder wenigstens Radio gegeben hätte, so hätte er vielleicht etwas zu sagen gehabt, etwas, was er der Zukunft hinterlassen konnte. Stattdessen hatten sie einen einzigen Brief mit Wasserflecken in einer Fotokopie. Von Prinzessin Alice an Otto, geschrieben am Vorabend ihrer Abreise nach Amerika.

      Tanner sah auf. »Also ist es beinahe sicher, dass der Thronerbe Amerikaner ist?«

      »Das wird nicht gehen.« Seamus lehnte sich über Tanners Schulter. Der Geruch seines Aftershaves drängte sich unangenehm in die dünne Luft zwischen ihnen. »Eine Amerikanerin?«

      »Es wird gehen, Gouverneur, weil sie die rechtskräftige und rechtmäßige Erbin ist. Ihr Name ist Regine Alice Beswick. Es war eine Sisyphosaufgabe für die Ermittler, Prinzessin Alice‘ Reise von Hessenberg über Brighton nach London und schließlich in die Staaten nachzuverfolgen. Wie sich herausstellte, war die erste Alice, der sie folgten, nicht Prinzessin Alice.«

      »Die Aufzeichnungen nach dem Krieg waren ein bisschen dürftig«, sagte Tanner, der den Bericht querlas.

      »Ganz Europa war ›ein bisschen dürftig‹ nach dem Krieg.« Nathaniel lehnte sich nach vorne und legte die Unterarme auf die Oberschenkel. »Die Ermittler fanden letztendlich eine Alice Stephanie Regina, die 1922 in London einen Piloten der Royal Air Force geheiratet hatte. Sie ist unsere Prinzessin. 1924 bekamen sie eine Tochter, Eloise. Alice‘ Mann fiel im Zweiten Weltkrieg. Sie wanderte 1946 mit Eloise nach Amerika aus, wo sie über kurz oder lang wieder heiratete. Nun ja, Sie werden die entsprechenden Informationen in Ihrem Dossier finden. Jedenfalls lebt Alice‘ Erbin, ihre Urenkelin, in Tallahassee, Florida.« Der König stand auf. »Sie ist 29 und …«

      »Ich habe jemand Älteren erwartet«, sagte Tanner. »Eine Tochter oder eine Enkelin.«

      »Das haben wir alle. Alice‘ Tochter und ihre Enkelin sind beide jung verstorben. Sie hat sie beide überlebt. Regina ist ein Einzelkind. Sie hatte einen älteren Bruder, der aber kurz nach seiner Geburt gestorben ist.«

      Tanner beendete seine Lektüre und wollte die Mappe König Nathaniel zurückgeben. Aber der König weigerte sich, sie anzunehmen.

      »Tanner, als Hessenbergs Kulturminister und als Mann, der die Gesetzeslage des Abkommens kennt, ernenne ich Sie zum Gesandten für unsere neue Prinzessin. Reisen Sie nach Amerika und holen Sie sie nach Hause.«

      »Ich, Sir?« Er war ja gerade mal seit sechs Monaten Kulturminister. Es musste doch jemanden geben, der besser qualifiziert war. »Es wäre mir eine Ehre.« Tanner sprang auf und sah seinen König auf Augenhöhe an. »Aber wären Sie nicht selbst der Richtige, um sie davon zu unterrichten?« Tanner spürte die Anspannung, die sich im Raum ausbreitete. Die Entrüstung des Gouverneurs überlagerte alles. Er wettete mit sich selbst, dass er den Teppich unter den großen, intrigierenden Füßen beben sehen würde, wenn er den Blick senkte. »Oder vielleicht wäre Seamus der Mann der Stunde.« Tanner wies auf den erfahrenen Gouverneur.

      »Ja, da stimme ich Tanner zu, absolut.« Seamus trat vor.

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