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Ansprache und erst recht seine Worte zeugen davon, dass Trump sich hier zu einer Abweichung von seiner moralischen Richtlinie hat durchringen müssen. Er ergreift mal nicht Partei, nicht einmal für die fanatischen Anhänger, die ihn als ihren Anführer feiern. Er entschließt sich vielmehr zu einer überparteilichen, im Wortsinn staatsmännischen Reaktion: Er nimmt den Anschlag und die ihm vorausgegangene Straßenschlacht als das, was sie für das staatliche Gewaltmonopol allein sind: eine gewaltsame Auseinandersetzung, damit ein – „von vielen Seiten“ begangener – Verstoß gegen das vom Staat gewaltsam durchgesetzte Gesetz. Im Gegensatz zu all denen, die von ihm eine eindeutige Verurteilung der Rechtsradikalen erwarten, die in seinem Namen angetreten sind, das gute Amerika zu spalten, ist für Trump das Hauptopfer der Schlacht die verletzte Ordnung selbst, mitsamt ihrer anthropomorphen Fassung: dem „unschuldigen Bürger“, der diese Ordnung braucht, sich an sie hält und durch solche Gewalt überall in Amerika, nicht nur in Charlottesville, leiblich bedroht ist. Entsprechend diesem staatsmännischen Blick auf die Ereignisse lautet das von Trump ermittelte Motiv für den vielseitigen Bruch von Recht und Ordnung: Recht besehen hat sich in Charlottesville „der Hass“ selbst ausgetobt – ein Motiv, das keines ist, sondern bloß die in die Gesinnung der Täter projizierte Denunzierung der Gewalt, die die Staatsgewalt sich nicht gefallen lassen will. So führt Trump diese Gewalt auf keine politische Gesinnung zurück; er ist in dieser ersten Reaktion sichtlich und hörbar bemüht, die rechte Gesinnung nicht namhaft zu machen, die in Charlottesville zugeschlagen hat. Er diagnostiziert vielmehr eine reine Verneinung des Rechts, das der Staat allen Bürgern zukommen lässt und gegen alle durchsetzt, sodass die versprochene Heilung folglich in der Wiederherstellung des Respekts auf allen Seiten für Law & Order in Amerika besteht.

      Auch Trumps anschließender Appell an die Nation – dies der Heilung zweiter Teil – fällt äußerst staatsmännisch aus:

      „Der Hass und die Zwietracht müssen aufhören, und zwar sofort. Wir müssen als Amerikaner zusammenkommen: mit Liebe für unsere Nation und wahre – ich meine es wirklich ernst: wahre – Zuneigung füreinander.“ (Ebd.)

      Die Bürger in Charlottesville und anderswo in Amerika mögen mit ihren Vorstellungen von einer guten amerikanischen Heimat einander noch so unversöhnlich gegenüberstehen: Solche Differenzen verblassen davor, dass sie alle Bürger des gleichen, von ihm regierten Kollektivs sind. So spricht er die Demonstranten, Gegendemonstranten und überhaupt die amerikanischen Bürger als das an, was sie für ihn als ihren Führer sind: die Mitglieder des von ihm geführten Volks, als solche geeint, nämlich durch seine Definition von ihnen und ihren Anliegen. Die auf der Demo zutage getretene Unversöhnlichkeit ist so gesehen ein Affront gegen Trump selbst, ein trauriger Schandfleck auf dem schönen Bild, das Amerika seit seinem Amtsantritt abgibt. Es ist nämlich so: Unter seiner Herrschaft funktioniert der nationale Kapitalismus einfach prächtig:

      „Unser Land macht es gerade sehr gut auf vielen Wegen. Wir haben Rekord-, absolute Rekordbeschäftigung, die wenigsten Unbeschäftigten seit 17 Jahren. Firmen strömen in unser Land. Foxconn und Autofirmen, so viele andere kommen zurück in unser Land. Wir haben Handelsverträge nachverhandelt, um sie gut für unser Land und gut für den amerikanischen Arbeiter zu machen. Es passieren so viele unglaublich schöne Dinge in unserem Land. Wenn ich jetzt Charlottesville betrachte, erscheint es mir sehr, sehr traurig!“ (Ebd.)

      Die großen Geschäftemacher machen große Geschäfte, immer mehr Amerikaner aller Couleur können glatt für deren Bereicherung arbeiten und kriegen sogar Geld dafür: Was soll also der ganze Hass?

      Doch Trumps erste, überparteiliche Reaktion wird ihm nicht gedankt. Zwar bedankt sich die Mehrheit der demonstrierenden Rechtsradikalen bei ihm für die Ausgewogenheit seiner Schuldzuweisung; darin sehen sie nämlich den Beweis eines großen Fortschritts in der moralischen Lage der Nation: Sie sind nicht mehr die Bösewichte, denen eine geeinte Nation der selbsternannten Guten gegenübersteht; ihre Feinde – die Linksliberalen, die in ihren Augen die Macht und die kulturelle Hegemonie im Lande längst usurpiert haben – sind vom Präsidenten selbst als Feinde der Nation denunziert worden. Doch ansonsten erntet Trump nichts als Empörung. Und zwar nicht nur vom prominentesten Anführer der radikalen Rechten, David Duke, dem Trumps offensichtliche Bemühung, die rechte Gesinnung hinter der rechten Gewalt unerwähnt zu lassen, nicht reicht. Duke vermisst und verlangt die explizite und aggressive Parteilichkeit, die die Rechtsradikalen an Trump schon immer geschätzt haben, und für die sie ihn doch gewählt haben. Der Rest der Nation wirft Trump umgekehrt vor, den radikalen Rechten, die sich auf ihn berufen, gerade mit seiner überparteilichen, beidseitigen Schuldzuweisung die verdiente Denunziation zu ersparen. Demnach unterlässt er den ihm eigenen Hang zur rhetorischen Vernichtung des Feindes ausgerechnet dort, wo sie einmal wirklich angebracht wäre. Angeleitet von den rechtesten Republikanern im Kongress, die den demonstrierenden Neo-Nazis den Ehrentitel ‚patriotische Kämpfer in der Schlacht gegen das liberale Establishment‘ bestreiten, den sie für sich selbst reklamieren, fordern Opposition und Öffentlichkeit vom Präsidenten, endlich die schönen Worte zu sprechen, die die Würde des Amtes verlangt, und die es braucht, um die Nation in solchen schwierigen Zeiten wirklich zusammenzubringen: „Nazi“, „Terror“, „Böse!“ Angesichts seines Unwillens, seinem Amt auf diese Art gerecht zu werden, entdeckt man in dem Fall sogar eine regelrechte Gelegenheit, Trump eine nochmalige Niederlage zu bereiten und ihm ein ganz großes Stück Legitimität zu entziehen. Und tatsächlich: Nach ein paar Tagen Dauerbeschuss weicht Trump abermals von seiner moralischen Richtlinie ab und lässt sich zu einer mehr einseitigen Absage an die Rechtsanhänger seines „Make America Great Again!“-Mobs bewegen. Er nennt den Ku-Klux-Klan und die „white supremacists“ beim Namen und spricht dabei sogar die verlangten Zauberworte.

      Doch auch das wird ihm nicht gedankt: Die frohe Botschaft habe er viel zu spät verkündet; außerdem sei am Duktus und an der Körpersprache des Präsidenten bei seiner nachgeholten Denunziation allzu leicht zu erkennen, dass seine Worte seine Haltung nicht wiedergeben. Ganz klar: Dieser Mann verstellt sich. Das wäre für sich genommen auch gar nicht so schlimm; verlangt ist ja nur, dass der Präsident den Anforderungen seines Amts gerecht wird; und da ist in diesem Fall – das unterstreicht die journalistische Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks – wirklich nicht viel verlangt, nämlich das bloße Abspulen des Mantras „Rassismus, Nazis, böse“ (SZ, 19.8.17) – was auch immer er selbst davon halten mag. Doch derartige Heuchelei, die hier als präsidentielles Pflichtbewusstsein ausgedrückt wird, ist diesem Präsidenten einfach zuwider. Deswegen kehrt er bei der ersten Gelegenheit zu seiner Linie aufrichtig ungeschminkter Parteilichkeit für rechten Patriotismus in all seinen Erscheinungsformen zurück. Er erneuert sein Urteil ‚Alle Seiten sind schuld!‘ in der Gewissheit, dass das jetzt endgültig nicht mehr als Distanzierung von seinen empörten Anhängern misszuverstehen ist. So ist Trump erkennbar wieder mit sich und seinem inneren Kompass im Reinen.

      Es folgen zwei staatsmännische Taten, die man in liberalen Kreisen dem Präsidenten gar nicht zugetraut hätte. Zum einen feuert Trump seinen engsten Kumpel Steve Bannon, nachdem der die rechte Szene in Charlottesville als Clowns verhöhnt und den bösen Nordkoreaner, zeitweilig Trumps Lieblingsfeind, zur vernachlässigenswerten Nebengröße erklärt hat. So viel Distanz zu seinem finsteren Einflüsterer und radikalen Alter Ego irritiert. Zum andern kündigt der Präsident eine verstärkte Fortführung des Afghanistan-Einsatzes an, in offenem und offen erklärtem Widerspruch zu seinen Wahlkampfversprechen. Zum allgemeinen öffentlichen Lob für diesen Akt weltpolitischer Vernunft kommt natürlich gleich eine Portion hämischer Kritik: Nicht einmal dieses Versprechen kriegt der Mann eingelöst! Doch immerhin erklärt er seinem Volk klar und deutlich, warum er in dem Fall das Kalkül seiner Generäle höher stellt als seinen untrüglichen Instinkt:

      „Mein erster Instinkt war: Abziehen! Und normalerweise folge ich gerne meinem Instinkt. Aber mein ganzes Leben lang habe ich gehört, dass Entscheidungen ganz anders sind, wenn du im Oval Office sitzt... Wir müssen uns der Realität stellen, wie sie jetzt existiert – den Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, den ganzen Problemen der heutigen Zeit, und den sehr vorhersehbaren Konsequenzen eines raschen Abzugs... Amerikas Interessen in Afghanistan und Pakistan sind klar: Wir müssen die Entstehung von neuen sicheren Häfen stoppen, die es Terroristen erlauben,

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