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gewesen. Er listet seine vielen Versprechen auf, versichert den Zuschauern, bei der Abarbeitung der Liste trotz aller Hindernisse erstaunlich weit gekommen zu sein, und gelangt dann zur folgenden Bilanz:

      „Ich würde sagen, es hat noch nie einen Präsidenten gegeben – mit wenigen Ausnahmen: Roosevelt hatte eine große Wirtschaftskrise zu bewältigen –, der mehr Gesetze beschlossen und überhaupt mehr getan hat in so kurzer Zeit... Ich denke, wir sind so aktiv wie irgend möglich gewesen, in beinahe rekordverdächtigem Tempo.“ (12.6.17)

      Das ist toll: Mit seiner Agenda kommt Trump bestens voran – schneller als die vorangegangenen präsidentiellen Machthaber mit ihrer jeweiligen Agenda. Dieser Leistungsvergleich ist schon eigenartig. Immerhin ist dieser Präsident angetreten, das verhasste Establishment in Washington zu bekämpfen, dessen volksverratende Politik zu stornieren und mit der strikten Anwendung des Prinzips „America first!“ dem Recht des amerikanischen Volks endlich zu entsprechen. Doch in diesem selbstbeweihräuchernden Vergleich – den Trump übrigens nicht nur beim Auftakt seiner ersten Kabinettssitzung, sondern bei jeder Gelegenheit wiederholt, der also für ihn irgendwie der maßgebliche zu sein scheint – braucht vom Inhalt der Politik, die ihn von seinen Vorgängern abheben sollte, gar nicht mehr die Rede zu sein. Er drückt vielmehr auf die schiere Menge seines Machtgebrauchs, auf seine Tatkraft sans phrase. Genauso wenig braucht er den Inhalt der Einwände zu erwähnen, die die „Quertreiber“ in der Opposition gegen ihn richten; sie stehen gegen ihn, also für gar nichts. Als wollte er einmal möglichst deutlich auf den Begriff bringen, wie schlicht, brutal und auf immer und ewig gleichbleibend der Wille eines demokratisch mündigen Volkes verfasst ist, dem die politische Herrschaft zu dienen verspricht: Jenseits dessen, was die Mitglieder dieses Kollektivs von der Regierung für sich jeweils wollen, brauchen und sich versprechen, werden sie als Volk alle gleichermaßen dann und dadurch bedient, dass möglichst extensiv und intensiv regiert wird. Kurz: Volk braucht Herrschaft, Herrschaft muss liefern – diesen Grundsatz demokratischer Politik bringt Trump in seiner Selbstverherrlichung auf den Punkt.

      Und als wollten Trumps politische Gegner und journalistische Kritiker ihm in diesem Grundsatz voll und ganz Recht geben, rechnen sie ihm mit beeindruckender Akribie vor, wie wenig er von seiner eigenen Agenda bislang abgearbeitet hat: kein Rekord, höchstens Mittelmaß, lächerlich im Verhältnis zu Menge und Qualität seiner eigenen Wahlversprechen. Auch das ist eine seltsame Abrechnung mit Trumps bisherigem Werk. Schließlich halten diese Kritiker von seinem Programm gar nichts und drücken ihm bei der Umsetzung gewiss nicht die Daumen. Ihre Kritik zeugt immerhin vom festen Platz der Heuchelei in der Demokratie: Ihre Parteinahme gegen den gewählten Präsidenten wollen sie dadurch ins Recht setzen, dass sie gegen ihn das garantiert überparteiliche Kriterium geltend machen, wonach die Qualität einer Regierung sich daran bemisst, wie viel Politik sie macht und inwieweit sie das Programm erfolgreich umsetzt, das sie sich vornimmt und der Gesellschaft aufherrscht. Ihre diesbezügliche Fehlanzeige unterstellt im Übrigen ebenso selbstverständlich wie das Selbstlob Trumps bei der Präsentation seines Kabinetts die Gleichung zwischen der Ausübung von Macht über die Leute und für die Leute. Die braucht Amerikas reifen demokratischen Bürgern gar nicht erklärt zu werden: Das Quantum Machtgebrauch ist das entscheidende Argument in der politischen Konkurrenz um Zustimmung oder Nicht-Zustimmung der Regierten zu ihrer Obrigkeit; davon gehen alle Seiten aus.

      Für Aufregung sorgt Trumps erste Kabinettssitzung allerdings gar nicht wegen dieses einleitenden Selbstlobs des Präsidenten, sondern wegen der Fortsetzung, die das Treffen nimmt: Es hatte sich wohl auch im neuen Kabinett herumgesprochen, dass der neue Chef eine besondere Schwäche für öffentliche Lobpreisungen hat und dass man als Co-Machthaber gut daran tut, sich bei ihm rechtzeitig einzuschleimen. Also ergreifen Trumps Kabinettsmitglieder die Gelegenheit, Trump vor laufender Kamera in seinem Selbstlob ausgiebig Recht zu geben und jeweils auf ihre Art zu beteuern, welch große Ehre es sei, einem so hyperaktiven Präsidenten zu dienen. Eine echte historische Neuheit im demokratischen Politikbetrieb – könnte man jedenfalls meinen angesichts des Raunens und Gruselns in Redaktionsstuben auf beiden Seiten des Atlantiks nach diesem zwanzigfachen öffentlichen Kniefall. Sie hatten wohl erwartet, dass Trumps Mitarbeiter ihre nationale Pflicht anders, nämlich nach der Stellenbeschreibung der Trump-Kritiker wahrnehmen würden, indem sie reihum erläutern, wie sie ihren Boss im Namen der Demokratie und des Friedens ordentlich in Schach zu halten gedenken und dass sie nur unter dieser Bedingung und äußerst widerwillig ihre Posten antreten. Dass ein Präsident andererseits seine Mannschaft im Griff haben und aus ihr eine treue Gefolgschaft formen muss, die reibungslos funktioniert bzw. den glaubwürdigen Eindruck von Eintracht in der Regierungszentrale vermittelt: Darauf besteht die Presse, die bei dieser Gelegenheit ihrer Schadenfreude freien Lauf lässt: Hinter der Fassade der widerlichen Verehrung herrsche in Wahrheit beispiellose Zwietracht im Weißen Haus, sodass zum generellen „Versagen“ des Chefs bei der Machtausübung ein einziges „Chaos“ in der volksdienlichen Machtzentrale dazukommt – eine kritische Parteinahme für effektives Regieren, mit der die Profis der Öffentlichkeit ihre demokratische Reife bezeugen.

      Eine Woche später versammelt Trumps PR-Abteilung einige tausend Anhänger in einer großen Halle für eine Pro-Trump-Kundgebung in Iowa. Das positive Echo, das der Chef von seinen offiziellen Angestellten bekommt, ist ihm vielleicht doch zu schal, wiegt jedenfalls das negative Echo nicht auf, das ihm aus allen Ecken der Hauptstadt entgegenschallt. In diesem Sinne begrüßt er sein Publikum mit einem Statement direkt aus dem Herzen:

      „Es ist immer schön, dem Sumpf in Washington entkommen zu können und mit den wirklich hart arbeitenden Menschen Zeit zu verbringen. Die nennen wir amerikanische Patrioten.“ (21.6.17)

      Dass das Bad in der Menge Trump gut tut, ist verständlich, bekommt er damit doch die Großartigkeit seiner Politik unmittelbar und spürbar zurückgespiegelt: als Zustimmung bzw. fanatische Liebe zu seiner Person. Und so sehr die Demokratie als System auf die ‚checks and balances‘ Wert legt, die der Willkür von einzelnen Politikern eine enge Grenze ziehen, so sehr schätzen gerade Demokraten den Personenkult um den geliebten Führer. Nichts anderes organisiert eine Wahl, in der sich alles um die Großartigkeit von Führungspersönlichkeiten und welchen, die es werden wollen, dreht. Der Einheit zwischen dem obersten Regierungssubjekt und seinen Regierten ist es gewiss auch dienlich, wenn der Präsident sich mit seinem Publikum derart gemein macht, und zwar in der probaten Form einer ideellen Verbundenheit in der Feindschaft gegen einen gemeinsamen Gegner. Schon darin steckt freilich die kleine, aber entscheidende reelle Differenz: Für Trump ist Washington der Wohnort nicht bloß seiner Gegner, deren Amtswahrnehmung ihm nicht passt, sondern auch des Machtapparats, an dessen Spitze er selber steht. Die zelebrierte Einheit zwischen Trump und dem Publikum, das ihn umgibt, muss also ein wenig präzisiert werden: In den jubelnden Massen hat Trump eine von ihm mobilisierte und in Anspruch genommene Berufungsinstanz für den Machtgebrauch, den er ansagt. Und der besteht trotz aller Aggressivität seiner Rhetorik gar nicht darin, „den Sumpf“ in dem Sinne „trockenzulegen“, dass er den politischen Betrieb in Washington bekämpft, sondern darin, die dort beheimatete Staatsgewalt voll und ganz im eigenen Sinne zu verwenden. Mit seiner Beschimpfung des Politikbetriebs in Washington, mit dem seine Anhänger unzufriedener nicht sein könnten, hat Trump eine fix und fertige Erklärung für jegliche zukünftige Unzufriedenheit, zu der sie sich veranlasst sehen mögen: Mit Trump selbst und seiner Amtsführung hat das nichts zu tun; die Schwierigkeiten, die das Regieren ihnen bereitet, liegen vielmehr an den Schwierigkeiten, die ihm bereitet werden; er selbst gehört nicht zum Sumpf, er wohnt bzw. herrscht nur dort. Und umgekehrt: Alle Angriffe, mit denen Trump es zu tun bekommt, sind Angriffe auf seine Anhänger, das gute Volk.

      Das ist, demokratisch gesehen, schon genial. Trump nimmt damit den Standpunkt der Herrschaft und der Betroffenen ein und pflegt die geheuchelten Argumentationsmuster von Regierung und Opposition zugleich. Als der regierende Machthaber wirbt er mit der puren Tatkraft seiner Herrschaft für sich; als Gegner und Opfer des Washingtoner Establishments ist er Mit-Opfer, also Verbündeter in jeder Unzufriedenheit mit der Herrschaft, der er vorsteht. Außerdem hat Trump seinen angereisten Patrioten zwei handfeste Argumente zu bieten, warum sie ihn zum Sumpf nicht dazurechnen sollten, er ihre frenetische Anerkennung vielmehr redlich verdient hat: Neben der Beschwörung seiner schieren Tatkraft, die auch an diesem Abend

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