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also Mysterium sei. Adorno warnt vor dieser Gleichsetzung – trotz unzweifelhafter historischer Genesis der Kunst in der Religion.43 Denn wenn sie auch in Religion entsprang, so hat sie sich doch zu einem toto genere anderen entfaltet, als sie am Anfang war: magische und kultische Praxis. Die Reduktion darauf setzte sich über die Differenz beider hinweg. Die Manifestation »immanenter Transzendenz« in der Kunst, die sich vom Ritual emanzipierte, von der parasitären Teilhabe an ihm,44 ist nicht dasselbe wie die durch Beschwörung veranstaltete Epiphanie. »Kein daseiendes, erscheinendes Kunstwerk ist des Nichtseienden positiv mächtig«, jenes Anderen am Wirklichen, das es aufscheinen macht, ohne je es haben und halten zu können wie ein Wirkliches. »Das scheidet die Kunstwerke von den Symbolen der Religionen« – im strengen Sinne gibt es keine anderen –, »welche Transzendenz der unmittelbaren Gegenwart in der Erscheinung« – also etwa des Corpus Christi in der Hostie oder schon Gottes selbst im Corpus Christi – »zu haben beanspruchen. Das Nichtseiende in den Kunstwerken« ist nicht durch sie symbolisiert, das Werk überhaupt nicht Symbolform, sondern das Nichtseiende »ist eine Konstellation von Seiendem«45, die das Werk mimetisch zum Ausdruck gelangen lässt. – Die Emphase Adornos erinnert an die Benjamins, nach dem das, in einem bestimmten Sinn regressive, Ineinanderwirren der Sphären von Kunst und Religion vom klassisch-romantischen Denken verschuldet ist: durch die theologische Interpretation des Verhältnisses von Wesen und Erscheinung als Offenbarung des Wesens in der Erscheinung, so, dass dieser der Rang des Symbols zuwachse.46 Das aber läuft auf die alte Idolatrie hinaus, die Vergötzung des Endlichen, welches die Art sei, wie das Unendliche in der Welt ist. Die Kunst, die mimetisch ans Endliche, den sinnlichen Schein sich klammert, verklärt und rechtfertigt das Endliche; Gottesdienst fällt in den Bilderdienst zurück, dieser in die Vergoldung der Welt. Der Vergeistigungsprozess der Kunst, der mit ihrem Emanzipationsprozess zusammenfällt, ist hintertrieben; der dialektische Vorgang, der jedes Bild als Schrift »offenbart«47, ist auf lange sistiert. – In seinem Theorem von der »unsinnlichen Ähnlichkeit« hatte Benjamin vom Lesen gezeigt,48 dass es in jenem Prozess die eigentlich vermittelnde Instanz zwischen Anschauung und Geist, Bild und Logos ausmacht. Im Lesen werden die sinnlichen Züge in ihrer geistigen Bedeutung – die sie von ihrer Erschaffung her, durchs göttliche Pneuma, haben – aufgeschlossen.

      Hier zeigt sich vor allem die der Kunst zuwachsende Bedeutung als einer Erkenntnisart: der des physiognomischen Auffassens und Begreifens dessen, was ist, anstelle von dessen bloßer Bekräftigung durch wiederholende Mimesis im Abbild. – Das Telos des Vergeistigungsprozesses der Kunst ist die »bilderlose« Erkenntnis der Sache im Gedanken. »Der Gedanke ist kein Abbild der Sache […] sondern geht auf die Sache selbst«, durchschlägt, was von ihr erscheint: ihr Bild durch das sie wesentlich präsent sein soll; doch »was ans Bild sich klammert, bleibt mythisch befangen, Götzendienst«49. Noch die säkulare, areligiöse Abbild- und Widerspiegelungstheorie und ihr ästhetisches Analogon, der Abbildrealismus, huldigen ungewollt dem Fetischismus, der Idolatrie, über die sie doch hinaus zu sein wähnen; sie verfehlen gleicherweise das Objekt als substantielles: die Sache hinter ihrem Abbild, wie das Subjekt, das sie zum passiv-registrierenden in der Erkenntnis, zum mimetisch-repetitiven in der Kunst degradieren, unter Verleugnung seiner Spontaneität, seines Ansich, das dem Ansich der Sache entgegendrängt, um ihm zum Ausdruck zu verhelfen.

      Retrospektiv aufgefasst ist der Bildcharakter, der, über das Schrift-Wesen der Kunst, in ihrem Erkenntnischarakter sich aufhebt, jedoch selbst bereits eine Errungenschaft, ein Fortschritt in der Naturgeschichte der Kunst. »Die Nachahmung«, wie sie im Abbildcharakter sich niederschlägt, ist »der Inbegriff von Verständnis diesseits des Rätselcharakters«50, den Mimesen – ob gestisch, ob figurativ – sogleich annehmen, wenn sie Kunstwerke werden. Die Mimesis diesseits der Kunst ist daseinspraktische, dem Überleben dienende Verhaltensweise, von welcher die unnützliche, spielerische später deriviert. Sie ist erzwungen, mimetischer Zwang, sie zeigt sich reaktiv – reaktiv auf das Übermächtige, dem das Subjekt etwa mit Mimikry, Sich-Totstellen durch Gleichmachen mit dem Anorganischen, durch Regression, respondieren muss. Oder es begegnet ihm, indem es dem Ängstigenden, Schrecklichen im Ausdruck des Erschreckens sich gleichmacht; dessen, den das Schreckliche, wie bei der Medusa, in ihm hervorruft. Durch Wiederholung des Furchtbaren wird das Furchtbare objektiviert: als Ausdruck, so wie ihn die Maske fixiert; als Laut, Schreckensruf, wie er im Wort instrumentalisiert, in Begriff und Bedeutung sublimiert ist; als Bild, wie es das Angeblickte präsent hält und bannt zugleich. Durch Wort und Maske, durch Bild und Begriff wird das Subjekt-Andere, Übermächtige, das was verfügt, selber verfügbar. In der reduplicatio ist der Zauber, die Essenz des Wesens, seine Macht versachlicht und durch die Versachlichung manipulierbar, gegen das Wesen selber dirigierbar geworden – ein Sieg des Subjekts über das Subjekt-Andere, der es, wie wahnhaft auch immer, nicht länger die Beute der unsinnigsten Schrecken sein lässt, wiewohl es andererseits in der projektiven Abwehr den Schrecken erst recht hervorbringt. Das Subjekt lernt seinen Zwang zur Mimesis bezwingen: ob in der Weise der List, mit der es durch Anschmiegen an die Natur dieser die Kenntnisse entlockt, die sie ihm ausliefern; ob in der Weise der Kontemplation – durch nicht-instrumentelle Theorie und durch Kunst, die im Ausdruck und Bild der Natur, in ihrem Begriff, einem »begriffsfeindlichen Begriff«, wie Adorno sagt;51 einem durch den ein Seiendes in seiner Komplexion und Tiefe aufgefasst, nicht durch »Oberflächenrationalität« identifiziert wird – mit der es die Natur nicht manipulieren, überlisten und verstümmeln sondern dem Blick, dem Ohr, dem erkennenden Geist darstellen will. Ihr eigenes Wesen soll sprechen, sei’s das unalterierte, sei’s das alterierte, nachdem es die Verstümmelung erfuhr – sprechen, ohne dass ihr das Wort abgeschnitten, ohne dass die Klage unterdrückt wird.

      Die Mimesis als Element im Vergeistigungsprozess wäre nicht ohne die primäre, den archaischen Imitationstrieb – Mimikry und mimétisme –, der zu ihr sich sublimierte. Im Sublimat hat die Mimesis ihre »archaische Rationalität«, den praktischen Sinn, eingebüßt. »Kunst bleibt übrig nach dem Verlust dessen an ihr, was einmal magische, dann kultische Funktion ausüben sollte. Ihr Wozu […] büßt sie ein und modifiziert es zu einem Moment ihres An sich. Damit wird sie rätselhaft; wenn sie nicht mehr da ist für das, was sie als ihr Zweck mit Sinn infiltrierte, was soll sie dann selbst sein?«52

      Die magische und kultische Gebrauchsfunktion macht die Kunst den Menschen vertrauter, geheurer als ihre emanzipierte Funktionslosigkeit, durch die sie zu etwas Unheimlichem, Nichtgeheurem wird, bloß deshalb, weil sie den abergläubischen Sinn – in Wahrheit also das Unsinnige – verlor. Angesichts dessen drohen die Werke schnell wieder »abzustürzen« in den Mythos, dem sie prekär sich entrangen«53. Ihre »Analogie zum astrologischen Aberglauben, der ebenso auf einem angeblichen Zusammenhang beruht, wie ihn undurchsichtig läßt«, drängt sich auf nicht bloß in jenem hermeneutischen Verhalten zu den Gebilden, das diese wie Orakel befragt und traktiert: sie kommt in ihrer Produktion selber zum Ausdruck, wenn diese als Verfertigung und Stiftung von Symbolen sich versteht, die, man weiß und durchschaut nicht wie, die Mächte und das Schicksal, das Sein und die Mitte oder welche Obskurität immer vertreten sollen und diese bedeutungsvoll winken lassen. Dergestalt ist »der Makel der Kunst […] ihre Querverbindung zur Superstition«54, zur Überantwortung des Bewusstseins an den Sinn-Ersatz. Um ihren Begriff zu erfüllen, darf sie daher auf den Stufen der Sinnsubstituierung weder verharren noch sich festhalten lassen. »Sinn gewinnt« die Kunst »durch die Gestaltung ihres emphatisch Sinnlosen«55: in der Negation der äußeren Zwecke, der zarten Statuierung der inneren, der Selbstzwecke, durch die sichtbar wird, was möglich wäre inmitten des Wirklichen, das das Mögliche despotisch niederhält.

      Eben dieses, dass Kunst etwas ist, auch wenn sie ohne Sinn, ohne Zweck ist, macht sie zu dem Unverständlichen in der Welt der äußeren Zwecke. Doch ohne dies Paradoxe, Zwecklosigkeit zum Zweck zu haben, kantisch »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«56 zu sein, wäre sie nicht die Kunst. An ihrer »Funktion der Funktionslosigkeit« ist der »Überrest«, das Residuum ehemaliger magischer Praktik nicht zu verkennen: Sie ist »funktionslos gewordene Mimesis« und präludiert den Satz, »der Überbau wälze langsamer sich um als der Unterbau«; »alle Kunst« trägt »an einer verdächtigen Hypothek des nicht ganz Mitgekommenen, Regressiven«57. Aber gerade darin – in der Entbindung vom praktischen Zweck – ist ihr die Kraft zugewachsen, das Fortschreiten, die

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