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Kopf vorsichtig drauf gleiten, um ihrem müden Haupt eine behagliche Ruheposition zu vergönnen.

      KAPITEL FÜNF

      Lady Ethel und ihre Rosen, eine Symbiose, die in die Familiengeschichte der Earls eingehen wird. Jeder Nachbar, der in Herrgottsfrühe das Sträßchen entlang der exquisiten Landgüter passiert, weiß, dass der in der Morgendämmerung wahrgenommene Schatten, zwischen Rosensträuchern gespenstig hin- und her wandelnd, der im wehenden Morgenrock umhüllten alten Lady, der Rosennärrin, zugeordnet werden muss. Und jeder Passant versucht möglichst lautlos von dannen zu schreiten, um die himmlische Morgenidylle des gräflichen Gartens ja nicht zu stören.

      Selten geschieht es, dass die alte Lady aufschaut, weil sie ein Knistern oder Knarren vernommen hat, welches ihr Gehör, zu dieser frühen Morgenstunde noch traumselig, als Störenfried ausmacht. Streckt sie ihren Kopf dennoch ein wenig in die Höhe, der weiblichen Neugier wegen, die schließlich doch über ihren Unmut triumphiert, weil sie einer Person gewahr wird, die nicht wie Dr. Goldman oder Mr. Miller zügig zur Arbeit eilt, sondern mit einem mehr oder weniger braven Vierbeiner vom Hundespaziergang zurückkehrt, dann ergreift sie manches Mal besonders flink die Gartenschere, um dem dazu gehörenden Zweibeiner einen einzelnen Duftling zu präsentieren. Dieser Rosenduft auf dem Frühstückstisch, wie betörend muss er auf Ihre Sinne wirken – den ganzen Tag lang!“ Bei diesen Worten spürt sie, wie Herr Nachbar oder Frau Nachbarin ihren morgendlichen Rosengruß aufs Höchste schätzen! Das verschönert nicht zuletzt auch Rosenladys Tag mit seinen rituellen Gepflogenheiten. Ihre Rosen tragen Namen wie ‚Portland‘, ‚Gallica‘ und ‚Bourbon‘. Lady Ethels Ansicht zufolge drücken diese Namen nicht annähernd solcherart Herrlichkeit aus wie diese Blütenfülle in natura. Diese Pracht schätzt sie stets als ein Geschenk von oben, ihrem einfühlsamen und begeisternden Herzen in die Arme gelegt. Dornenstachel, die ganz schön pieken können, machen ihr immer wieder bewusst, dass das Lebensglück nicht ohne Blessuren zu haben ist. Ihre Rosen blühen zwar nur sechs bis acht Wochen im Jahr, aber oft denkt sie, dass ein Mensch diese Überschwänglichkeit gar nicht länger ertragen könnte. Wie ein kleines Kind am Heiligen Abend in Begeisterungstürme ausbricht, nein, nicht so lautstark, eher still verzückt, so lässt sie jede neu entdeckte Knospe, die sie hervor brechen sieht, durch ihre Hände gleiten, dann, wenn sie im zeitigen Sommer ihren morgendlichen rituellen Rundgang durch den Garten vollzieht. So flüstert sie der einen oder anderen Blume eine Liebeserklärung zu: „Innig freut sich mein Gemüt, eine neue Rose ist erblüht!“

      Einen Nachklang der füllig rankenden Rosen darf sie jeden Morgen tagein, tagaus neu erfahren, auch meist dann noch, wenn Väterchen Frost sich rau und unerbittlich zeigt. Rosenranken schmücken nämlich das Innere der Porzellanschüssel und ein paar Tropfen Rosenöl verleihen dem Brunnenwasser, das Miss Adelheid allmorgendlich aus dem Rosenkrug in das Waschgefäß schüttet, einen besonders betörenden Duft. Ladys morgendliche Toilette erfolgt anschließend durch das Besprengen diverser Körperteile mit wenigen Tropfen, die auf ihrer abendlich eingesalbten Haut abperlen. Die alte Dame mag ihr ‚La nuit de Chanel‘, weil sie spürt, wie ihre spröde Haut diesen Feuchtigkeitsbalsam gierig aufsaugt. Lady Ethel liebt eben ihre täglichen Rituale. Weil ein altes Frauchen ihrer Meinung nach klapprige Knochen und schlaffe Muskeln hat und ihren Zopf nicht selbst flechten und hochstecken kann, so hat sie sich nach einem dienstbaren Geist umgesehen, der ihr allmorgendlich das Kämmen und Hochstecken der Haare abnimmt, meiner Silberfädchen, wie sie die ihr noch verbliebene schüttere Haarpracht nennt. Miss Adelheid, eine Arbeitsmagd vom benachbarten Kensington-Gut hat sich in der Nachbarschaft als eine Person mit fleißigen, geschickten Händen einen Namen gemacht. Hier und da verpasst sie der Lady auch einen leichten Stups, um ein Kleid ohne große Halsöffnung über ihren Kopf stülpen zu können, vor dem Frisieren, versteht sich, und erst nachdem das letzte Kleidungsteil, wie etwa ein wollenes Schälchen gekonnt um ihren Hals drapiert auf sich aufmerksam macht, erst dann wird der große ovale Spiegel an der Wand als letzter Ratgeber hinzugezogen. „Oh, mein Lieber!“ Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, dann verwandeln sich sämtliche, meist alte vertraute Hausgegenstände zu Gesprächspartnern, deren Geduld beim Zuhören keine Grenzen zu kennen scheinen und die, Lady Ethel schätzt das besonders, ihr keine Widerworte geben. Und da sie sich heute noch unbeobachtet fühlt, weil Adelaine immer schwer aus den Federn kommt, flüstert sie ihrem Gegenüber weitere Worte zu, diesem Gegenüber, das unverwechselbare Züge ihres eigenen Ichs trägt, und das jetzt festtagsmäßig mit einem Hermelin besetzten Kleiderkragen punktet. Sie möchte sich heute in vollem Staat präsentieren, weil, so hofft sie es jedenfalls, dieser Tag ein besonderer Tag zu werden verspricht.

      „Mein goldiges Stück …“, so spricht sie den großen Spiegel an, während sie mit ihren spitzen Erdbeer-Fingernägeln seine seitliche Goldeinrahmung streichelt. „Ich habe dich besonders gerne, weil du mir immer deine voll erblühte Rose offenbarst!“

      Und jetzt fährt sie besonders liebevoll über die an dieser Stelle ein wenig erhabenere Schnitzarbeit.

      „Du blühst zwar nicht in den wunderbarsten Farbnuancen, wie deine Schicksalsgenossen dort draußen, und auch dein Duft entbehrt jeder Romantik, aber du bist verlässlich immer für mich da. Ja, in deiner Geburtsurkunde steht: Barockstück aus dem 18. Jahrhundert. Dein Geburtsort ist Bologna! Und in deiner Girlande, die sich wie eine Blumenranke von der einen bis zur anderen Seite erstreckt, ist eine Shakespeare-Weisheit verewigt, die besagt: Kein hübsch Weib hatte je ein Gesicht ohne Falsch!“

      Teils verschmitzt, teils verdrießlich richtet sie nun ihre Maßregelung an den großen Meister: „William, welch’ eine Schmähung allem weiblichen Geschlecht gegenüber! Spricht daraus nicht Ihre eigene Erkenntnis? Aber …“, sie stutzt milde lächelnd, „vielleicht steckt in dieser Weisheit doch ein Fünkchen Wahrheit?“ Lady Ethel betrachtet die Falten auf ihrer Stirn. Ihr von strahlendem Glanz leuchtendes Gegenüber verdeckt nicht die kleinste Runzel ihres Gesichtes und des Halses – schonungslos bringt es sogar jeden Pickel ans Tageslicht, vorausgesetzt, dass er auch ohne Monokel für ein an Sehkraft geschwächtes Auge erkennbar ist. „Ja, mein Lieber …“, und jetzt ist ihr William, auch der ‚Shakespeare‘ genannt, wieder gemeint, „… ich will mich mit dir versöhnen und nicht mehr meinen Schmollmund aufsetzen. Damengesichter ohne Falsch, da werden Sie, verehrter Dichter recht haben, laufen nur selten über Gottes schöne Erde! Aber Männer ohne Falsch, sie kann man gewiss auch zählen! Wer …“, und da wendet sie sich wieder an den goldumrandeten Spiegel, „wer mag sich hier schon alles an Dämlichkeiten seiner Schönheit versichert haben? Oder wer mag sich gar der Ernüchterung gebeugt haben, dass es mit seiner Schönheit nicht zum Besten bestellt ist? Wie viele betagte Damen haben hier eine Träne oder gar einen ganzen Tränenbach vergossen und im Lauf der Zeit ihrer verblichenen Anmut nachgetrauert? Du allein weißt es und verstummst! Oder handelst du nach der Devise: Da schweigt des Sängers Höflichkeit? Höflichkeit hin – Höflichkeit her! Warum verrätst du uns nicht dein Geheimnis? Oder glauben Sie gar …“, jetzt ist der verehrte, längst verblichene Spiegelspruch-Meister wieder angesprochen, „… dass das Falsch sich nur auf unsichtbare weniger liebenswürdige dämliche Seelenzustände bezieht? Da mögen Sie vielleicht auch ein klein wenig recht haben, sind aber die Herren als Krone der Schöpfung …“, ein leichtes Räuspern bleibt nicht aus, „… sind sie nicht ebenso dem Fluch der Vergänglichkeit und der Bruchstückhaftigkeit ausgesetzt? Zwar zeichnet sich diese Sorte Mensch gewöhnlich nicht durch übermäßige Spiegelbetrachtungsprozeduren aus und scheint vor Creme-Tüpfelchen-Auftragen gefeiter zu sein als ihr Pendant, eine Versicherung allerdings, ob mit dem Bart beziehungsweise seiner gewünschten Abwesenheit alles in bester Ordnung sei, mag auch für manchen Gentleman eine Beruhigung gewesen sein.“

      Lady Ethel muss schmunzeln, als sie vor ihrem argwöhnischen Gegenüber feststellen muss, dass sie mit einem Lächeln auf den Lippen weitaus attraktiver aussieht als mit ihren Sorgenfalten auf der Stirn. Rituale schenken Geborgenheit. ‚Mein Seelentröster-Ritual‘ nennt Lady Ethel die kurze Zeit, die sie jetzt nicht mehr auf den Knien verbringt, weil dieses verflixte Ziehen und Stechen bei jeder kleinsten Kniereibung auf dem Fußschemel sie in ihrer morgendlichen Andacht ziemlich gestört hatte. „Ein klein wenig Pein bringe ich meinem Erlöser gerne als Opfergabe dar!“

      So dachte und sprach sie zunächst, als sie auf den Knien vor dem Messingkreuz auf ihrer Kommode auf den Knien

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