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trat übrigens dem ungezügelten Opiumhandel mit dem Ausspruch entgegen: Der Liberalismus hat seine Grenzen. Er musste aber zwischen der Anti-Opium-Lobby in Indien und der indischen Wirtschaftshaltung, die um eine Insolvenz bangte und eine völlige Freigabe des Rauschgiftes forderte, vermitteln. Das geschah zu jener Zeit, als er Privatsekretär seines Cousins Thomas Baren in Indien gewesen war. Keine leichte Aufgabe, aber wählte er sich je einfache Herausforderungen? So, jetzt möchte ich dir mal berichten, wie wir früher unsere Großmutter erlebt haben. Damals galt für uns Kinder, ihr immer den größten Respekt entgegenzubringen! Der Kammerdiener geleitete uns zu einer buckligen alten Dame mit hagerem Gesicht, aber hellwachen himmelblauen Augen. Sie thronte meist in dem sogenannten ‚blauen Zimmer‘, das hieß so, weil die Sitzmöbel in einem Königsblau gehalten waren. Und erst nachdem sie uns Einlass gewährt hatte, durften wir ihr die Hand reichen. Immer in einem gehörigen Abstand, das schien oberstes Gesetz. Danach erfolgte der Knicks der Mädchen und der Diener der Jungen. Übrigens finde ich es auch als sehr lobenswert, dass eure Mutter euch Kinder auch noch nach gewissen Regeln erzogen hat. So wartet ihr auch immer solange, bis ich euch eine Sitzangelegenheit anweise. Es erfreut mich zutiefst, beobachten zu dürfen, dass meine Söhne und Schwiegertöchter euch Kindern ebenfalls eine, ihrem Stand gemäße, Erziehung gewährt haben. Mein Kind, gute Manieren machen einen kulturell hochstehenden Menschen aus. Vergiss das nie in deinem Leben! Bei meiner Großmama durften wir unseren Mund nur aufmachen, wenn wir gefragt wurden. Das wird heutzutage nicht mehr so steif wie zu früheren Zeiten gehandhabt, was ja durchaus vorteilhaft ist. Unsere Großmama trug ständig ein Häubchen auf dem Kopf. An Feiertagen oder beim Kirchgang thronte ein Brüsseler Spitzenhäubchen auf ihrem Haupt. Als es unerlaubter Dinge doch einmal ein wenig zur Seite rutschte, amüsierte uns Kinder das derart, dass wir unsere Hand möglichst heimlich vor den Mund pressten, um nicht laut losprusten zu müssen. Einmal, so erinnere ich mich, zog ich an einem Bändchen der Schleife so kräftig, dass die alte Lady aus einem vor sich hindösenden Zustand jäh aufgeschreckt uns ermahnte, doch mit ihr als alternde Dame nicht solchen Schabernack zu treiben. Und da senkte ich ganz schuldbewusst mein blondes Lockenköpfchen. Wie sehr ging es mir zu Herzen, dass sich meine liebe Großmutter über mich beklagen musste. Ja, Großmutter war eine kluge Frau. Sie bemerkte gleich, wer der Übeltäter gewesen war. Aber weil sie auch unendlich lieb war, streichelte sie meine Wange und sagte: Ich verzeihe es dir, mein Täubchen! Aber mach’ das nicht noch einmal! Du darfst gerne zu mir in aller Sittsamkeit sagen: Verehrte Frau Großmutter, ihr Häubchen ist etwas zur Seite gerutscht! Und dann vermag ich es wieder zu richten! Großmutter hatte sich um ihren Hals stets ein silberfarbenes Schälchen gewickelt und ihre Füße waren mit einem größeren Schal, in einem schwarzen oder weißen flauschigen Wollstück ummantelt. Großmutter war hager und sie fror ständig. Manchmal hüstelte sie vor sich hin und verlangte vom Butler eine Tasse Lindenblütentee! Ja, mein Kind, das waren noch Zeiten, aber durchaus liebenswerte! Bedenke aber eins: Nie und nimmer hättest du in jener Zeit studieren können. Du siehst es selbst heutzutage, dass so gut wie kein Mädchen neben dir ein Studium aufnimmt. Damals wäre das gänzlich undenkbar gewesen. Ein Mädchen wurde von der Gouvernante erzogen und auf ihr späteres Leben als repräsentierende Ehefrau vorbereitet, in denen es vornehmlich um die Einhaltung von Etiketten ging. Mein Kind, wir sprachen doch gestern über Malta. Da ist mir hinterher eingefallen, dass im Sekretär, zweite kleine Schublade von oben, noch eine maltesische Briefmarke sein muss. Guck’ mal bitte nach, mein Mädchen!“ Und weil ihr Mädchen ein ganz besonders Liebes ist, gehorcht diese ihrer Großmutter aufs Wort. „Meinst du das hier?“ Und mit ihren Fingerspitzen erfasst sie diesen kleinen Schatz und reicht ihn vorsichtig der Großmutter weiter. „Welche maltesische Königin ist denn hier drauf abgebildet?“, will sie von ihr wissen. „Oder hat Malta zu dieser Zeit …, 1885 steht hier drauf, … hat Malta zu jener Zeit irgendeine Herrscherin gehabt?“

      Lady Ethel ergreift wie immer ihr Monokel. Das ist ihr bereits in Fleisch und Blut übergegangen; jeder noch so kleinste Schriftzug wird von ihr genauestens inspiziert. Und das geschieht durch ihr kleines Einglas, das auf einem Auge festgeklemmt wird.

      „Ach was, meine liebe Enkeltochter, ich gebe dir hiermit die Kunde, dass unsere große britische Queen Victoria an dieser Stelle abgebildet erscheint. Es ist eine Two-pence-halfpenny-Marke! Nun steck’ sie mir bitte wieder sehr sorgfältig in jene Schublade hinein, aus der du sie herausgeholt hast. Weißt du was?“

      Adelaide blickt ihre Großmutter erstaunt an. „Ja, was soll ich denn wissen?“

      „Moment mal, gerade ist es mal kurz weggehuscht, das was ich dir sagen wollte. Wie dumm! Warte mal einen kleinen Moment, gleich taucht es sicher wieder an der Oberfläche auf!“

      Als Adelaine die Schublade mit der Schreibplatte dank des glänzenden Griffes – ach, ja, das sind die griechischen Elemente, fällt ihr dabei ein – als sie sie wieder schließt, ruft Grandma ihr schon freudestrahlend entgegen: „Ich hab’s! Jamaika ist wieder da! Großvater und sein Jamaika! Nachdem er auf Malta gedient hatte, wurde er anschließend nach Jamaika beordert. Er begleitete Sir Henry Storks dorthin, um wichtige Militärreformen durchzusetzen. Diese waren nach dem Krimkrieg bitter notwendig geworden. Großvater, der hat immer seine Meinung gesagt. So ist er nun einmal gewesen! Unsere Armee hat sich im Krimkrieg nicht mit Lorbeeren geschmückt, genau so hat er es viel später ausgedrückt. England und Frankreich waren den Osmanen zu Hilfe gegen die Russen geeilt. Jetzt muss ich mal nachdenken.“ Lady Ethel stützt wieder einmal ihren schweren Kopf in ihre Hände. „Mein Gott, was muss dort auch alles drin einquartiert sein. Ja, mein Kind, wenn ein Mensch so viel erlebt hat wie ich, dann quillt der Kopf bald über. Ja, wenn ich mich recht entsinne, dann war es zu jener Zeit, es muss so Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts gewesen sein, da ging es in Jamaika hoch her!“

      „Grandma, du machst mich neugierig! Erzähl!“

      „Soweit ich mich entsinne, ist da auch der Aufstand der Sklaven, der Landarbeiter, gewesen, meistens Schwarze. Sie haben damals sogar einen Brief an Queen Victoria geschrieben, dass sie Land zum Bebauen beanspruchen. Weil die Queen ihnen keine Hilfe angedeihen ließ, kam es zum blutigen Aufstand und viele Engländer erzürnten sich schrecklich darüber, dass die englische Armee den Aufstand niedergeschlagen habe. Das war vielen Briten zu radikal, zumal die Benachteiligung der Sklaven offiziell schon längst abgeschafft worden war.“ Die alte Lady stutzt für einen kurzen Moment, so dass Adelaine das Ruder übernehmen kann.

      „Na, und wie war’s dort eigentlich mit deiner neuen Liebschaft?“

      „Du bist mir ja die Richtige! Solch’ eine Frage geziemt sich einem anständigen Wesen eigentlich nicht! Hast du nur Liebelei im Kopf, Adelaine?“

      „Aber, nein, nein!“ Ein bisschen verschämt lässt das Mädchen vornüber ihren Kopf herunterhängen – wie kann ich nur? Wie neugierig darf ich überhaupt sein? Jetzt bin ich wohl zu weit gegangen? Gedanken, die sich wie eine düstere Wolke in ihrem Inneren auftun, aber andererseits sind da Großmutters Augen, die wie vom Sonnenstrahl getroffen in höchster Lebendigkeit blinken, so registriert es das junge Mädchen jedenfalls beruhigt und mit sich und der Welt wieder im Reinen. Sieh’ mal da, registriert ihr aufmerksames Auge, greise Pupillen weiten sich und um zerfurchte Mundwinkel herum zuckt es verdächtig, wie bei einem jungen Mädchen, das verschmitzt seine kleinen Sünden beichtet, so amüsiert sich die Enkelin, natürlich ohne auch nur den kleinsten Mucks von sich zu geben.

      „Der erste Kuss, ja, das war ein Jamaika-Kuss und der schmeckte nach der Süße des Jamaika-Rums, aber eigentlich schmeckt das Getränk gar nicht süß, oder? Egal, in der strahlenden Sonne und am blauen glitzernden Meer erschien mir alles voller Süße. Mein Herr Papa musste mich natürlich begleiten und für wenige Minuten haben wir uns dann doch aus seiner Umklammerung lösen können. Meinen Papa sehe ich noch deutlich vor mir. Mit Hut und Schirmstock bewaffnet, einen leichten knielangen Stoffmantel über seine Schultern gelegt, es war ja ziemlich warm, so flanierte er neben uns beiden her – wahrhaft majestätisch. Und Evels Orden an seinem Uniform-Frack befestigt, glänzten mit den Sonnenstrahlen um die Wette. Und die wunderbaren Mangrovenbäume, die an einigen Stellen ein wenig Schatten spendeten, die waren uns eine höchst willkommene Labsal! Einfach himmlisch!, und nun hocke ich hier mit meinem runden Buckel, mit meinen kaputten Knien, mit dem Monokel im Auge und bin so müde …“ Ein herzhaftes Gähnen überfällt sie, noch bevor sich ihre schweren

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