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Munde sprudeln zu lassen. „Mitte des 19. Jahrhunderts, da blühte die Insel richtiggehend auf. Die Landwirtschaft entwickelte sich und Werften wurden errichtet. Die Malteser waren ein arbeitsames Volk. Anstelle der Segelschiffe fuhren Dampfschiffe und nachdem der Suezkanal gebaut worden war, galt Malta als Zwischenstation zum Nachladen der Kohle!“ Lady Ethel spürt, dass ihre Adelaide nur mit halbem Ohr bei der Sache ist.

      „Grandma, spann’ mich nicht zu lange auf die Folter! Du weißt, wie sehr ich darauf brenne, alles über euch, über euer Kennenlernen und die erste Liebe zu erfahren!“

      Lady Esther muss lächeln. Irgendwie kommen ihr solche Gefühlsregungen und Fragen bekannt vor! „Ja, die ganze Prozedur Kennenlernen zeigte sich ziemlich verwirrend, mein Schatz!“

      Und dann lacht die Großmutter, aus vollem Hals sogar, wie ein Backfisch, alle Konventionen abschüttelnd, so dass Adelaine sie erstaunt und belustigt ansieht.

      „Grandma! So gefällst du mir! Erzähl’ nur, erzähl’, ich kann es kaum vor Neugierde aushalten!“

      „Ja, Kind, das ist so gewesen: Stell’ dir mal vor …“ Und dabei sprudelt wieder ein besonders herzhafter Lacher aus ihr heraus. „Stell’ dir das nur mal bildlich vor! Er hat mich zuallererst mit den Füßen getreten!“

      Bei Adelaine beginnt es zu dämmern. Irgendetwas Fußiges war es also, das Großvater mit Großmutter in Kontakt gebracht hatte!

      „Seltsam! Seltsam! Aber erzähl’ …!“, drängt sie ihre Großmutter.

      „Ja, mein liebes Kind, das hat sich alles so begeben: Mein Patenonkel, Onkel John, der diente auch zu jener Zeit dort in der Armee als Hauptmann. Und wie es das Schicksal so wollte, kamen Großvater und Onkel sich bei einem Gläschen Wein ein wenig näher! Und da in meinem Elternhaus schon lange erörtert worden war, wie es am besten anzustellen wäre, die Tochter Ethel unter die Haube zu bringen, so trug, wie alle Welt im Nachhinein erfuhr, dieser, mein Onkel, ganz zufälligerweise natürlich, ein Bildnis mit meinem Antlitz bei sich. Damals gab es nur in begüterten Familien die Möglichkeit, sich entweder malen oder von einem der seltenen Photographen mit einem großen schwarzen Kasten ablichten zu lassen. Jedenfalls rutschte, so wie es mein Onkel beschrieb, ihm ‚ganz versehentlich‘ mein Bild aus seiner Jackett-Tasche, ja wirklich versehentlich, wie es familiengeschichtlich immer wieder betont wurde. Und weil das gemütliche Beisammensitzen beider Herren vor stürmischer See stattfand, erhob sich just in diesem besagten Moment eine Windböe, die mein Bildnis erfasste und es gerade auf Nimmerwiedersehen weg tragen wollte. Noch gerade im rechten Moment sprang dein Großvater in spe auf und trat mit der dicken Stiefelsohle darauf, um der Böe ihr Handwerk zu legen.“

      Adelaine betrachtet ihre Großmutter, ungläubig belustigend fängt sie an wie eine ganze Horde Backfische loszukichern. „Ha, ha, ha, das ist wirklich eine lustige Geschichte! Wie geht sie denn weiter? Erzähle!“

      „Dein Großvater in spe, der führte sich, wie der Onkel erzählte, ganz intensiv mein Bildnis zu Gemüte! Dann nach langer stillen Betrachtung und Begutachtung meinte er nur: Das Antlitz, wirklich gut geschnitten! Die Augen klar und vertrauensvoll! Ja, so ist er eben immer gewesen, dein Großvater! Ein Mann weniger Worte! Besonders in Bezug auf Gefühlsangelegenheiten! Das war ganz und gar nicht seine Sache!“

      „Ja, und wo habt ihr euch dann zum ersten Male gesehen?“ Adelaine platzt bald vor Neugier.

      „Wochen später hat Onkel John dann ein Treffen in Malta arrangiert. Meine Eltern standen dem Ganzen ganz und gar nicht ablehnend gegenüber, wie du dir ja denken kannst. Eine solche Partie für ihre Tochter, das konnten sie sich unter keinen Umständen entgehen lassen! Und dann wurde das erste Treffen arrangiert, zunächst im Beisein von Onkel John, dann gestattete man uns in großzügiger Weise das Flanieren in einer Parkanlage. Ich trug ein buntes Sommerkleid mit Bolero, Großvater in spe machte auf mich einen riesigen unvergesslichen Eindruck durch seine schicke Uniform. Später kam dann dieses Briefchen hier …“, und bei ihren letzten Worten drückt sie das vergilbte Papier fest an ihre Brust. „Und morgen erzähle ich dir weiter! Von unserer Hochzeit! Jetzt muss ich mir erst mal einen Baldriantee zubereiten. Damit ich wenigstens nach so vielen Gefühlswallungen ein wenig Nachtruhe finden kann!“

      „Grandma, lass’ mich den Tee zubereiten!“

      Als Adelaine schließlich mit einem Kännchen dampfenden Tees ins Zimmer tritt, staunt sie nicht schlecht. Die Großmutter liegt mit geschlossenen Augen, den Kopf fest in ihr Sessel-Kissen vergraben, und schlummert in aller Seelenruhe. Adelaines Blick schaut gebannt auf ihr Antlitz, ein von großer Erfahrung geprägtes Gesicht, dessen Furchen, Falten, Sorgen- und Lachfalten zugleich, tiefe Spuren eines spannungs- und ereignisreichen Lebens sich jenem Gegenüber auftun, das imstande ist, empfindsam in tiefere Seelenschichten einzutauchen. Adelaine, den Blick noch immer unverwandt auf das ihr so sehr vertraute Antlitz gerichtet, vertieft sich in ihre nachsinnenden Überlegungen: Wie lassen sich Grübel- von Weinfalten überhaupt unterscheiden? Grübelfalten nisten sich doch vornehmlich in der Stirn ein, oder? Beim Weinen werden andere Gesichtspartien beansprucht. Wie lassen sich überhaupt Lach- und Sorgenfalten voneinander trennen? Sicher hat Großmutter einen ganzen Fluss voller Tränen vergossen, als sie von ihrer jüngsten Tochter Abschied nehmen musste. Damals in Ägypten! Seit dem tragischen Unfall ihrer Henriette, die mit drei Jahren beim Spielen in den Parkteich gefallen und ertrunken war, darf das mit keiner Silbe von niemanden in der großen Familie erwähnt werden. Das ist ein unumstößliches Gesetz! Aber wenn ich mich in Großmamas Gesicht vertiefe, dann entdecke ich dort keinerlei Resignation. Ein Mensch, der immer wieder von Herzen lachen kann und Freude am herrlichen Blühen und Wachsen ihrer Rosen und Gartensträucher hat, ein Mensch, der immer noch regen Anteil an Wohl und Wehe jedes Einzelnen innerhalb ihrer großen Familie nimmt, der zeigt wie Großmutter ein offenes, vertrauensvolles Gesicht! Wenn Großmutter nur nicht immer wieder die Sehnsucht nach ihrem geliebten Evel übermannen würde! Er, mein Großvater, zeigte sich jederzeit als ihre große Stütze, vom ersten Kennenlernen an! Sie weiß es so genau, weil Grandma nicht müde wird, das immer und immer wieder zu betonen. Aber an jedem Geburtstag eines Enkels entging es keinem im vertrauten Familienkreis, dass sie einige Male tief seufzte, begierig nach Luft schnappte und sich mit ihrem Spitzentaschentuch eine Träne von ihren Wangen wischte.

      „Meine Kleine, warum durfte sie nur nicht älter werden?“ Sie streichelte dabei jedes Mal Kätzchen Käthe, das genauso wie heute auch damals zu ihren Füßen lag, behaglich schnurrend! Ob das Tierchen eine Antenne dafür hat, wenn Frauchen ihren Trost braucht? Frauchen lächelte jedenfalls zaghaft, das schnurrende Kätzchen im Visier, und das zur spürbaren Erleichterung aller besorgt drein blickenden Mienen im Stuhlkreis.

      „Hoch soll es leben!“ Bei jedem Enkelgeburtstag musste, sollte oder durfte, je nachdem, wie das Geburtstagskind das Hochheben und Schütteln auf der männlichen Händebrücke empfand, dieses Ritual vollführt werden. Und nun lächelte zur Freude aller sogar die Großmutter.

      KAPITEL VIER

      „Grandma, wie herrlich ist es mit dir zusammen das Frühstück einnehmen zu dürfen! Wie unvorstellbar, in Abwesenheit deines köstlichen Gelees dejeunieren zu müssen! So wie dein lauschiger Kamin, in dem die Funken sprühen, aber sicherheitshalber nur, wenn Papa dabei ist, und erst recht ein Leben ohne deine Schatztruhe hier … alles zusammen genommen: ein ‚Ohne‘ wäre nicht auszudenken!“, und dabei zeigt sie auf den altgedienten Sekretär, der so viel zu erzählen weiß, besonders all jenes, das besonders auch junge Mädchen brennend interessiert. „Und bedenke, Grandma, mein Besuch bei dir, ohne deine Rosen und ohne deinen Frühstücksstuten, weißt du noch, wie ich früher die Rosinen herausgepickt und gezählt habe? – ohne alle diese Dinge ‚grandmother-like‘, wäre doch alles wie fade und nur halb so vergnüglich und todlangweilig dazu und überhaupt, ein Hiersein ohne meine verehrte Großmutter, meine Grande Dame, oh, wie sterbenslangweilig der bloße Gedanke nur daran! Na ja, ein Palast ägyptischer Art ist es nicht gerade, aber eben ein Landhaus fürstlicher Art, gerade zum Wohlfühlen wie für dich geschaffen! Immer wenn ich mit dem Postbus zu dir hergefahren komme, bewundere ich die riesigen Mohnflächen. Das alles sieht mir sehr nach geheimnisvollem Opiumhandel aus, der hier früher im wahrsten Sinne des Wortes Blüten trieb! Oder, was meinst du, verehrte

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