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alte Herr, als er seine Gehirnarbeit in zügigem Tempo offeriert. Die jüngere Frau kann sich schwerlich ein Lächeln nicht verkneifen, denn für einen kurzen Moment scheint der betagte Onkel in die Rolle eines rotwangigen Jünglings zu schlüpfen, der dem besten Freund seine neueste Eroberung präsentiert.

      „Eitzen, mein Liebling, Eitzen, heißt dieser gute Mann! Evel erwähnte diesen Namen früher einige Male! Wir haben da doch noch … Ja, meine Käthe, was meinst du dazu?“ Lady Ethel krault Kätzchens Fell. Das Tier hat es sich im Faltengewand der alten Dame derweil gemütlich eingerichtet, wohlig schnurrend.

      „Ja, Adelaine, wir müssten ihn gewissermaßen noch haben!“

      Schwager Jacob, der bisher kopfnickend dem Vorgetragenen gelauscht hatte, spreizt seine eben noch gefalteten Hände, beugt sich zu Ethel mit seiner rechten Seite so weit hinüber, wie es sein altersschwacher Rücken ohne in die einzelnen Bestandteile zu zerbrechen, gerade noch erlaubt, und stellt die Frage: „Gnädigste, würden Sie bitte so gütig sein, Ihre Mitteilung in vollkommener Gänze darzubringen?“

      „Oh, selbstverständlich verehrter Herr, ich werde das Vergnügen haben, Ihnen mitteilen zu können, dass dieser besagte Ochsenknecht-Brief des Herren von Eitzen sich in derselbigen Schublade befinden müsste wie die dargebotenen Schätze hier!“ Einer ihrer Finger zeigt auf den Tisch, während die andere Hand auf Käthchens Miauen hin, zu dieser Stelle zwischen den Ohren dorthin langt, wo es ihrer Katzenfreundin immer besonders behagt, liebkost zu werden. „Du bekommst auch gleich deinen Schmaus, meine Süße!“

      „In der vorletzten der breiteren, und zwar in der linken wirst du ihn finden!“ Adelaine amüsiert sich köstlich über die Konversation der Alten und angelt sich nach wenigen erfolglosen Bewegungen diesen sensationsversprechenden Brief hervor. „Aber erst später wird er studiert.“ Sie betont das ‚später‘ so sehr, dass die beiden anderen sie erstaunt ansehen, sich aber schließlich ihrem Wunsch wortlos fügen. „Ich möchte nämlich, dass mein verehrter Großonkel noch lange mit dem Lebensborn verbunden bleibt. Nur diesen begonnenen ‚Franzen-Brief‘ lese ich noch zu Ende, ehe wir uns auf Wildpastete & Co. stürzen. Und dank hervorragender Kooperation ihrer Augen und Finger gelingt es ihr bald, die richtige Briefstelle wiederzufinden.

      „Ja, Adelaine, komm’ bald zu einem Ende, du hast recht, du weißt es …“ Der alte Herr reibt sich die Augen, ehe er weiterspricht. „… wenn sich zum Magenknurren noch Schläfrigkeit gesellt, dann kann es für alte Herrschaften nur eine Devise geben: Wachsamkeit allerorten!“

      Weil zwei altersschwache Pferde nicht mehr genug Energien aufweisen, hastet die junge Vorleserin in ziemlichem Tempo ihrem Leseziel entgegen: „Franz B. durchlebte eine sehr schwere Zeit in Lauenburg. Schon zuvor hatten Herrscher des askanischen Uradelsgeschlechtes im dortigen Umkreis Kirchen überfallen und ausgeplündert. Bürger und Bauern vergriffen sich ebenso an kirchlichem Besitz. Der ihm als Superintendent zur Seite gestellte Diakonus verrichtete sein Amt nur mangelhaft, so dass Franz immer wieder vehement gegen die kirchlichen Missstände angehen musste. Streitereien der Theologen verschiedenster protestantischer Glaubensrichtungen versuchte er zu besänftigen. Als er sich 1581 weigerte eine neue Kirchengesetzordnung, basierend auf zwölf Punkten der Konkordienformel, auch ‚Bergisches Buch‘ genannt, zu unterschreiben, wurde er infolge dessen seines Amtes enthoben. Er blieb damit seiner streng lutherischen Glaubensüberzeugung treu. Anschließend als Pfarrer in der Gemeinde Lütau tätig, vermerkt er später: ‚Die Leute seind fleissig, zu Gottes Wort halten sie auch die Kinder dazu, sie sind willig, dem Pastor seine Gebühren zu geben.‘ Im Kreise seiner großen Familienschar verstarb er 1589. Sein genaues Sterbedatum ist nicht bekannt. Diese Zeilen verfasste Sir Francis Baren, Lord of Northbrook im Jahre 1800.“

      „Amen!“ Der alte Herr faltet die Hände wie zum Gebet. Aber so ganz richtig stimmig vereinen sich die Finger nicht mehr miteinander. Seine Hände bewegt er nach oben, wobei die Fingerspitzen steil hoch gerichtet stehen. „Verdammt und zugenäht, das ewige Reißen in den Fingern! Es schaut ja so aus, als ob sie dem lieben Gott einen Stups verpassen wollten. Mich kannst du ruhig noch etwas vergessen!“, murmelt er nach dem Amen und ruft vorsichtshalber noch hinzu: „Hast Du’s auch wirklich gehört, lieber Gott? Ich habe nämlich hier unten noch einiges zu tun! Jetzt vor allem meinen Magen mit Deinen Köstlichkeiten füllen.“ Sein Blick gen Zimmerdecke streicht an seiner Schwägerin vorbei, die sich bekreuzigt und das wiederholt, was sie ihr gesamtes langes Leben getan hat, diesen Wunsch für die Verstorbenen auszusprechen, dass sie in Frieden ruhen mögen. Und wie inständig diese Bitte sein kann, wie sehr sie sich damals aus traurigsten Herzen nach oben quälen musste, das hatte sie bei Evels Tod erfahren müssen. Bettelnd hatte sie diese dem Allerhöchsten vorgetragen, um ja sicher zu gehen, dass sie bei Ihm auch Gehör findet.

      „Adelaine, bitte reiche mir meinen Stock! Stütze mir bitte meine Arme! Ach, mein Gott, oder wäre es doch nicht besser, wenn … Alles ist so beschwerlich im hochbetagten Alter … Aber, nein, lieber Herrgott, es bleibt doch dabei, oder ….? Ich rieche schon den Wildschweinduft! Komm’ Adelaine, kommen Sie verehrte Schwägerin, es ist alles für uns bereitet, wie ich mit Freuden sehen darf!“

      Mrs. Smith hält die Türe zum Esszimmer geöffnet und alle drei werden der Köstlichkeiten gewahr, die ihnen die vorzüglichen Hände der Frau Köchin zubereitet haben. Dieser Duft!

      KAPITEL ACHT

      „Ethel, Mamas Quittengelee schmeckte irgendwie runder! Und Marys auch! Sie hat nämlich das Rezept ihrer Mutter mit in unsere Ehe gebracht! Und das mundete genauso gut wie dasjenige unserer Mutter!“

      Bums, das saß aber!

      Adelaine spürt wie Großmutters Buckel noch etwas mehr in sich zusammensackt. „Grandma, höre bitte, ich prämiere dein Gelee als das Allerbeste, was ich je genossen habe!“ Die Enkelin streckt ihre Hand aus, führt sie gemächlich über den Großmutter-Buckel und spürt bei ihrer Berührung wie die Schulterblätter ein wenig pieken. Ihr Rücken hat schon bessere Zeiten erleben dürfen. Stark wie eine Eiche! Es war einmal, so fangen alle Märchen einmal an! Adelaine spinnt ein Gedankennetz: Mit Großmutter im Garten Fangen spielen, als Huckepack auf ihrem strammen Rücken durch Feld und Wald laufen, gegen ihren warmen Körper gepresst, auf Großmutters Schoß ‚Hoppereiter-Schaukeln‘ und ihren kuscheligen Bauch dabei spüren, all das war so wunderschön und ist unwiederbringlich! Aber auch wenn ihr Rücken runder und runder wird – so zeigt sie durchaus noch Rückgrat, gerade so wie in alten Zeiten! Haltung beweisen, wenn es hart auf hart kommt, wenn es darum geht, Prinzipien zu verteidigen … ja, dabei ist sie ganz die Alte – ihre verehrte Grandma! Adelaine zuckt sekundenlang zusammen. Ach, ja, … jetzt, heute ist es auch schön, anders schön! Ich sollte doch nicht …, ich sollte das Gedankenkarussell stoppen!

      „Meine Grandma! Meine liebste Grandma!“ Und frisch und forsch wie ein junges Erdenwesen es sich noch erlauben darf, auch wenn es gewissen Kreisen nicht schicklich erscheint, so befreit sie sich jetzt von jeglichen konventionellen Zwängen, springt auf, um einen herzhaften Schmatzer auf Großmutters Stirn zu drücken, genau dorthin, wo sich jetzt Schweißrinnsale gebildet haben. Großmutter transpiriert mehr als früher, das vertraute sie einigen Wenigen in einer stillen Stunde einmal an. Und Schwagers Despektierlichkeit wirkt sicher nicht gerade schweißtötend, vermutet das junge Mädchen, das daraufhin eine großmütterliche Verwandlung erleben darf: Die alte Dame lächelt und die junge Dame merkt, wie sich ihr Rücken mehr und mehr wieder hebt, soweit dies einem Buckel, der in die Jahre gekommen ist, noch möglich ist.

      „Über unseren Urvater Franz etwas zu erfahren …, wieder etwas zu hören“, verbessert sie sich „… das ist aufregend für mich und wunderbar, auch wenn er wahrlich kein leichtes Leben gehabt hat. Ich stelle mir dann immer vor, wie die hochwürdigen Theologen vor ihre Gemeinde getreten sind: Mit langem wehenden Talar, mit einer so eng in Rüschen gefassten Halsbekleidung, dass man Angst bekommen musste, dass den Geistlichen die Luft zum Atmen genommen wird. Auf dem Kopf des Reformators Luther – das habe ich auf einem Bild so gesehen – da thronte solch’ ein großer schwarzer Hut, der so aussah, als ob der hohe geistliche Herr schon allerhand Kopfnüsse über sich hatte ergehen lassen müssen, denn der Hut wirkte oben herum sehr eingequetscht. Ja, mir gefällt es, dass unser Vorfahre absolut kein Draufgänger gewesen

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