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Tod in Leben zu verwandeln vermag. Es ist dieser Gedanke – nämlich die existentielle Bedeutung des Todes für die Erhaltung und Weitergabe des Lebens – der den Archäologen und Religionswissenschaftlern bislang entgangen ist… man hat sich nicht vorstellen können, dass man den Tod als schöpferische Kraft erfuhr. (62 - 63)

      Ausdruck solcher Vorstellungen sind die zahlreichen Mythen, in denen die Entstehung der Welt aus der Tötung und Zerstückelung eines Ur-Wesens erklärt wird oder das Opfer eines jungen Lieblings der Göttin notwendig ist, um die Fruchtbarkeit der Erde zu sichern. So wird der Himmel etwa als steinerne Kuppel gedacht, die von einem Helden mit einem Hammer, einer Axt oder einem Vajra (Indra in Indien) zerschlagen wird. Der Stein erscheint geradezu als Manifestation von Schöpferkraft, was sich in zahllosen Steinkulten ausdrück, die auf der ganzen Erde verbreitet sind. Die Geburt des Mithras aus einem Stein ist ein später Widerhall solcher Vorstellungen.

      Voraussetzung für neues Leben ist der Tod eines (anfänglich sicherlich freiwilligen) Opfers: die Zerteilung von Kornpuppen, deren Stücke über die Felder verstreut werden, sind ein schwacher Rest solcher ursprünglichen Menschenopfer. Der Mythos von Osiris und Seth spiegelt keinen Mord wieder, sondern ein Kultopfer, das Fruchtbarkeit erzeugt (aus Osiris’ Leib wachsen Pflanzen) – woraus übrigens auch folgt, dass Gott Seth in diesem Mythos nicht einfach nur der „Böse“ sein kann. „Die Zerstückelung eines Urzeitwesens und das daraus Hervorgehen von Kulturpflanzen und Tier ist ein weltweites Mythologem.“ (S. 72). Der Opfertod wird als Hochzeit mit dem Gott oder der Göttin gefeiert, das Opfer wird selbst vergöttlicht und als Bote zu den Göttern geschickt. Teilweise scheinen die Opfer auch lebendig begraben worden zu sein, was man noch aus einer Koranstelle herauslesen kann (Sure 81,7 - 10), die einen vorislamischen Brauch verurteilt.

      Hekate ist sicherlich eine Nachfahrin dieser steinzeitlichen „starren nackten“ Göttin. Allerdings hat sich ihre Erscheinung im Laufe der Geschichte zweifellos an die Gegebenheiten angepasst; wir müssen insbesondere berücksichtigen, dass ursprünglich matrizentrische Vorstellungen in einen patriarchalen Kontext eingepasst wurden, was dazu führen kann, dass ursprünglich positive Eigenschaften negativ gewertet werden oder ursprünglich sinnvolle Symbole später nicht mehr richtig verstanden oder missdeutet werden. Wenn wir versuchen, Hekates Wesen provisorisch zu umreißen, ergibt sich ungefähr folgendes Bild:

      Hekate ist ein Aspekt der großen Erdgöttin. Die Erde steht für alles, was Form und Materie ist; da die weibliche Kraft im Universum die Gestaltgeberin ist, die die ursprünglich ungebundene Energie in eine Form bringt. Die Erde ist auch das Reich der Toten und der Ort der Wiedergeburt: Wenn etwas stirbt, existiert eine subtile Form des Lebewesens weiter, die in die „Unterwelt“ geht und dort aufgesucht oder beschworen werden werden kann. Schon zu Lebzeiten kann sich der subtile Körper von dem grobstofflichen Fleischkörper trennen und im Traum oder in Trance umherwandern; solche Schattenkörper können durchaus Schaden anrichten, weshalb man in der Antike großen Wert darauf legte, sich vor den Seelen der Verstorbenen zu schützen. Der Ort dieser Schattenwelt wird allgemein unter der Erde gedacht. Die Göttin, die diesem Unterweltbereich vorsteht, ist ein Aspekt der Erdgöttin, aber ein eher verborgener, unheimlicher Aspekt, der nicht direkt greifbar ist und das Zwischenreich des Traums, des Todes, des Okkulten, der Hexerei und Magie beherrscht. Dieser Zwischenbereich wird mit der „schwarzen“ Sonne in Verbindung gebracht, die nachts unter der Erde von Westen nach Osten wandert, später wird dieses Reich in den Mond verlegt.

      Sehr treffend resümiert der französische Archäologe Alfred Laumonier 1958 in seiner Studie über die einheimischen Kulte im antiken Karien, der Heimat der Hekate:

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