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von Stolz, Willen, Mut und kühler Überlegung. Sie trägt einen weichen, rehbraunen Lederanzug. Sehr sinnlich und gleichzeitig deutlich ein Kämpferinnenanzug. Die Arme sind nach beiden Seiten ausgestreckt; wie ein lebendes Kreuz steht sie da; zugänglich, aber mit spürbaren Grenzen, die niemand ungestraft überschreiten wird. Auch sie trägt Sternenschmuck; ein Stern in jeder Handinnenfläche, auf den Fußrücken und einen auf dem Scheitel. Klar, geordnet, kühl, entschlossen. Gefährlich, wenn es sein muss, und niemals im Gefühlschaos. Göttin der Amazonen.

      Ganz zum Schluss erscheint der Seherin schließlich eine entfernte, starre weiße Gestalt, die sie so beschreibt:

      Aus diesem Erfahrungsbericht wird bereits deutlich, dass das vierte Gesicht der Göttin am schwersten zu erfassen ist, auch wenn es unverkennbar ist. Wenn wir versuchen, die vier Göttinnen zu einem Muster zu abstrahieren, ergeben sich vier Göttinnen-Familien, die jeweils mit einer Himmelsrichtung, einer Tageszeit, einer Mondphase, einer Menstruationsphase, einer Jahreszeit, einem Element verbunden sind.

      1. Osten - Luft: Die Göttin erscheint als junges Mädchen oder Jungfrau, Lichtbringerin, Sonnenjungfrau, Frühlingskönigin. Morgendämmerung, zunehmender Mond. Brigid, Hathor, Ischtar/Astarte, Aphrodite, Arianrhod, Vajrayogini. Gold

      2. Süden - Feuer: Die Göttin erscheint als Mutter, liebevoll beschützend oder festhaltend-verschlingend. Mittag, Vollmond, Mittsommer. Maria, Isis, Demeter, Kybele, Tara, Rhea. Rot.

      3. Westen - Wasser: Die Göttin erscheint als weise Alte, Ratgeberin und Führerin, oder als destruktive, dämonische Hexe. Abend, abnehmender Mond, Herbst. Ceridwen, Göttin des Meeres, Baba Yaga, Frau Holle, Frigga, Athene. Weiß.

      Selbstverständlich sind diese vier Grundtypen nicht scharf von einander abgetrennt, sondern fließen ineinander. So kann die gütige Mutter leicht zur dämonischen Verschlingerin werden, und die Todesgöttin kann als unschuldiges junges Mädchen auftreten (wie z. B. in Neil Gaimans „Sandman“-Epos). Wir haben es schließlich nicht mit mathematischen Funktionen zu tun, sondern mit Symbol-Bildern, die ähnlich ambivalent sind wie Traumsymbole. Daher kann die Zuordnung der Farben, Himmelsrichtungen und Symboltiere variieren, wie wir dies auch in der Mythologie feststellen können.

      Hekate, mit der wir uns im Folgenden befassen wollen, ist unseres Erachtens eine Ausprägung des vierten Göttinnen-Aspekts. Dabei werden wir versuchen, ihren ambivalenten Charakter herauszuarbeiten und gegen die gängige Auffassung polemisieren, dass Hekate eine Mondgöttin sei – wenn sie mit dem Mond in Verbindung steht, dann allenfalls mit dem Dunkelmond. Die Fixierung auf die „Mondgöttin“ Hekate verhindert jedoch, ihr ursprüngliches Wesen als Erd- und Sonnengöttin zu erkennen. Die Mondgöttin Hekate ist ein eher sekundärer Aspekt, wie sich im Folgenden, wie wir hoffen, noch zeigen wird.

      Hekate verkörpert den Tod, aber auch die Geburt, ist der personifizierte Übergang, die Herrin der Kreuzwege, die unfruchtbare Zeit, in der sich aber unsichtbar schon das neue Leben vorbereitet, die Einweiherin und Entsühnerin, das Tor zur Unterwelt. Sie ist verwandt mit all den „weißen Frauen“, die in der europäischen Folklore als Todesbotin und Zerstörerin/Erneuerin auftreten, wie z. B. die keltische Morrigan, die germanische Hel, die litauische Giltinè oder die bretonische Ankou. Nach Meinung von Marija Gimbutas stammen alle diese Göttinnen von dem Typus der steinzeitlichen „starren weißen Frau“ ab, der in zahlreichen Gräbern gefunden wurde:

      Die wichtigsten Symbole der Todesgöttin sind unheilverkündende Vögel wie der Geier, die Eule, der Kuckuck, der wilde Eber, die Schlange und der Jagdhund sowie der trockene Knochen. Wir werden sehen, was davon sich bei Hekate wieder findet.

      Die Forschungsergebnisse von Marija Gimbutas haben unseren Blick auf die Tatsache gelenkt, dass die Wurzeln aller heutigen Religionen, aller Götter und Riten, in der Steinzeit liegen. Denn in dieser Zeit begann der Mensch erstmals, Tote zu bestatten, Rituale durchzuführen und Magie zu üben. Eine Rekonstruktion des steinzeitlichen Weltbildes ist daher anthropologisch, religionsgeschichtlich und psychologisch von hohem Interesse.

      Eine behutsame Rekonstruktion der steinzeitlichen Glaubenswelt unternimmt Ina Mahlstedt in ihrem Buch „Die religiöse Welt der Jungsteinzeit“ (2004 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen); ihre Erkenntnisse sollen im Folgenden zusammengefasst werden.

      Der Mensch der Alt- und Mittelsteinzeit war Jäger und Sammler, erst in der Jungsteinzeit erfolgt der Übergang vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit und zum Ackerbau. In Verbindung mit der Agrikultur wird die Beobachtung der Gestirne und die Bestimmung des Jahreszeitenzyklus immer wichtiger, was dazu führt, dass die ursprüngliche Verehrung von Ahnengeistern und Tiergeistern durch einen ausgeprägten Sonnen- und Gestirnkult ergänzt wird (Stonehenge, Planeten identifiziert mit Göttern).

      Erde und Himmel bilden eine Polarität, wobei die Erde als weiblich, der Himmel als männlich gesehen wird. Die Erde ist ambivalent, einerseits die große Mutter, andererseits die große Verschlingerin:

      Denn im zyklischen Vegetationskreislauf steht ihrem Leben gebenden Aspekt gleichwertig eine zum Tode führende Kraft gegenüber. Als Magna Mater war sie Mutter des Lebens und des Todes. Andere weibliche Gottheiten, wie sie heute noch in Indien als Anba, Durga, Kali oder Shakti verehrt werden, wurden als Personifikation der Ur-Energie verstanden, die das Leben rhythmisch entstehen und vergehen lässt. (Mahlstedt, S. 56).

      Der Himmel verkörpert hingegen Ordnung und Zeugungskraft, sein Regen wird daher als Samen verstanden, der die Erdmutter schwängert und befruchtet. Der tägliche Sonnenuntergang sowie die kürzere Sonnenscheindauer im Winter werden als zyklischer Tod des Sonnengottes, als Unterweltsfahrt oder als Wechsel von Sommer- und Wintergott verstanden. Symboltier des männlichen Himmelsgottes ist hauptsächlich der Stier, seine Paarung mit der Erdgöttin wird alljährlich vom König, Stammesfürst, Clanchef und der Hohepriesterin (oder Königin) stellvertretend vollzogen; die Legitimität des männlichen Anführers bedarf anfangs der Bestätigung durch die Göttin und ihre Priesterinnen.

      So bewegt sich das Leben in einem ewigen Kreislauf von Leben und Sterben; das Leben läuft auf den Tod zu, während sich im Tod schon wieder kommendes Leben ankündigt. Für den Menschen der Jungsteinzeit

      war der Tod das Geheimnisvollste,

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