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des Reiches gefordert. Sehr energisch sei dort auch verlangt worden, keine Mitglieder des Stahlwerksverbandes zum Kauf zuzulassen. Da die Regierung das Ansinnen des Reichstags jedoch rundum zurückgewiesen habe, rechnete Reusch aus dieser Ecke nicht mehr mit Einwendungen gegen den Verkauf. Größere Sorgen bereitete ihm die bayrische „Raumer-Gruppe“, der die Regierung von Elsass-Lothringen unbedingt den Zuschlag für das Hüttenwerk geben wolle. Mit der „Raumer-Gruppe“ war vermutlich das süddeutsche Bündnis von Siemens mit der MAN gemeint; dieses Bündnis zweier Giganten der verarbeitenden Industrie mit den liberalen Chefs v. Raumer und Rieppel muss für Reusch ein rotes Tuch gewesen sein. Dagegen wollte Reusch ein Bündnis im Stahlwerksverband schmieden, wobei ihm die Tatsache sehr gelegen kam, dass so wichtige Gestalten wie Vögler von Deutsch-Luxemburg und Hasslacher von den Rheinischen Stahlwerken sich von Woltmann bei der anstehenden Sitzung vertreten ließen. Da Woltmann sozusagen über drei Stimmen verfügte, war zu erwarten, dass sein Verhalten gegen Klöckners kompromissbereitere Einstellung den Ausschlag geben würde. Reusch ließ gegenüber seinem Stellvertreter keine Missverständnisse aufkommen. Er legte genau fest, welche Anträge er zu stellen und welche er abzulehnen hatte.251 Der Verkauf von de Wendel war noch Ende Oktober 1918 Gesprächsthema zwischen der Reichsregierung und den Vertretern der Schwerindustrie!252 Die im September angelaufene Auktion blieb aber am Kriegsende erfolglos, mangels Kaufinteressenten.253

      Auch der Ulmer Industrielle Wieland, Reusch seit langem freundschaftlich verbunden, wollte zur Stelle sein, wenn die französische Industrie in Lothringen zum Verkauf stand. Er musste sich dabei aber ganz auf das Insider-Wissen seines Freundes aus der Schwerindustrie verlassen, wenn es galt, den Wert bestimmter Stahlwerke und Zechen einzuschätzen. Kellermann lieferte seinem Chef mehrseitige Gutachten, deren Ergebnisse Reusch in eine präzise Kaufempfehlung an Wieland einfließen ließ. Reusch wusste auch zu berichten, dass bei einem der Objekte die Rheinischen Stahlwerke bereits zugegriffen hatten.254

      Die im Frühjahr 1918 noch sehr konkreten Pläne für die Kriegsbeute erledigten sich dann endgültig durch den deutschen Zusammenbruch. Die Unternehmer wussten spätestens Anfang Oktober, dass der Spuk zu Ende war. Zu diesem Zeitpunkt musste auch der Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller (VdESI) zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Jetzt plötzlich informierte der Geschäftsführer Reichert die Vorstandsmitglieder, dass der Frieden „uns die Reichslande Elsass-Lothringen kosten“ könne und dass die Industriellen der Regierung jetzt „mit Rat und Tat zur Seite stehen“ müssten.255

      Schon vor 1914 war die „Deutsche Vereinigung“, in der Reusch sich als Mitglied des Reichsvorstandes und Vorsitzender der Ortsgruppe Oberhausen ganz besonders engagiert hatte, zu einer Art Dachverband für die „gelben“ Gewerkschaften geworden. In ihrem Arbeitsprogramm stand die Durchführung von Kursen für die in den Werkvereinen organisierten Arbeiter ganz im Mittelpunkt. Neben der vaterländischen Erziehung und der Immunisierung gegen demokratische oder gar sozialistische Irrlehren standen Fortbildungsthemen wie „Die Kriegspflichten der Hausfrau“.256 Zweifel an seiner politischen Einstellung ließ der GHH-Chef nie aufkommen. Bei der Vorstandssitzung im November 1915 „stimmt Generaldirektor Kommerzienrat Dr. Reusch den Ausführungen des Vorsitzenden über die demokratische Gefahr und die schwache Haltung der Regierung ihr gegenüber, die große Befürchtungen für die Zukunft erwecke, voll und ganz bei.“257 Wie stark Reusch in diesem nationalistischen Verband persönlich engagiert war, wird aus den ständigen, hartnäckigen Beitragsmahnungen an die Kollegen in der Schwerindustrie ersichtlich. Die Höhe der Beiträge aus der Industrie, die Reusch einsammelte, illustriert nebenbei auch, wie stark die Geldentwertung bereits in der Mitte des Krieges spürbar wurde.258 Reusch ließ auch nicht locker bei seinem Versuch, prominente Persönlichkeiten für den Reichsvorstand zu kooptieren. 1917 schlug er u. a. Springorum, Vögler und Kirdorf vor.259 Die Deutsche Vereinigung unterstützte während des ganzen Krieges die annexionistische Kriegszielpropaganda; bis ganz zum Ende im Herbst 1918 hielt sie am Ziel des „Siegfriedens“ fest. Paul Reusch schrieb noch im März 1918, wohl im Rausch des „Siegfriedens“ von Brest-Litowsk, in der Verbandszeitschrift „Deutsche Wacht“: „An dem endgültigen Sieg unserer Waffen ist heute nicht mehr zu zweifeln.“260

      Wo die Deutsche Vereinigung politisch einzuordnen war, geht auch aus der Tatsache hervor, dass bei der Vorstandssitzung am 1. August 1917 in Düsseldorf der Generallandschaftsdirektor Kapp aus Königsberg, die Galionsfigur des Militärputsches gegen die Weimarer Republik drei Jahre später, in den Reichsvorstand kooptiert wurde.261 Kapp wurde einige Wochen später auch zum Stellvertretenden Vorsitzenden der neu gegründeten, extrem nationalistischen „Vaterlandspartei“ gewählt. Die Deutsche Vereinigung trat diesem Sammelbecken rechtsradikaler Kreise korporativ bei. Anders als Stinnes, Kirdorf, Hugenberg, aber auch Duisberg, Wilhelm v. Siemens und Borsig wurde Reusch persönlich anscheinend nicht Mitglied; jedenfalls finden sich in seinem Nachlass dafür keine Belege.262 Auch in dem marxistisch ausgerichteten Sammelband über die „bürgerlichen Parteien in Deutschland“, der penibel alle Vertreter des „Monopolkapitals“ auflistet, wird Reusch nicht erwähnt.263 Dafür erklärte er in diesen Tagen seinen Beitritt zum obskuren „Bund zur Bekämpfung fremden und Förderung deutschen Wesens“.264

      In den letzten Kriegswochen und während der Revolutionsphase 1918/19 tat sich die Deutsche Vereinigung als Propagandazentrum der politischen Rechten hervor. Die Berliner Hauptgeschäftsstelle produzierte serienweise Flugblätter. Im September 1918 bestellte Reusch 10.000 Exemplare des zweiseitigen, eng beschriebenen Pamphlets „Haltet aus!“.265 Er bekannte sich damit zu einem Schriftstück, in dem das ganze Sammelsurium irrationaler, in sich teilweise widersprüchlicher nationalistischer Hetz-Parolen noch einmal ausgebreitet wurde. Erschreckend besonders das weltfremde Festhalten am Endsieg nach vier Jahren Stellungskrieg und drei Wochen, bevor Hindenburg und Ludendorff den Zusammenbruch der deutschen Armee eingestehen mussten und einen sofortigen Waffenstillstand forderten: „Unter dem schweren Druck des U-Boot-Krieges haben die Feinde alle ihre Kräfte an der Westfront eingesetzt, um ohne Rücksicht auf die Blutopfer den so lange schon vergeblich erstrebten Durchbruch durch unsere lebendige Eisenmauer zu erzwingen. Dank der unüberwindlichen Tapferkeit der Unseren sind sie abermals zuschanden geworden.“ Kleine Rückschläge nutzten „die Flaumacher“ jetzt zu pessimistischen Prognosen. „Sie wissen es natürlich besser als unsere großen Feldherren Hindenburg und Ludendorff. Unsere beiden Heerführer sind den feindlichen ebenso überlegen, wie unsere Kämpfer all dem bunten und krausen Gewimmel, das gegen uns zusammengeschleppt worden ist. … Das ungeheure Russland, das mehr als zwölf Millionen Streiter gegen uns ins Feld geschickt hat, ist endgültig aus dem Kampfe ausgeschaltet; Belgien, Rumänien und Serbien sind erledigt. Trotz der vielfachen Übermacht der Feinde ist unser Vaterland von den Schrecken des Krieges frei. Wir stehen heute tausendmal besser da, als in jenen Tagen, da die Russen bis vor Königsberg streiften. … Wir haben gesiegt und immer wieder gesiegt, und wir stehen siegreich tief in Feindesland.“ Deshalb müsse man den Siegesprognosen von Hindenburg und Ludendorff Vertrauen schenken. Sonst drohe Deutschland das Elend einer Besetzung durch die Feinde. „Wir wissen ja alle, was die Ostpreußen durchzumachen hatten, und wir kennen durch die Erzählungen unserer Feldgrauen das grauenhafte Schicksal der Franzosen, deren Wohnstätten zum Kriegsschauplatze geworden sind.“266 Trotz des „grauenhaften Schicksals der Franzosen“ in vier Besatzungs- und Kriegsjahren, verursacht durch den Einmarsch der deutschen Truppen, empörten sich die Verfasser darüber, dass bei Friedensverhandlungen Entschädigungsforderungen für die gigantischen Zerstörungen auf dem Tisch liegen würden: „Für unsere riesigen Kriegskosten und Kriegsverluste sollen wir keinen Pfennig Ersatz erhalten. Dagegen müssen wir, wenn es uns nicht gelingt, durch unsern Sieg den Vernichtungswillen der Feinde zu brechen, diesen ungeheure Kriegsentschädigungen zahlen.“267 Diesen Text ließ Reusch Mitte September 1918 in Oberhausen auf 10.000 Flugblättern verteilen. Bereits im Sommer 1917 war offenkundig gewesen, dass der unbeschränkte U-Boot-Krieg die erhoffte Wirkung verfehlt hatte. Die deutschen Offensiven vom Frühjahr und Sommer 1918 waren gescheitert. Diese militärischen Fehlschläge waren gut informierten

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