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können, dass in einer so grundsätzlichen, wichtigen Frage meine Ansicht gehört wird.“ Er griff den Centralverband und die Reichsregierung scharf an, weil sie „dem Druck der sozialdemokratischen Gewerkschaften gewichen“ seien und weil sie es zugelassen hatten, dass „die national und monarchistisch gesinnten Arbeiter als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt“ wurden.179 Aus Protest legte Reusch sein Amt als Ausschussmitglied des CDI nieder. Auch gegenüber dem Vorstand des Kriegsernährungsamtes zog er einen Rücktritt in Erwägung.180

      Im Kriegsernährungsamt war ihm vorgehalten worden, dass für ihn doch kein Anlass bestehe, seine Unterschrift unter den Aufruf zu verweigern, wenn selbst der Centralverband Deutscher Industrieller unterschrieben hatte. Noch mehr musste ihn eine Anfrage aus der Geschäftsstelle der Deutschen Arbeitgeberverbände irritieren: Der Syndikus dieses Verbandes ließ ihn wissen, dass man die öffentliche Erklärung auch gerne mit unterzeichnet hätte; künftig möge Reusch doch den Arbeitgeberverband rechtzeitig informieren.181 Reusch teilte verschnupft mit, dass er seine Unterschrift zurückgezogen habe, und bestellte den Syndikus zu sich ins Hotel in Berlin: „Vielleicht hat Herr Dr. Tänzler die Liebenswürdigkeit, mich Donnerstag, den 10. August vormittags zwischen 9 und 9.15 in meinem Hotel – ,Russischer Hof’ – aufzusuchen.“182 Auch der Vertreter der gelben Werkvereine in Berlin wurde von Reusch zum Gespräch einbestellt; ihm wurde untersagt, vor diesem Gespräch irgendwelche weiteren Schritte zu unternehmen. Ein Kompromiss kam für Reusch nicht in Frage: „Ich brauche nicht zu betonen, dass der Hauptausschuss [der wirtschaftsfriedlichen Werkvereine] sich das empörende Verhalten maßgebender Kreise unter keinen Umständen gefallen lassen darf.“183

      Batocki, der Präsident des Kriegsernährungsamtes, warb dagegen in einem, ausdrücklich als „vertraulich“ gekennzeichneten, Schreiben um Reuschs Verständnis. Die freien und die christlichen Gewerkschaften hätten kategorisch erklärt, „dass sie mit den ,Gelben’ zusammen nichts unterschreiben würden. Eine Proklamation ohne Unterschrift der freien Gewerkschaften als der einzigen Gruppe, deren nationale Haltung zweifelhaft ist, hätte keinen Zweck gehabt, im Gegenteil hätte sie im In- und Auslande den Beweis erbracht, dass die freien Gewerkschaften nicht für ,Durchhalten’ seien.“ Im Krieg sei für die Regierung leider die Versuchung groß, „denjenigen, die am schwierigsten zu behandeln sind, unter Umständen am meisten durchzulassen und aus der Haut derer, deren Treue man sicher ist, die Riemen zu schneiden.“ Reuschs bitteren Vorwurf aufgreifend, stellte Batocki fest, dass damit noch lange nicht gesagt sei, „dass die Gewerkschaften die allein berufenen Vertreter der Arbeiterschaft seien“. Im Krieg müsse man vieles „herunterschlucken“, nach dem Sieg werde man viele „Verdrehungen“ wieder korrigieren.184 Ganz ähnlich argumentierte auch der Vertreter der wirtschaftsfriedlichen Verbände.185 Aber Entschuldigungen irgendwelcher Art ließ Reusch nicht gelten.

      Der zürnende GHH-Chef bezog jetzt den Reichskanzler Bethmann Hollweg in seine harsche Kritik ein. Wenn er „von der Absicht des Herrn Reichskanzlers Kenntnis erhalten hätte, das Kriegsernährungsamt zu politischen Kundgebungen zu gebrauchen“, wäre er nicht in den Vorstand eingetreten. An den Präsidenten des KEA gewandt, drohte er auch hier – in der ihm eigenen markigen Diktion – seinen Rücktritt an: „Ich bitte Euer Excellenz zur Kenntnis zu nehmen, dass ich es ein für allemal auf das allerbestimmteste ablehnen muss, in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied des Kriegsernährungsamtes mich irgendwie politisch zu betätigen.“186 Sollte es weitere „politische“ Aktionen geben, so würde das unmittelbar seinen Rücktritt auslösen.

      Mehrere prominente Persönlichkeiten aus dem Centralverband der Deutschen Industrie versuchten in den folgenden Wochen, Reusch zu besänftigen. Hugenberg schrieb ihm handschriftlich einen Brief aus seinem Urlaub in Berchtesgaden.187 Aber erst als der Geschäftsführer des CDI sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass Reusch in eine „peinliche Lage“ geraten sei, und versprach, künftig bei allen das KEA betreffenden Fragen mit ihm „Fühlung zu nehmen“, widerrief Reusch seinen Rücktritt. Es kann als wichtiger Hinweis auf die Machtverteilung im Centralverband gelten, dass Hugenberg der Einzige war, dem Reusch seinen Entschluss sofort persönlich mitteilte.188

      Parallel zu dem Gezanke um den Durchhalte-Aufruf bombardierte Reusch den Präsidenten des Kriegsernährungsamtes mit seinen zum Teil recht skurrilen Vorschlägen: Kaffee dürfe in Hotels und Restaurants nur noch in Tassen, nicht mehr in Kännchen ausgegeben werden.189 Die Bevorzugung schwangerer Frauen bei der Zuteilung von Lebensmittelkarten sei abzuschaffen, da viele Frauen eine Schwangerschaft nur vortäuschen würden. Ledige Schwerarbeiter sollten keine Zusatzkarten mehr für Margarine, Hülsenfrüchte und Fleisch erhalten, nur noch für Wurst, da Einige von ihnen damit einen „schwunghaften Handel betrieben“ hätten. Nicht ohne Stolz meldete er auch die Erfolge der GHH in der Landwirtschaft. Die GHH habe auf 52 Morgen Roggen angebaut, 10 Morgen davon seien bereits abgedroschen.190 Woher er wusste, dass die deutschen Bauern zuviel Milchkühe und „unreifes“ Vieh geschlachtet hatten, verriet er nicht, verlangte aber aus eben diesem Grund von Präsident Batocki, den „Fleischgenuss für etwa 4 Wochen ganz zu untersagen“.191 Die Bevölkerung werde die Einführung einer fleischlosen Zeit „ohne das geringste Murren entgegennehmen“.192 Wegen der „Verwüstung des Rindviehbestandes“ müssten vom Kriegsernährungsamt „die radikalsten Mittel“ ergriffen werden. Mit unverkennbarem Sarkasmus empfahl er, die Gewerkschaftsführer des Industriereviers mit ins Boot zu holen. Sie stünden in dieser Sache auf demselben Standpunkt wie er. „Bei der ausschlaggebenden Rolle, welche diese Herren heute bei der Reichsregierung spielen, wage ich noch, auf den Erfolg meiner Anregung zu hoffen.“193

      Reuschs drastische Forderungen bezogen sich nur auf Rindfleisch, nicht auf Schweinefleisch oder Geflügel. Jeder wusste offenbar, dass davon große Mengen aus Holland ins Rheinland geschmuggelt wurden. Da sich daran nicht nur Privatpersonen, sondern auch Werke des Industriereviers beteiligten, hatte Reusch an dem Schmuggel prinzipiell nichts auszusetzen. Er verlangte jedoch vom Kriegsernährungsamt, für eine gleichmäßige Verteilung der eingeschmuggelten Nahrungsmittel zu sorgen.194

      Bei Kartoffeln hatte sich, anders als beim Fleisch, seiner Ansicht nach die Lage etwas entspannt, denn General Groener gab er grünes Licht für die erneute Belegung der Lazarette im Industrierevier mit Verwundeten.195 Als im Herbst bei der Kartoffelernte gute Erträge gemeldet wurden und die Bauern ihre Überschüsse teilweise den Chemiebetrieben im Tausch gegen Kunstdünger anboten, verlangte Reusch von Präsident Batocki, die gesamte Ernte zu beschlagnahmen.196

      Einen Besuch in Belgien nahm Reusch zum Anlass für sehr harte Forderungen hinsichtlich der Lebensmittelversorgung in diesem besetzten Land. Die Ernährung der belgischen Bevölkerung sei gesichert, auch „wenn die Einfuhr von Lebensmitteln aus Amerika abgeschnitten“ würde. Man solle die Amerikaner – sie zählten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Deutschlands Kriegsgegnern – „so bald als möglich aus dem Land jagen“. Bei einer straffen Rationierung der Lebensmittel – dafür legte er eine detaillierte Liste vor – könne sich Belgien „ohne weiteres“ selbst ernähren. Im Durchschnitt seien die Belgier „noch wesentlich besser dran als die deutsche Bevölkerung“.197

      Im September 1916 beschäftigten sich die in der „Nordwestlichen Gruppe“ zusammengeschlossenen Arbeitgeber der Schwerindustrie bei einer Sitzung im Düsseldorfer Industrieclub ausschließlich mit Ernährungsfragen. Grund war die große Unzufriedenheit bei den Schwerarbeitern, die zwar angeblich genug Brot und Hülsenfrüchte erhielten, aber zu wenig Speck und Fleisch. Wieder wurde der Mangel vor allem als Verteilungsproblem dargestellt. Solange dieses Problem nicht beseitigt sei, wären die Werke darauf angewiesen, Nahrungsmittel für ihre Betriebsangehörigen durch Schleichhandel zu beschaffen. Deshalb wurde beschlossen, an den Minister des Innern ein Telegramm zu schicken, damit von staatlicher Seite eine gerechte Verteilung angeordnet würde. Auch müsste der Begriff „Schwerarbeiter“ neu definiert werden. Als Vorstandsmitglied des Kriegsernährungsamtes fiel Reusch in dieser Sitzung ganz selbstverständlich eine Expertenrolle zu. In langatmigen Ausführungen bot er zum wiederholten Male die Schweinehaltung der GHH den anderen Unternehmern als Modell an. Einen gemeinsamen Einkauf von Lebensmitteln lehnten die versammelten Unternehmer ab, „da weder nennenswerte Mengen zu haben

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