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Niederschrift von dem Treffen im Düsseldorfer Industrie-Club erhielt – in einem elfseitigen Schreiben, bei dem am Ende sein ganzer Ärger über die Zugeständnisse an die Arbeiter und die Friedensresolution des Reichstags vom Juli durchbricht. Inhalt und Stil seiner Äußerungen sind entlarvend und müssen deshalb im Originalton wiedergegeben werden. Nach dem einleitenden Hinweis auf seine eigenen Vorschläge für die Kohleverteilung, die aber „Excellenz Gröner“ in den Wind geschlagen habe, erläutert er lang und breit die Transportprobleme auf der Schiene und auf dem Rhein. 45.000 gelernte Bergarbeiter, davon die Hälfte aus dem Ruhrrevier, seien bereits vom Militärdienst freigestellt worden. Genau dort aber, bei den Arbeitern, lag nach Reuschs Überzeugung das Problem: „Notwendig ist nun aber vor allem, dass die Arbeiter etwas in die Hände spucken und mehr als bisher ihre Schuldigkeit tun. Hätten wir heute die Friedensleistung eines Bergarbeiters, so könnten wir spielend 20–25% mehr Kohle fördern! Diese Mehrleistung kann erreicht werden, wenn die Behörden die systematische Verhetzung der Arbeiterschaft nicht wie bisher weiter unterstützen. Meines Erachtens ist schuld an der ganzen Misere die vollständig verfehlte Behandlung der Massen und der Arbeiter und insbesondere der Arbeiterführer, die unter dem Vorwande, nationale Politik zu treiben, ihre ganze Tätigkeit darauf richten, Unruhe und Unzufriedenheit in die Arbeiterschaft zu tragen.“ Und einmal in Fahrt, nahm Reusch anschließend die Politiker von SPD und Zentrum aufs Korn: „Ebenso wie die schwarzen und roten Brüder die Verhältnisse hinter der Front auf das allerungünstigste beeinflussen und uns das wirtschaftliche Durchhalten erschweren, werden sie schließlich durch ihr ewiges Friedensgerede und durch die unglückseligen Verhandlungen im Reichstag … erreichen, dass wir einen schmählichen Frieden schließen. Deutschland mag zu Grunde gehen, wenn nur die schwarze und rote Internationale triumphiert.“235 Ganz am Ende kommentiert er noch kurz General Groeners Abgang: Dieser sei „persönlich zweifellos ein prächtiger Mensch, der aber an seinem Idealismus und an der teilweisen Verkennung der wirtschaftlichen Verhältnisse scheiterte.“ Einzelheiten zu seinem Abtritt wollte er aber nur mündlich mitteilen.236

      Dem General „Idealismus“ zu attestieren, war kein Kompliment. „Idealismus“ war für Reusch gleichbedeutend mit „Naivität“. „Realisten“ im Gegensatz dazu hielten, in Reuschs Weltsicht, an den extremen Annexionsforderungen fest und lehnten im Innern jegliche Zugeständnisse an die Gewerkschaften ab.

      In beflissenem Ton pflichtete Wieland seinem mächtigen Unternehmerkollegen aus dem Ruhrgebiet bei: „Je höher die Löhne steigen, desto geringer wird die Leistung.“ Zu Reuschs Informationen über die Ernährung der Bergarbeiter meinte er: „Diese sind sogar in dieser Richtung bevorzugt und es ist daher umso unverantwortlicher, wenn sie so wenig leisten.“ Diese Tatsache sei in der Öffentlichkeit nicht bekannt. „Landauf wie landab ist die Ansicht verbreitet, dass überall die Minderleistung auf die mangelhafte Ernährung zurückzuführen sei.“237

      Wieland revanchierte sich durch Stimmungsberichte aus Süddeutschland, die allerdings wenig beruhigend gewirkt haben dürften. Die „Missstimmung“ gegen Preußen wegen des Kohlemangels, der neuen Kriegsanleihe, aber auch wegen provozierender Äußerungen von Stinnes wachse ständig. Stinnes hatte angeblich eine ungeschickte Bemerkung über die „Ausschaltung der süddeutschen Industrie“ bei Kriegslieferungen gemacht.238 Reusch gelang es sicherlich, den Zorn seines württembergischen Kollegen zu dämpfen, als er sich Anfang November einen ganzen Tag Zeit nahm, um ihm die Werke der GHH in Oberhausen zu zeigen.239

      Das Walzwerk Neu-Oberhausen war vermutlich nicht Teil des Besuchsprogramms. Denn wie schon im Sommer wurde dort in diesen Tagen der nächste erbitterte Arbeitskampf ausgetragen. Betriebsdirektor Dr. Ernst Lueg hatte für Sonntag, den 4. November 1917, Nachtarbeit angeordnet. Als der Arbeiter-Ausschuss seine Zustimmung verweigerte, kam es als Folge zu einem Produktionsausfall von 200 Tonnen Rohstahl für Granaten – für Lueg Anlass für eine bittere Klage über die schlimmen Folgen des Hilfsdienstgesetzes: „Im vergangenen Jahr, als noch kein Arbeiterausschuss eingesetzt war, haben die Arbeiter des Stahlwerks ohne jeden Einspruch an etwa 25 Sonntagen nachts gearbeitet.“240 Woltmann nahm sofort Kontakt auf mit dem Generalkommando, um die Einberufung streikender Arbeiter zu erreichen. Die Militärs zögerten jedoch, nachdem sie ihrerseits zwei Abgesandte des Arbeiterausschusses in Münster empfangen und eindringlich ermahnt hatten, und sandten einen Offizier nach Oberhausen. Ihm gegenüber vertrat Woltmann „nochmals scharf den Standpunkt, … dass eingezogen werden muss“.241 Er hatte zuvor von den dringend benötigten Facharbeitern und Maschinisten, die auf Drängen der Unternehmer vom Militärdienst freigestellt worden waren, „28 Mann aufgegeben“.242 Das Ersticken von Streiks durch Einziehung der Streikführer zum Militärdienst – das dürfte den Arbeitern ein Jahr später, als der Krieg zu Ende war, noch gut in Erinnerung gewesen sein!

      Die Verbitterung in der Arbeiterschaft ließ sich im vierten Kriegswinter auch durch zusätzliche freiwillige Leistungen für die Wohlfahrtseinrichtungen des Konzerns nicht mehr besänftigen. Der Geschäftsbericht verzeichnete 11,7 Millionen Mark (499,70 Mark pro Kopf der Belegschaft) – in bereits inflationiertem Geld – für diesen Zweck. Reuschs Freund Wieland, der den GHH-Geschäftsbericht auch erhalten hatte, gratulierte allerdings ausschließlich zu dem „außerordentlichen Aufschwung des ganzen Unternehmens im letzten Kriegsjahr“.243

      Noch während des ganzen letzten Kriegsjahres ging das Gerangel um die nach einem Siegfrieden zu erwartende Kriegsbeute weiter. Deshalb kam auch für die Herren der Schwerindustrie bis zum Schluss ein Verzicht auf Annexionen in Nordfrankreich nicht in Frage. Was mögliche Schnäppchen in den besetzten Gebieten in Frankreich anging, so ließ sich Reusch selbst im Urlaub auf dem Katharinenhof von seinen Untergebenen auf dem Laufenden halten. Die von den preußischen Behörden erstellte Liste des französischen Besitzes ging im Juli 1917 per Eilboten an ihn ab.244 Ganz offensichtlich sollte die GHH sofort zur Stelle sein, falls es interessante Objekte gab.

      Reuschs Hauptinteresse richtete sich auf einen der größten schwerindustriellen Konzerne in Lothringen, den Besitz der Familie de Wendel. Die Werke des Konzerns wurden sofort nach Kriegsbeginn von der deutschen Regierung beschlagnahmt. Im August 1917 wurde die Liquidation eingeleitet.245 Dabei setzten sich einflussreiche Regierungskreise, an der Spitze Staatssekretär Helfferich, für eine Beteiligung des Reiches mit 51 Prozent ein. Die im Stahlwerksverband zusammen geschlossenen Firmen strebten die Übernahme des Konzerns zu 100 Prozent durch Mitglieder ihres Kartells an. Dagegen wollte die Regierung auch weitere Interessenten, z.B. Rathenaus AEG, beteiligen.246 Reusch hatte schon früher verlangt, dass bei der Verteilung der Kriegsbeute vorrangig die Konzerne zum Zug kommen sollten, die über großen Grubenbesitz in der Normandie verfügten, da auch bei einem Sieg diese Gruben in Feindesland möglicherweise nicht zu halten sein würden. Dieses Thema kam jetzt beim Verein deutscher Eisenhüttenleute auf die Tagesordnung. Reusch beauftragte Woltmann und den Rohstoffexperten Kipper, an der Besprechung über den Wert der Normandie-Gruben im August 1917 teilzunehmen.247 Ende 1917 war noch nichts entschieden. Deshalb hoffte Reusch nach wie vor, dass eine Beteiligung der Regierung und anderer Firmen an der Liquidation von de Wendel vermieden werden könne.248

      Am Rande der Generalversammlung des Vereins deutscher Eisenhüttenleute im Dezember 1917 sprach Woltmann, der anstelle des erkrankten Reusch die GHH vertrat, mit den führenden Ruhr-Industriellen das weitere Vorgehen ab. Eine Teilung des Grubenbesitzes von de Wendel sollte in jedem Fall vermieden und Klöckner mit seiner gegenüber der Regierung eher kompromissbereiten Haltung beiseite gedrängt werden.249 Man versteht vor diesem Hintergrund, dass der Verzicht auf Annexionen im Westen, gar der Verlust von Elsass-Lothringen, für die Schwerindustrie völlig inakzeptabel war. Auf dieser Generalversammlung des Vereins deutscher Eisenhüttenleute wurde deshalb die Notwendigkeit von Annexionen im Westen, besonders des Erzbeckens von Briey, erneut bekräftigt.250

      Der Abschluss des Diktat-Friedens von Brest-Litowsk am 3. März 1918 nährte bei der Schwerindustrie ganz offensichtlich die Hoffnung, dass man den Kriegsgegnern im Westen nach dem Sieg derartige Bedingungen würde aufdrücken können. Im März 1918 schien die Übernahme von de Wendel in ein so konkretes Stadium zu

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