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Verhandlungen sei doch, die Elemente der Ordnung zu sammeln und der Anarchie zu steuern.“280 Darauf zogen sich die Gewerkschaftsvertreter zur Beratung zurück. Danach erklärten sie, dass die Wirtschaftsfriedlichen von den Unternehmern finanziert würden und die Gewerkschaften immer scharf angegriffen hätten. Sie fürchteten, dass bei deren Teilnahme „der heute so erfreuliche Gang der Unterhandlungen unliebsame Störungen“ erfahren würde. Als Arbeitervertreter würden sie die Wirtschaftsfriedlichen keinesfalls anerkennen. Wenn der Vorsitzende sie jedoch zu künftigen Treffen einladen sollte, so würden sie deren Anwesenheit hinnehmen. Stinnes ergriff darauf spontan die Gelegenheit zu einem Schlusswort: Die Arbeitgeber nähmen die Erklärung an. Somit sei „ein Weg gefunden … zu einer Zuziehung der Wirtschaftsfriedlichen, ohne dass die grundsätzlichen Gesichtspunkte der Gewerkschaften in irgend einer Weise in Mitleidenschaft gezogen seien.“281 Wenig später würde Reusch klar machen, dass er die Kompromissformel von Stinnes nicht mittragen würde.

      Auch Paul Reusch, Mitunterzeichner der Durchhalteparolen in letzter Stunde, stellte im GHH-Konzern längst die Weichen für die Nachkriegszeit; dennoch fand er die „politischen Verhältnisse“ im Oktober 1918 „beklagenswert“282 – also die Ablösung der Militärdiktatur Ludendorffs durch eine dem Parlament verantwortliche Regierung unter dem Monarchisten Prinz Max von Baden! Schon im Juni 1918 hatte die GHH die Mehrheitsanteile der neugegründeten Deutschen Werft übernommen; Reusch übernahm im November 1918 den Vorsitz im Aufsichtsrat der Werft. Die durch hohe Rüstungsaufträge ausgeweiteten Kapazitäten sollten nach Kriegsende durch die erwartete Schiffsbaukonjunktur ausgelastet werden.283 Der Herr der GHH begann also frühzeitig, den Konzern der Nachkriegszeit zu konstruieren.

      1 Der Kriegsausbruch unterbrach im Sommer 1914 Reuschs Verhandlungen über den Erwerb bzw. die Aufschließung der Eisenerzgruben in der Normandie. Er ergriff die unerwartet sich bietende Gelegenheit aber sofort beim Schopfe, indem er gegenüber der kaiserlichen Regierung eine Art Tausch der Erzgruben in der Normandie gegen viel günstiger gelegene Eisenerzlager in „Französisch“-Lothringen ins Spiel brachte. Eine Kriegsbeute dieser Art konnte natürlich nur zur Verteilung kommen, wenn – anders als 1871, als Bismarck viel zu bescheiden war – wirklich das gesamte Erzbecken „einverleibt“ würde. Reusch reihte sich daher zu Beginn des Krieges in den Kreis der rabiatesten Annexionisten ein, die eine Verschiebung der deutsch-französischen Grenze weit nach Westen und zusätzlich noch die „Einverleibung“ ganz Belgiens, vor allem des Hafens von Antwerpen verlangten.

      2 Bis zum Ende des Krieges hielt Reusch an diesem Großmacht-Wahn fest und kritisierte alle Ansätze, die zu Verhandlungen mit den Kriegsgegnern und damit zwangsläufig zu einem „Verzichtfrieden“ hätten führen können. Reusch gehörte zu den Industriellen, die den rücksichtslosen Einsatz der U-Boot-Waffe forderten und die konsequent auf den Sturz Bethmann Hollwegs und anderer „Flaumacher“ in der Regierung hinarbeiteten.

      3 Feldmans eigenartig wohlwollendes Urteil über Reuschs vergleichsweise „nüchterne“ außenpolitische Einstellung ist nicht haltbar. Vereinzelte diskrete Andeutungen in privaten Briefen, die eine separate Verständigung mit Russland befürworteten, waren pure Illusion. Keiner von Deutschlands Kriegsgegnern war zu einem Separatfrieden zu bewegen. Gegenüber „maßgeblichen“ Männern, auf die Reusch sich bisweilen so geheimnisvoll berief, hat er diese Ansicht auch nie vertreten. Seine Bemerkungen über eine – auf polnische Kosten herbeizuführende – Verständigung mit Russland waren zudem widersprüchlich und ressentimentgeladen: Die Franzosen „werden uns immer hassen“, die Polen auch, mit den Russen könne man langfristig aber wieder Freundschaft schließen.

      4 Die GHH fuhr unter Reuschs Führung, wie alle anderen Rüstungsfirmen auch, hohe Kriegsgewinne ein. Über ihre Verwendung wird im folgenden Kapitel noch ausführlich zu reden sein. Arm in Arm mit seinen Kollegen kämpfte Reusch gegen eine angemessene Besteuerung dieser Gewinne. Ganz vereinzelt kritisierte er besonders skandalöse Auswüchse der Bereicherung an Rüstungsaufträgen, z. B. bei der Produktion von Stacheldraht, wobei es ihm aber weniger um die Höhe der Gewinne selbst, als um die Gefahr eines regulierenden Eingreifens der staatlichen Behörden ging. Zudem hat er die gegenüber dem Chef eines Tochterunternehmens geäußerte punktuelle Kritik nach dessen Erwiderung sofort relativiert. Auch sein persönliches Einkommen kann nicht so schlecht gewesen sein, als er mitten im Krieg das Schloss Katharinenhof kaufte. Es besteht also kein Anlass, Reusch einen Orden zu verleihen, weil er angeblich in unanständiger Zeit einsam die Fahne des ehrbaren Kaufmannes hochhielt.

      5 Dies gilt auch für die Beschaffung von Nahrungsmitteln, wo Reusch bei einer Gelegenheit gegenüber seinen Kollegen auf bestimmte unerwünschte Folgen des Schmuggels bzw. Schwarzmarkts hinwies – eine Kritik, die wenig glaubwürdig war, da diese Form der Nahrungsmittelbeschaffung auch an den Standorten der GHH gang und gäbe war. Reusch, der als Vorstandsmitglied des Kriegsernährungsamtes über das Ausmaß von Hunger und Elend bestens informiert sein musste, weigerte sich penetrant, den absoluten Mangel an Lebensmitteln zur Kenntnis zu nehmen. Für ihn war alles nur ein Problem der Organisation und Verteilung bzw. in der zweiten Kriegshälfte des Preises: Wenn man der Landwirtschaft mehr zahlen würde, würden auch mehr Nahrungsmittel auf den Markt kommen. Ursache des Kohlemangels war seiner Überzeugung nach die zu niedrige Arbeitsleistung der Bergarbeiter. Oberstes Ziel aller Maßnahmen im Ernährungsbereich war für Reusch die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den großen Industriestädten. Hungerunruhen in den Kleinstädten dagegen waren seiner Ansicht nach leicht zu kontrollieren.

      6 Während selbst die militärische Führung erkannte, dass man der Arbeiterschaft Zugeständnisse machen musste, um die Rüstungsproduktion auf hohem Niveau zu halten, beharrte Reusch auch im Krieg auf dem Herr-im-Haus-Standpunkt. Er hatte nichts gegen die Aufweichung von Jugendschutzbestimmungen, um die Jugendlichen, die für die Soldaten in die Fabriken einrückten, auch nachts arbeiten zu lassen, und er weigerte sich hartnäckig, den Frauen die gleichen Löhne zu zahlen wie den Männern, die neben ihnen an der Werkbank standen. Bis zuletzt kämpfte er gegen die Anerkennung der Gewerkschaften, die das Hilfsdienstgesetz wenigstens in Ansätzen mit sich brachte, er unterstützte seinen Stellvertreter, als dieser die Einberufung von Streikenden verlangte und wandte sich selbst gegen die „gelben“ Werkvereine, als diese es ausnahmsweise einmal wagten, höhere Löhne zu fordern. Das unbeschreibliche Elend, das der Krieg der Arbeiterklasse brachte, sah Reusch nicht. Allenfalls den Schwerarbeitern wollte er Zusatzbrotkarten zugestehen.

      7 Auch persönlich hat Reusch sich im Krieg – und am Krieg – bereichert. Eine andere Schlussfolgerung lässt der Kauf des Schlosses Katharinenhof im Jahre 1916 nicht zu. Reusch zahlte mit Kriegsanleihen, flüchtete also in Sachwerte, weil er früher als andere die inflationäre Entwertung der Kriegsanleihen voraussah. Dies hinderte ihn aber nicht daran, noch im Oktober 1918 mit vaterländischem Pathos für den Kauf von Kriegsanleihen zu werben.

       1Gerald Feldman, Paul Reusch und die Politik der deutschen Schwerindustrie 1908 bis 1933, in: Ursprünge und Entwicklungen der Stadt Oberhausen, Band 8, 2009, S. 24–26; amerikanisches Original: Paul Reusch and the Politics of German Heavy Industry 1908–1933, in: Gene Brucker (Ed.), People and Communities in the Western World, Homewood, Illinois, 1979. (Im Folgenden: Feldman, Reusch und die Politik der deutschen Schwerindustrie). Für das von ihm selbst verwendete Zitat (S. 26) verweist Feldman auf: Dirk Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands, Köln, 1970, S. 452. Fundstelle des Originalzitats: Reusch an Syndikus Hirsch, 8. 8. 1916, in: RWWA 130-3001933/10.

       2Zu diesem Thema ist nach wie vor an erster Stelle zu verweisen auf: Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf, 1961 und 1967, hier verwendet der Nachdruck von 2004 (Im Folgenden: Fischer, Griff nach der Weltmacht); vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, München, 2003, S. 26–38 (Im Folgenden: Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte IV); besonders auf die wirtschaftlichen Kriegsziele fokussierend: Georges-Henri Soutou, L’Or et le Sang. Les buts de guerre économiques de la Première Guerre Mondiale, Paris, 1985, zum methodischen

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