Скачать книгу

Wasseralfingen, wo Paul Reuschs Vater gewirkt hatte, wieder aufgebaut. Reusch legte Wert auf die Feststellung, dass die Schwerindustrie in seiner schwäbischen Heimat sich das Walzwerk auf seinen ausdrücklichen Rat hin „in den besetzten Gebieten gesichert“ hatte.112 Auch in den folgenden Monaten stand er seinem württembergischen Landsmann Wieland mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum ging, in den besetzten Gebieten in Nordfrankreich, Werke günstig zu kaufen. Reusch sagte auch präzise, wovon Wieland die Finger lassen sollte.113 In der Endphase des Krieges riet Reusch seinem Kollegen in der württembergischen Industrie von einer Beteiligung an der Liquidation belgischer Firmen ab, da er befürchtete, dass diese Verkäufe bei einem Friedensschluss wieder rückgängig gemacht werden würden.114 Die Gewinnerwartungen, die deutsche Unternehmer mit den Firmenkäufen in den besetzten Gebieten verknüpften, zerschlugen sich natürlich mit der Niederlage. Die Gewinne aus den Rüstungsgeschäften aber blieben erhalten.

      Zurück zum Streit um die Kriegsgewinnsteuer: Reusch nahm an der Handelskammer-Versammlung des niederrheinisch-westfälischen Industriebezirks am 10. Januar 1916 als Vertreter für den Bezirk Essen-Mülheim-Oberhausen teil. Hauptredner bei dieser Veranstaltung war der Essener Syndikus Hirsch, der mit Reusch seit Jahren freundschaftlich verbunden war. Dieser kritisierte, dass die neue Steuer sich nicht nur gegen „ungerechte, mühelos verdiente und wucherische Gewinne“ richte, sondern die „reelle Produktion“ belasten würde. Es bestünde die Gefahr, dass die Gewinnsteuer nach dem Krieg beibehalten würde. Dadurch jedoch würde der „Lebensnerv der gewerblichen Tätigkeit … unterbunden“, und das bei Betrieben, die „aus vaterländischen Beweggründen“ ihr „ganzes Vermögen in den Dienst der Sache gestellt“ hätten.115 Reusch widersprach nicht. Er äußerte sich bei dieser Versammlung nur zur eher technischen Frage der Abschreibungen. Noch am gleichen Tag wandte er sich an den Geschäftsführer des Kriegsausschusses der deutschen Industrie und bat um eine Einladung zur nächsten Sitzung der Kommission zur Beratung der Kriegsgewinnsteuer. Als stellvertretender Vorsitzender der Handelskammer Duisburg interessiere er sich sehr für diese Frage. Zwei Tage später hielt er die Einladung für den 22. Januar in Berlin in Händen. Hauptreferent bei dieser Sitzung sollte Stresemann sein.116 Noch vor dieser Besprechung in Berlin erschien ein Leitartikel in der „Kölnischen Zeitung“ mit der Empfehlung, die Verabschiedung des Gesetzes nicht zu überstürzen. Erst sollte den Handelskammern ausreichend Zeit gegeben werden, ihre Stellungnahmen einzureichen. Der Syndikus der Handelskammer Duisburg hatte Reusch diesen Artikel zugesandt.117

      Fast gleichzeitig wurde im Verein deutscher Eisen- und Stahlindustrieller (VdESI) die Abschöpfung der Sondergewinne beim Export diskutiert. Ein Ausschuss mit Reusch als Mitglied erarbeitete sofort eine elfseitige Denkschrift gegen die „Abgabe eines Teils des gegenüber Inlandsverkäufen erzielten Überpreises“. Am 23. Februar 1916 ging diese Eingabe an den Staatssekretär des Innern, am 29. Februar erhielt Reusch die Stenogramme von der Hauptvorstandssitzung in Maschinenschrift. Wie immer vermerkte er bei einigen Passagen in gut leserlicher Handschrift, wie er seine Wortbeiträge verstanden wissen wollte: Natürlich verlangte er, „dass wir uns ganz energisch gegen die Absicht der Regierung wehren“, und zwar durch eine Eingabe bei mehreren Ministerien und beim Reichsbankpräsidenten. Da vor allem der Reichsbankpräsident „das allergrößte Interesse“ an der Ausfuhr habe, dürfe man sich „unter keinen Umständen von der Drohung einschüchtern lassen, dass eventuell die Ausfuhrerlaubnis verweigert wird.“ Es gebe selbstverständlich unterschiedliche Sichtweisen in der Regierung: Das Innenministerium sei für die Einwände der Industrie eher zugänglich als Reichsschatzsekretär Helfferich, und deswegen müsse man dem Innenminister in einer Eingabe Argumente gegen die Abgabe an die Hand geben. Einen Zwischenrufer fertigte Reusch in barschem Ton ab: „Sie sind ja vielleicht besser unterrichtet als ich, aber ich habe gestern noch Gelegenheit gehabt, mit den allermaßgebendsten Leuten auch über diese Sache zu sprechen, und ich kann nur erklären, dass das, was ich gesagt habe, richtig ist. Sie müssen mir das schon glauben.“ In einem Gegenvorschlag Kompromissbereitschaft anzudeuten, lehnte Reusch ab. „Wir sollten uns mit allen Mitteln gegen jede Abgabe wehren und die Entwicklung der Dinge abwarten.“ Wichtig sei nur, „dass wir energisch vorgehen“.118

      Kein Zweifel: Im Kreise der Schwerindustriellen verteidigte Reusch die im Krieg erzielten Preise und Gewinne „energischer“ als die meisten Anderen. Die von der Schwerindustrie durch den Export ins neutrale Ausland erzielten Gewinne waren enorm. Bedenken, dass diese Ausfuhr der deutschen Kriegsproduktion wichtige Ressourcen entzog und dass deutscher Stahl auf Umwegen bei den Feinden landete, wurden beiseite geschoben. Auch wenn die Konzerne ab dem Sommer 1916 ihre Ausfuhr freiwillig einschränkten, blieb dieser Handel mit den neutralen Ländern eine „kafkaeske, gleichwohl profitable Aktivität“.119

      Die Unternehmer hielten sich in den folgenden Wochen offenbar an diese Anregung: Man praktizierte keine Fundamental-Opposition, sondern man spielte auf Zeit. In einem umfangreichen Schriftverkehr und in weiteren Beratungen im Kriegsausschuss wurden konkrete Forderungen zur Senkung der Steuerbelastung ausgearbeitet, die dem Reichstag im Mai 1916 in einer offiziellen Eingabe vorgelegt wurden.120 Reusch war an diesen Beratungen beteiligt. Was aber seine Rolle im Einzelnen war, geht aus den Quellen nicht hervor. Er gehörte auch zur Delegation des Kriegsausschusses, die den Auftrag hatte, mit der Budget-Kommission des Reichstags zu verhandeln. Stresemann und Hirsch stellten für diese Verhandlungen den Kontakt her.121

      Reusch genoss also in der Frage der Kriegsgewinnsteuer das volle Vertrauen seiner Kollegen. An keiner Stelle gibt es Hinweise, dass er sich von der Preisgestaltung der Industrie generell distanziert, die Gewinne als überhöht angeprangert und eine Abschöpfung übertriebener Profite durch den Fiskus für berechtigt gehalten hätte. Bei dem von Feldman zitierten Satz aus dem Brief an den Direktor des Gelsenkirchener Drahtwerks handelt es sich um eine isolierte, nur intern geäußerte Bemerkung, die offensichtlich auf nicht näher genannte, unseriöse Außenseiter abzielte.

      Zu den Gewinnen der GHH äußerte Reusch sich nicht. Indirekte Hinweise finden sich jedoch in seiner Korrespondenz an einigen Stellen: So beglückwünschte ihn z. B. sein württembergischer Kollege Wieland nach Einsicht in den Geschäftsbericht der GHH im Dezember 1917 zu dem außergewöhnlich erfolgreichen Konzernergebnis im dritten Kriegsjahr.122 Reusch weigerte sich hartnäckig, die Selbstkosten der GHH schriftlich offenzulegen, auch dies ein eindeutiger Hinweis darauf, dass er die eigenen Gewinnspannen verschleiern und Preissenkungen verhindern wollte. Nur mündlich und „nur dann, wenn der Nachweis erbracht werden sollte, dass die bestehenden Verkaufspreise wesentlich niederer waren, als die tatsächlichen Selbstkosten“, habe er bisweilen Auskunft über die eigenen Kosten gegeben.123 Hier ist auch der Hinweis angebracht, dass die GHH nach dem Krieg über gewaltige Summen verfügte, die es Reusch erlaubten, den weiteren vertikalen Ausbau des Konzerns in ganz großem Stil voranzutreiben. Dies legt den Schluss nahe, dass die Kriegsgewinne der GHH unter Reuschs Führung auch nicht geringer waren als die der Konkurrenzfirmen. Was das Einkommen des Generaldirektors Reusch anbelangte, so kann es ihm ebenfalls nicht schlecht ergangen sein, verfügte er doch 1916 über genug Geld, um sich mitten im Krieg das Schloss Katharinenhof in Württemberg zu kaufen.

      Im September 1916 ließ sich Reusch von einem Stuttgarter Maklerbüro eine Liste mit 22 teuren Objekten in Süddeutschland vorlegen. Das Angebot reichte vom Rittergut Oberdischingen, im Besitz der Gräfl. Fugger-Kirchberg-Weißenhorn’schen Standesherrschaft, für 450.000 Mark bis zu dem eher bescheidenen „Kleinen ritterschaftlichen Besitz“ des Freiherrn von Ungelter in Dambach, der für 45.000 Mark zu haben war.124 Für Reusch kamen nur vier sehr teure Anwesen in die engere Wahl. Für das Schlossgut Hohenbeilstein (350.000 Mark) wollte er allerdings wissen, ob er die Besitzung durch den Ankauf der umliegenden Wälder erweitern konnte. Die gleiche Frage stellte er auch bezüglich des Katharinenhofs (230.000 Mark). Beim Rittergut Oberdischingen störte ihn als „unangenehme Beigabe“ die angeschlossene Brauerei. Deshalb fragte er nach der Möglichkeit, diesen Betrieb „abzustoßen“. Das Schloss Roseck (165.000 Mark) kam nur in Frage, wenn er die „umliegenden Waldungen“ hinzukaufen konnte. Auch erkundigte er sich nach den dortigen „Jagdverhältnissen“. Im Oktober

Скачать книгу