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Krieg beginnen. In einem Schreiben an den Kriegsausschuss der deutschen Industrie in Berlin plädierten sie für die Einrichtung eines „Kriegswirtschaftsamtes“, um eine bessere wirtschaftliche Vorbereitung des nächsten Krieges sicherzustellen. Im Einzelnen dachten sie dabei (1) an die Sicherstellung der Rohstoffversorgung für die Industrie, (2) die Ernährung, (3) die Rüstungsproduktion und (4) an die Zuführung der Arbeitskräfte hinter der Front.96

      Der „Burgfrieden“ wurde im Herbst 1916 auch in den Werken der GHH aufgekündigt. Von da an ging es nicht mehr um die „Zuführung der Arbeitskräfte hinter der Front“, sondern um die Rechte der Arbeiter, um die Anerkennung der Gewerkschaften und um die Beilegung von Streiks.

      Die Gewinne der Rüstungsindustrie waren gewaltig. Wehler spricht von „horrenden Gewinnspannen“, die generell um 50 Prozent, in einzelnen Sektoren der Rüstungsindustrie um bis zu 800 Prozent über dem Friedensniveau lagen. Bereits während des Krieges wurden die Gewinnmargen heftig kritisiert und von den Vertretern der Großindustrie empört verteidigt.97 Dass auch die GHH am Krieg prächtig verdiente, kann keinem Zweifel unterliegen. Schon ab 1915 produzierte der GHH-Konzern nicht mehr nur die Rohmaterialien Eisen und Stahl, sondern war mit dem Werk Sterkrade in großem Stil in die Fertigung von Minenwerfern und Geschossen eingestiegen.98 Im Februar 1915 konnte Reusch seinem Aufsichtsrat einen ersten großen Auftrag über 7 Millionen Mark für 15- und 21-cm-Granaten vermelden, vier Monate später einen weiteren Auftrag für Geschosse über 18 Millionen Mark.99 Ab 1916 begann bei der GHH auch die Produktion von Lafetten und Geschützen, „nachdem die Not der Zeit uns zwingt, ebenfalls auf den Bau von Geschützen loszugehen“.100 Welche Rüstungsgüter die GHH produzierte und wie hoch die Gewinne waren, müsste eine Unternehmensgeschichte der GHH offenlegen. In diesen Kontext wäre dann das verschiedentlich geäußerte Lob für Reuschs Mahnung zur Zurückhaltung einzuordnen. Aber auch ohne genaue Zahlen machen die Materialien in seinem Nachlass eine erste Beurteilung möglich.

      Abb. 7:Foto aus der Geschossfabrik Sterkrade, StA Oberhausen

      Feldman stützt sich bei seinen anerkennenden Sätzen für Reusch, der nicht so „selbstgerecht“ aufgetreten sei, wie dies anscheinend die Regel war,101 auf einen einzigen Brief an Direktor Boecker, den Leiter des 1912 in den GHH-Konzern eingegliederten Drahtwerkes in Gelsenkirchen. Reusch kritisierte in diesem Brief die „fortgesetzte Preissteigerung in den Erzeugnissen der Eisenindustrie“; auch im Stahlwerksverband habe er gegen eine Preiserhöhung „gekämpft“, aber ohne Erfolg; er „beauftragte“ Boecker nun, „in keinem Verbande und keiner Konvention bis auf Widerruf irgendwelchen Preiserhöhungen zuzustimmen, ohne dass Sie sich meines Einverständnisses versichert haben“. Er lehne nämlich die „Verantwortung für die Konsequenzen einer Preispolitik ab, wie sie kürzlich von kurzsichtigen Industriellen betrieben wurde“.102 In einem weiteren Schreiben machte er klar, worum es ihm vorrangig ging: Er wollte ein Ende der öffentlichen Diskussionen über die Preiserhöhungen in der Eisenindustrie und auf keinen Fall, als Folge dieser Diskussionen, die Festlegung von Höchstpreisen durch die Regierung.103 Reuschs „Widerruf“ erreichte Boecker schon drei Monate später, jetzt in ganz verbindlichem Ton. Er sprach von einem „Vorschlag“ bzw. einer „Anregung“, mit der er einem Einschreiten der Regierung habe vorbeugen wollen. Natürlich lasse er Boecker völlig freie Hand bei der Preisgestaltung für seine Drahterzeugnisse.104 Reuschs Kritik an dubiosen Zwischenhändlern, die am Anfang des Krieges ein Riesengeschäft z.B. mit Stacheldraht machten, – von Feldman nicht erwähnt – könnte auch als Beleg für seine kritische Einstellung gegen überhöhte Gewinne gedeutet werden.105 Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass er diese Sache nach dem Februar 1915 weiter verfolgt hätte. Schon ganz am Anfang des Krieges hatte Reusch auch in einem Schreiben an Sorge, den Direktor des Krupp-Gruson-Werkes, die starke Preiserhöhung bei „Schnellverseilmaschinen“ kritisiert. Nachdem dieser ihm erläutert hatte, dass die Produktion dieser Maschinen sonst ein Verlustgeschäft wäre, bedankte der GHH-Chef sich höflich für diese Erklärung und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass es gelingen möge, „mit meiner Abteilung Gelsenkirchen sich über das Geschäft zu verständigen“. Sorge teilte am Ende mit, dass sein Sohn jetzt an der Ostfront sei. Auch Reusch gab seinem Brief eine private Note: „Mein Ältester ist immer noch nicht an der Front, hofft aber, jeden Augenblick dorthin abberufen zu werden.“106

      Bei den Briefen an Boecker handelt es sich um konzerninterne Schreiben, bei der Korrespondenz mit Sorge um vertrauliche Geschäftskontakte mit teilweise privatem Inhalt. Nach außen, vor allem innerhalb der Verbände der Schwerindustrie oder gegenüber Regierungsstellen, hielt Reusch sich mit Ermahnungen zurück. Weder in den Niederschriften der Aufsichtsrats-Sitzungen des Stahlwerksverbandes, noch in sonstigen Versammlungen oder im Schriftverkehr der GHH mit dieser Kartellorganisation findet sich irgendein Hinweis auf Reuschs „Kampf“ gegen Preiserhöhungen. Er nahm 1915/16 an den Sitzungen regelmäßig teil und folgte offensichtlich durchweg der vorherrschenden Meinung.

      Im August 1916 standen „Preismaßnahmen seitens Kriegsministerium und Kriegsrohstoffabteilung“ auf der Tagesordnung einer informellen Besprechung im Hotel Adlon in Berlin. Neben Reusch nahmen solche Schwergewichte wie August Thyssen, Klöckner, Stinnes, Beukenberg, Springorum, Hasslacher, Röchling und Kirdorf teil. Die Preise für Kriegsmaterial sollten sich künftig aus den Selbstkosten und einem Aufschlag von 10% errechnen. Dies setzte natürlich die Offenlegung der Kosten voraus, was die illustre Runde aber einhellig ablehnte. Auch Reusch äußerte keine abweichende Meinung, obwohl er in diesem Kreise hatte berichten müssen, dass die GHH in einzelnen Fällen die Selbstkosten für bestimmte Rohstoffe an die Kriegsrohstoffabteilung gemeldet hatte.107 Im September verpflichtete er sich auch gegenüber den wichtigsten Interessen-Verbänden der westlichen Schwerindustrie (Nordwestliche Gruppe des VdESI und Langnamverein), der Regierung künftig keine Informationen mehr über die Selbstkosten zu geben.108 Abgesehen von den ganz wenigen zitierten Beispielen findet sich in seinem voluminösen Nachlass nirgends eine Kritik an den Preisen der Schwerindustrie bzw. den Kriegsgewinnen. Dass er die Gewinne seiner eigenen Firma und der Schwerindustrie insgesamt für berechtigt hielt, geht auch aus der Tatsache hervor, dass er die heftige Kritik der Wirtschaftsverbände an der Kriegsgewinnsteuer in vollem Umfang mit trug.

      Was Feldmans sehr wohlwollenden Umgang mit der Gestalt des GHH-Chefs angeht, so sei abschließend der Hinweis erlaubt, dass Feldman in seinem Erstlingswerk zwei Seiten vor dem Reusch-Zitat eine Karikatur des Simplicissimus einschiebt mit zwei Industriellen, denen das „Herz blutet“, weil sie „an diesem schrecklichen Krieg“ soviel Geld verdienen müssen. Sie trösten sich mit dem aufmunternden Satz: „Kopf hoch, lieber Freund – einstecken und nicht verzagen!“109 Trifft dies nicht genau das Verhalten von Reusch, der anscheinend intern bisweilen Unbehagen äußerte, aber offiziell im Ensemble der Industriellen nie aus der Reihe tanzte?

      Im Dezember 1915 war der Gesetzentwurf über die „Besteuerung der Kriegsgewinne“ in den Reichstag eingebracht worden. Am 20. Dezember debattierte der Reichstag zum ersten Mal über die Vorlage.110 Wenige Tage nach dieser Sitzung des Reichstages war die Kriegsgewinnsteuer das Hauptthema bei der Vollversammlung der Handelskammer Duisburg. Dabei war die Grundstimmung eindeutig: Steuererhöhungen wurden abgelehnt; die Kosten des Krieges sollten den unterlegenen Feinden aufgebürdet werden. Ein namentlich nicht genannter Redner trug unwidersprochen folgende Meinung vor: „Da sollte es selbstverständlich sein, dass unsere Feinde die Kosten tragen müssen. … Denn sie haben den Krieg gewollt, sie sind bisher besiegt, und sie sträuben sich obendrein, auf Grund der vorliegenden Tatsachen mit uns Frieden zu schließen. … Heute lässt sich bereits ein Teil der Verzinsung unserer Kriegskosten den besetzten feindlichen Gebieten auferlegen.“111 Eine „Strafsteuer“ auf Kriegsgewinne wurde abgelehnt. Ob Reusch bei dieser Versammlung anwesend war, ist nicht bekannt. Auch bleibt unklar, was genau mit der „Verzinsung“ der Kriegskosten gemeint war, die man den besetzten Gebieten auferlegen wollte.

      Dass Teile der Industrie bereits eifrig damit beschäftigt waren, sich

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