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Dazu klimperte sie sehr erstaunt noch zwei-, dreimal mit einem vollständigen Satz plastisch verlängerter Wimpern, dass ich meinte, in der Ferne das künstlerisch-klangvolle Klacken katalanischer Kastagnetten zu vernehmen.

      „Als Maurer, nehme ich mal an! Und heute ist er ein zufriedener Hausmeister, oder knurriger Frührentner. Nur wie gesagt, ist das Heute jetzt. Und für das Jetzt ist es bei mir heute zu dunkel.“

      „Hausmeister!“, starrte sie mich geistesabwesend an.

      „Na gucke ma, Captain Future, nu guckste!“

      Und wie sie guckte. „Wie in aller Welt …?“

      Ich brachte das Pendel, welches sich bei näherer Betrachtung als Lot zu erkennen gab, zum Schwingen. Wenn man schon solch Werkzeug zweckentfremdet, sollte man wenigstens diese Maurerschnur gegen ein Seidenband oder ähnliches austauschen. Auch die Kalkreste zu entfernen währe von Vorteil. „Betriebsgeheimnis!“, ließ ich sie, mit immer noch erschlafftem Südgesicht, Rätsel ratend zurück und wünschte der Verblüfften dann doch besser noch maximale Kampferfolge.

      Vorn am Tresen war mir schon bei Ankunft ein Plakat aufgefallen, welches mit Datum ins Auge stach:

      „21. 12. 2012“ und dem Diskussionsfreien Slogan:

      „Weltuntergang! – Der erste wird dein letzter sein!“

      Die gut gemeinte, aber doch zukunftslose Perspektive unterstrich man mit den aufschlussreichen Lettern „Dein Leben nach dem Morgen – Nur noch heute!“ und einmal für quer die unsinnige Verlockung „Zum halben Preis“. Ich wagte es nicht, danach zu fragen. – Einmal reicht! Zuversichtlich, dass der Weltuntergang ein Hirngespinst zugekokster majanesischer Wanderschamanen. Denn wenn wirklich, was macht dann diese Witch of Modern Art noch auf ihrem Posten? Da wär ich doch schon lang auf Party! Oder nich’, oder doch? Obwohl, so aufgebrezelt wie sie sich hatte, war sie schon in Partystimmung und direkt auf dem Sprung. Oder wie, oder was?

      „Was?“, zerkratzte mir doch was mit grusliger Stimme mein Innenohr. Wie ich mich nach rechts dem nächsten Zelt zuwandte, starrte mich zwischen zwei Bücherstapeln die mir schon bekannte Gruftine von unten herauf an. Grimmig grollig wiederholte sie raunend: „Da bist’e ja!“

      „Ich bin wo?“

      „Auf der anderen Seite, wo sonst? Eh Alter. Ick hab’ dir doch jesagt, dass wir uns auf der anderen Seite sehen. Wohl verjessen wa? Oder haste deine Troppen noch nich jenommen?“

      Wie, meine Troppen? Was denn für Troppen? Ein wenig überrascht fällt mir für ihren Verkaufsstand eine etwas völlig unlogische Feststellung ein: „Du kannst ja ganze Sätze reden?“

      Entsetzt kniff sie ihre auf düster geschminkten Augen gefährlich bös zusammen: „Hältst mich woh für doof?“ Den Spruch kenn ich doch. Vor gar nicht allzu langer Zeit, um genau grad eben, drei Zelte zuvor. Ich mach einen Schritt nach hinten, um noch einmal in Richtung heiliges Türkenzelt zu blicken. Man schien sich Handelseinig. Der Späthippie schlenkerte das Resthaar, welches sein eigen, über das Partylicht reflektierende Haupt und verschwand sicheren Schrittes im Waldorfer Spendenzelt. Ich geh den Schritt zurück und seh der Gruftine direkt in ihre toten Pupillen. Aber nein, unmöglich. Ein Unterschied wie Wind und Wetter. „Nein, ich halte dich nicht für …“

      „Rocco iss mein Bruder“, erklärt sie meinem noch überraschten Gesicht.

      „Ach! Rastarocco ist dein Bruder?“

      „Hab Ick doch jesacht! Sach ma, hörste mir nich zu, oder wat?“

      „Na das ist ja ’n Ding.“

      „Un ick hoffe, du hast nichts aus seiner Unterm-Tresen-Kollektion jekoft!?“

      „Nein! Nein hab ich nicht!“

      „Dei Glück, Alter. Sonst müsst’ ick dir jetzt töten!“

      „Was hab ich aber auch Glück!“

      „Ja Alter, du scheinst hier det blinde Huhn.“

      „Das was?“„Verjiss’ it!“

      „Und was treibt der Hippie in Waldorf? Der passt da ja wohl gar nicht?“, lenke ich ab.

      „Der macht da den Sozi und hat ’n Weihnachtsmarkt hier, mit unserm Dozenten ausjeheckt, wa.“

      „Dem Türken?“ Erstaunt sieht sie mich an. „Dein Bruder!“, kläre ich sie auf.

      „Natürlich, wer och sonst. Und der Türke iss jar keen Türke“, flüstert sie geheimnisvoll, „der iss ’n Kurde und häßt Abschreg.“

      „Abschreg?“

      „Bst, leise!“

      „Abschreg, was ist das denn für ein Name? Soll das kurdisch sein?“

      „Türkisch, kurdisch, osmanisch, wo ist der Unterschied? Aber bst, sonst jibbt dit Ärjer mit ’n Türken.“ Dazu nickt ihr Kopf in Richtung übernächstes Zelt.

      „Aha! Und was verkauft nun euer Kurdentürke? Apfel-Tee, Türkischen Honig oder doch eher Raki?“

      „Das du nich uff Döner jekomm bist, Alter? Jeder Dödel fracht dämlich nach Döner.“

      „Bin ich jeder?“, versuchte ich ein ernstes Gesicht. Ihr linker Mundwinkel, welcher sich hinterhältig nach oben formte, verriet mir, dass ich hinter meinem ernsten Gesicht albern aussehen musste. Dafür versicherte sie mir, dass ich nicht Jeder bin: „Nee, du bist nich wie jeder Dödel.“

      Na das ist ja mal schön. Nur war das jetzt in Gruftines Welt was Gutes? „Was ist denn nun mit euerm osmanischen Dozenten? Verkauft der auch was oder agiert der nur aus dem Untergrund?“

      „Fast, wo eher Hinterjrund. Haste doch noch Glück. Na ja, als Huhn, als Blindes.“

      „Was hast du denn nur mit dem Huhn? Und wieso hab ich Glück?“

      „Weil iss glei 14.00, …“

      „High Gripsy, fängt glei an!“, kam jetzt noch die Punkine zu uns rüber.

      „High Grabs! De ersten Looser sinn schon da. Omma, Oppa, Hosenscheißer.“

      „Genau“, bestätigt Punkine, oder besser Grabs: „der Rotzer kackt sich voll ins Hemd, wa!“

      „Wer kackt in wessen Hemd und was ist überhaupt los?“, wollte ich wissen. Gripsy, die Gruftine, macht mich schlau: „Du wolldist doch unsern Dozenten, den Osmanen, ma sehen. Der hat jetzt sein Auftritt.“

      „Was denn für ein Auftritt?“

      In dem Moment verstummte das zuletzt eingespielte „Leise rieselt der Schnee“. Erneutes Kratzen entfleuchte den Lautsprechern quer der Halle. Gripsy zeigte direkt durchs Kettenkarussell und meine Augen folgten ihrem Finger. Was ich da sah – Weihnachten war im Arsch! Von mir aus kann der Weltuntergang kommen! Hier war ja alles zu spät! Als hing ein brauner Pope, dank des Karussells, in Ketten. Hielt mein Glaube sich bis zu diesem Zeitpunkt in Grenzen, so fiel er hier vollends von mir ab.

      „Ist das euer …?“

      „Willst ’nen Tee? Appel vom Kurden.“

      „Von dem Weihnachtsmann da? Das geht doch gar nicht, ein Ne…“

      „Jetzt Obacht Alter!“

      „… Schwarzer? Wie passt denn das zusammen? Und wie sieht der überhaupt aus? Was stellt der dar, es ist noch kein Fasching?“

      „Hier, dein Tee.“

      „Wie ein russischer Papst, oder was? Danke!“

      „Russischer Papst?“

      „Na guck ihn dir doch an. Ein Umhang für’n Prinzen aller Jecken und Narren. Dazu diese turmhohe Rohrmütze, anbei am langen Stock der unfertige Notenschlüssel bolschewikischer Sauflieder und ich darf nicht Neger sagen? Na Hallo!“

      „Na Hallo?“

      „Na

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