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auf meinem Tee drehte sich mittlerweile ein Schimmer in dreifarbig-verschwommenen Regenbogenfarben. Nur was war jetzt hier passiert? Drei ratlose Gesichter mit zuckenden Schultern grübelten über meinem Teeglas. Während Gripsy mit einem Finger ihren einen Zopf verleierte, zerscharrte Rocco sich seinen im Wachstum befindlichen Ziegenbart. Und ich selber dachte, wie geht denn so was, so bei mir. Da hatte Rocco eine erste Idee: „Fillei enne missjlückte Jernspaltung uf enner Kreuzberjer Appelplantage?“

      „So wie de aussiehst Keule, da hat’tiste de Jernspaltung in deene Kopp, wa!“, zog Gripsy ihren Zopf straff: „Aber weeste wat? Ick weesit, jetzt wees ick dit. Hier warn’ doch ma de Türken vor so hunderte Jahre durchjekomm, oder so, wa. Un von den die Relikte, also wat den ihre Erm, un von dene widder die Erm un so …“

      „Man Nele, nu komm ma zum Punkt nu!“

      „… na die ham hier een Anschlag gemacht. Da steckt noch die janz olle Türkenmafia hinter.“

      „So viel Fantasie wünsch ick mir in keen Trohm nich, wa Lütte. Aber guck dir dit ma an hier Bruder“, wieder zu mir gewandt, „als tut dein Kandis jrün rosten, wa.“

      „Man Alter, dat is echdit Kino. Als ob da wat den die Beene wech ätzen tun tut. Det iss’ ja voll spooky wa. Der kurdische Kandiskiller. Huuu …“

      „Den Kandis wollte ich ja gar nicht haben“, fiel ich Gripsy ins Geistertreiben. „Die Grabs hat den mir doch ins Glas geschmissen, weil sie sich doch wegen dem Buch so …“

      „Grabs, na klar die Grabs. Die hatte doch die Packe-Pommes von die Dönerbude anjeschleppt, wa. Na klar Bruder, jetzt seh’ ick dit janz klar vor mir. Mit die bloßen Finger is die in die Pommes mit der ekelichen Knofisoße.“

      „So recht wie de hast Keule, du musst dit jetzt aber nich ausmaln noch tun. Mir issis so schon iebel.“

      „Und denn hat se sich de Finger abjeleckt.“ Rocco konnte es nicht lassen, seine Schwester, welche so schon dicke Backen machte, breit an zu grinsen: „Alle zehne! So!“ Dazu ploppte er einmal mit dem Finger aus dem Mund: „Ick hab recht! Und du wohl nicht. Dazu brauch ick nich ma Licht!“ Dazu ploppte er noch zweimal und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

      „Du bist und bleibst een Schwein, Keule! Nur muss se dabei een Finger verjessen ham, wie wir dit hier im Glas sehn tun könn.“

      „Nich verjessen Lütte! Die schafft dit nich bis nach neun mit den zählen. Sowie dit Zweestellich – aus die Maus!“

      „Aus die Maus! Du sagst es. Ich muss langsam mal weiter, wenn ich es noch vor Weihnachten schaffen will.“

      „Wie weit musste denn noch?“

      „Bis hinter Düben.“

      „Düben, wo iss’n ditte?“, wollte Gripsy wissen.

      „Uwe meent bestimmt Bad Düben? Hab ick recht oder hab ick recht?“

      „Recht haste!“, gab ich Rastarocco recht. Was Rocco gleich nutzte, um seine Lütte zu ärgern: „Wenn de och ma so groß bist wie icke, wa, denn kannste det allit och sehn!“

      „Und wenn de ma so alt bist wie icke nach Neujahr … Rocco! Denn tret icke dir dahin, wo de Sonne nich hin schein tut tun! Als ob ich nicht wüsste, wo dit iss, Keule. Dit iss im Wald! Sacht’er jedenfalls, dass’er aus’m Wald kommt.“

      „Wald? Wie jetzt, Wald?“

      „Na Wald eben! Kennst’e widder nich, wa? Dis iss eene jroße bebäumte Fläche, iss ditte! Hab ick recht oder hab ick recht, Uwe?“

      „Recht haste, Grips!“

      „’Ne bebäumte Fläche, wa?“, musste nicht nur Rocco grinsen. „Isse nich goldig, meine meja Lütte?“ Dazu klemmte er sich seine Schwester unter den Arm und grinste sie noch breiter von oben herab an. Nur fand das Gripsy gar nicht witzig: „Oooahch Keule, man eh. Weeste wie de muffst unterm Arm? Wie meene Ratte!“

      „Is die nich schon drei Wochen tot, Nele?“

      „Ähm, drum! Und nenn mir nich immer Nele, Keule!“

      „Ja Nele.“

      Schon knickte Rocco rapid rechts runter. Dank ihres unausgereift-vertikalen Körperaufbaus hatte Grips unter Mitwirkung ihres linken Ellenbogens Rastaroccos Niere um bestimmt (wenn ich mal bei der Maßeinheit bleiben darf) siebeneinhalb Keksen unterschlagen.

      „Guck nicht so grimmig, Rocco! Neunzig Grad weiter rechts und du müsstest deine Familienplanung völlig neu überdenken“, versuchte ich den Kräuterexperten wieder aufzubauen.

      „Familienplanung? Wat will Rocco da noch plan, wa? Dit löst sich doch eh allit in Roch uff bei Keule, wa. Un übberlech doch ma. Iss’it fillei nich och besser? Nachher kimmt so wat wie Rocco ans Licht. Meen’ste nich och, dat der hier is jenuch?“

      „Könnte ja och schlimmer, wa Nele! Noch viel schlimmer!“, beschwor Rastarocco das nackte Grauen herauf: „Stell dir ma vor, ick kriech so wat wie meene Schwester. So wat nenn icke voll spooky“

      „Rocco, Rocco“, schüttelte Gripsy sorgenvoll ihren Kopf, „davon wirrste wo ewig träum.“

      „So, ihr beiden. Ich muss jetzt weiter“, mischte ich mich in diese Vermehrungsutopie. „Jetzt mache ich los, sonst wird das nie.“

      „Na denn Alter. Denn machet ma jut, wa!“

      „Jenau Bruder …“, war Rastaroccos Meinung, „… war klasse das de ma lang jekomm bist, wa Bruder! Denn fillei bis in det Nächste?“

      „Wenn sich die Majanesen verrechnet haben gerne wieder.“

      „Majanesen? Rechnen? Du globst doch wo nich diesen Unsinn? Die könn doch jar nich rechnen. Wat die konnten war Tetris am Hang.“

      „Tetris am Hang?“ Ich kam einfach nicht weg. Rastarocco überstrahlte mich mit seinem Wissen: „Wenn man an eene völlig unmögliche Stelle wat ineenander baun tut. Und dit och so, das det och passt un hält. Und nich glei widder in sich zusammenfällt. Denn Bruder, denn iss dit Tetris!“

      „Und bei den Majanesen ist das dann Tetris am Hang?“ „Jenau Bruder, Tetris am Hang. Du hast det ja glei bejriffen, wa.“

      „Toll“, dankte ich für dieses, von Nutz befreitem Wissen, „das ich heute noch was lernen konnte! Echt klasse!“

      In der Hoffnung, sich diesem Unsinn schadfrei entziehen zu können, schien Gripsy derweil den Derwisch anzubeten. Sie tat erschrocken, als ich: „Die Nacht werd ick von euch träum, von euch beede, wa!“, mich an der Berliner Schnauze probierte. Was Gripsy natürlich nicht unkommentiert lassen konnte: „Vorsicht Alter!“, lachte sie mich, mit erneut zielsicher am Auge angelegten Finger frech an. Dann warfen wir uns, aus gegebenen Anlass, noch ein paar Feiertagsfloskeln entgegen und ich zog weiter meiner Wege.

      Da erspähte ich direkt hinter dem Weihnachtsbaum, eine Vielzahl unterschiedlichster Teppiche. Große und kleine stapelten sich auf mehreren Haufen, beinah Bauchhoch, auf dem gesamten Boden. Nur ein schmaler Gang, rechts der Teppichhaufen, machte ein Vorbeikommen möglich. Am Ende saß auf einem bunten Stapel Fußabtreter, wie der kleine Muck im Schneidersitz, ein kleiner Junge, welcher als Milchreisbubi mit seinem Milchgesicht prima auf die Milchschokolade für Kinder passen würde. Wie er mich ansah, grüßte er knatzig: „Lanet yabancilar!“

      Das hatte ich heute schon einmal vom Kartenabreißer des kleinen Kleinkindkettenkarussells gehört. Wirklich nette Leute die Leute, dachte ich, auf so übertrieben nette Leute nicht gefasst und grüßte ebenso freundlich, wie es mir grad eben möglich, zurück: „Recht haste! Alles andere wär gelogen!“

      War ich gerade noch in der Absicht, diesen milchgesichten Bubi mit einer Frage zu erheitern, hielt mich ein selbstbepinseltes Plakat, welches in einer Reihe mit einer Auswahl an Gebetsteppichen von der Decke hing, von dieser Idee ab. Denn, was fragt man einen orientalischen Teppichhändler, wenn man meiner Zeit dem Herrn Hauff seine Märchen mit der Muttermilch hat förmlich aufgesogen?

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