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Jahren aus Gründen von Desinteresse ignorierte. Die dritte Zeile überstrich eine reich verzierte Borde, dessen letztes Drittel den in Klammern gefassten Sing Sang la la tatir innehielt. In der vierten, der vorletzten Zeile offenbarte man dann der ganzen, weiten und modernen Welt. Carpets can not fly! Und zu guter Letzt, nur für mich, so schien es, die schon erahnte Auflösung. Teppiche können nicht fliegen!

      Wenn jetzt noch die Reihenfolge dieser internationalen Aufklärung Beachtung findet, wird man wohl wie ich, ein wenig säuerlich. Im eignen Land bin ich das Letzte, stellte ich fest.

      Der mit Teppich Handel treibende und auch sonst unwissende Milchreisbubi hockte immer noch reglos auf seinem Haufen.

      „Was ist mit dein deutsch? Das ist doch falsch“, zeigte ich auf seinen von Hand beschmierten Hinweis: „Fliegen nicht können, muss es richtig heißen.“

      Und Tatsache, er löste sich von dem aufgestapelten Bodenbelag, indem er sich wie ein Zollstock auseinanderklappte. Und eh ich mich versah, wurde aus dem kleinen Jungen ein Großer.

      Na gut, dachte ich: Da müssen ’se die Schokoladentafeln eben etwas größer machen. Und dieser große Junge quälte sich in meine Richtung.

      „Was nicht ist korrekt?“

      Ich zeigte auf seine Eigeninitiative und wiederholte: „Fliegen nicht können! Nicht, können nicht …“

      „Danke, ja. Ich hab’s ja, danke.“ Er schien genervt. Gelangweilt, mit den Händen in den Taschen, verschwand er hinterm Weihnachtsbaum in Richtung Grips und kam bewaffnet mit ihrer zweistufigen Bockleiter zurück. Gripsy lugte neugierig hinterm Baum hervor. Und von links gratulierten mir die beiden Glaubenskrieger zu meiner doch erstaunlichen Überzeugungskraft. Sie hätten wohl schon mehrfach versucht, Abschregs Stammhalter die deutsche Sprache näherzubringen. Abschregs wer? Na nu gucke ma an. Der Appel fällt nicht tief in Tee, oder so ähnlich. Und siehe da, der Appel reparierte zum Gespött einheimischer Kaufhausbesucher und seiner Nachbarn zur Linken.

      Ich selber musste mich dieser Nachbarn erwehren. Wollten sie mich doch für diese Wohltat, mit einer extra Portion Pommes unter einer eigens kreierten Spezialsoße belohnen. Doch noch bevor man mir, unter Beihilfe eines überlangen Käsemessers, die unterforderte Qualität dieses Pappschalen-Brechreizes anpries, konnte ich entkommen. Vorbei am Stand mit türkischem Honig, welcher sich eigenartigerweise zur Hälfte das Zelt mit einer Fischbrötchenkerkäuferin teilen musste, trennten mich nur noch, wie man von der Seite sehen konnte, die für Hochkant versteiften Europaletten, die die anhaltinische Welt bedeuten, von meiner eigenen Weissagung.

      Doch kreuzte noch Ungemach, in Form einer Mutter mit zwei Kindern an den Händen, meinen Weg. Völlig Rücksichtslos ungeachtet meiner mir zustehenden Vorfahrt, wenn man so will, eroberten sie zielstrebig die Bühne. Holpernd und polternd erklommen sie den vierstufigen Aufstieg, nachdem der etwas größere Junge beinah noch einen zusammengeklebten Stapel Geschenkpakete, welcher unterhalb dieses Podestes platziert, umgerissen hätte, wo sie Abschreg, den Nikolaus, man möge sich erinnern, wahrlich überfielen.

      „Na iss’ es denn?“, konnte ich mich grad so spontan aufregen. Es wollte nur nicht wirklich irgendeinen hier im Saale ernsthaft interessieren. Schon gar nicht diese Mutter, diese Schreckschraube, welche mit zwei großen Schritten (sportlichen Ehrgeiz vortäuschend) die Stufen der hölzernen Treppe erklomm, aber von mir nicht die geringste Notiz nahm.

      Doch dann, endlich Gaumenfreuden, die Zukunft vom Grill, der Bratwurststand. Ich kramte schon nach Kleingeld in meinen Taschen. Mit zwei fünfzig wollte sich der Bratwurstmann die Bratwurst aus Thüringer Landen honorieren lassen. Ich wollte mich über den kurzen Brühwurstknuppel, dem jegliche Verbindung zu Thüringen gekappt, nicht aufregen. Doch als man mir diesen Wurstkrüppel in ein Fladenbrot deponierte und dem ganzen noch einen extra großen Löffel voll von Tsatsiki beilegen wollte, musste ich doch einmal fragend meine Stimme erheben: „Was stellt das dar?“

      „Türünker Bratwurst, Brot, Soße. Du hier sehen!“

      „Die Wurst hat Thüringen nie gesehen. Eher tragt ihr hier die Thüringer Esskultur zu Grabe!“

      „Esskultur, zu Grabe? Du weißt nicht was ist Esskultur, Anhalter du! Macht alles ihr in Büchse. Wurst in Büchse, Fleisch in Büchse, Soße …“

      „Was geht mich das an? Ich bin Sachse!“

      „Was, du Sachse? Wo machen du Wurst hin, hä?“

      Auch wenn mir unsere guten alten Einweckgläser in den Sinn kamen, kam ich mir doch ein wenig verscheißert vor. Diese Triumpf wollte ich diesem türkisch-thüringer Bratwurstmann nicht gönnen und lenkte zurück zum aktuellen Wurstunfall: „Und was soll das mit dem Brot? Und wieso kein Brötchen? Und untersteh dich das Tatzschikiz-Zeugs da drauf zu manschen!“

      „musst nicht nehmen Soße, ja. Nur wenn willst du. Und Brötchen hat Frau letzte junge. musst nicht nehmen Brot, nur wenn willst …“

      „Wie? Junge Frau!“

      „Da, die da!“, zeigte der Bratwurstmann hinter mich in Richtung Grabs Kreolenzelt, an welchem ich meinen Rundgang gestartet hatte. Und wen seh ich da mir zuwinken? Nicht einfach nur winken, nein! Sie musste mir mit einem halben Brötchen zwischen den Zähnen zuwinken. Natürlich war es nicht irgendein Brötchen. Es war das Letzte!

      Sie ist das Letzte, diese moderne Zelthexe, welche gleich bei stand und blöd dazu grinste. Dazu rührte sie mit ihren Fingern in einer Dönertasche und kaute anscheinend die Bratwurst mit Soße. Zumindest verriet es ihr Kinn, von dem es klebrig zu Boden tropfte. Stand nicht auf einem ihrer selbstgeklöppelten Plakate: Der Erste wird dein Letzter sein! Ich wünsch ihr noch viele Weltuntergänge. Jeden Tag mindestens zwei. Zwei – und die in Form von Durchfall, haltlosem Durchfall. Ich gönn es ihr und dieser Grabs gleich mit. Signalisieren mir doch ihre zwei rot und grün lackierten Mittelfinger Verachtung auf Dauer.

      So recht kann ich mich nicht beruhigen. Der Wille ist da, doch irgendwie … geht nicht. Und so gebe ich auffordernd kund: „Senf!“

      „Wie, du meinen?“

      „Senf, ich nehm dann Senf!“

      „Senf, nein, kein Senf! Soße ja, Senf aber …“

      „Ist gut nun, ich hab’s ja. Oder hältst du mich für …?“

      „musst nicht nehmen Soße. Nur wenn …“

      „… wenn willst du! Richtig! Aber ich will nicht, ich will dann ohne nehm!“

      „Gut. Dann ohne du nehmen, gut.“

      Der Handel um diese Wurstkatastrophe hatte ein Ende. Endlich! Mit zwei Zwei-Euro-Stücken wollt ich diese Thüringer-Bratwurst-Schändung eigentlich bezahlen und hör mich doch allen Ernstes: „Stimmt so!“, sagen.

      „Danke, oh danke, danke.“

      „Wie, was? Ich, äh … Ja, äh … na gerne doch.“ Es schien nicht mein Tag, so wie das lief.

      „Und Weihnachten frohliche! Frohliche Weihnachten, du guter Mann, du!“

      Guter Mann? Der will mich doch verscheißern! „Ja, ebenso frohliche Fest, Herr Bratwurstmann.“ Was sonst auch? Heißt es doch nicht umsonst – Frohlocken!

      Nur fällt mir die Frage ein, wieso nicht Frühliches? Diesem Grillmeister aus anatolischen Landen müsste doch so ein Einfaches „ü“ problemlos über die Lüppen schwüppen? Es kann natürlich aber auch sein, dass es ihm selber albern vorkäme, wolle er mit seinen Grillwurstkuriositäten frühlück…

      „Ho, ho, ho!“, riss mich der Nikolaus aus meinen Gedanken. Nanu, den Keks verließ es wohl an Wirkung? Hat sich Rocco in seinem Mischungsverhältnis vertan? Zu viel Teig, zu wenig Kräuter? Oder verscherbelte Rastarocco doch vom aller Feinsten? Wenn das mal gut geht, Rocco! Kennt sich doch der gemeine Osmane aus mit Mohn und Gras und edlen Kräutern!

      Ein zweites „Ho, ho, ho“ verriet Begeisterung. Abschreg lobte ein kleines Mädel, welches von ihrem Bruder an der Hand gehalten und von ihrer Mutter, der Schreckschraube, lautstark in den Himmel gehoben wurde.

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