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liebsten waren wir im „Kerbacherloch“, auf dem „Wälenberg“ und auf der „Trift“ auf der Suche. Sie kannte fast alle Kräuter, von der Kamille über das Tausendgüldenkraut, die Schafgarbe bis hin zum Arnika. Damals waren Arnika und Tausendgüldenkraut noch weit verbreitet; heute sind sie selten und stehen unter Naturschutz. Hatten wir die Körbchen voll, dann schnürte sie Kräuterbündel, hängte sie uns über den Nacken und wir trugen sie heim. Zu Hause wurden die Kräuter in kleinen Sträußchen unter den Walnussbaum gelegt, wo sie dann im Schatten trockneten. Das ganze Jahr über hatten wir unseren Kräutertee. Im Hochsommer pflückte sie auch Kornblumen in den Getreidefeldern, die heute fast gänzlich verschwunden sind. Ihre blauen Blüten dienten zur Färbung der Tees.

      Aber auch im zeitigen Frühjahr waren wir schon auf Tour. Da galt es vor allem das Scharbockskraut zu sammeln. Sie wusste, dass es ein wichtiger Vitaminspender für die Frühjahrskur war. Aus den Blättern bereitete sie einen köstlichen Salat, aus den stärkehaltigen Knöllchen „gebratene Feigen“. Natürlich sammelten wir im März, wie das vor allem im Saarland so üblich ist, den „Bettseicher“ (Löwenzahn). Jeden Morgen pünktlich um zehn Uhr kam sie zu meiner Mutter, um die Kartoffeln für den Mittagstisch zu schälen. Im Herbst schnitt sie Kartoffelscheiben, färbte sie und stellte für mich wundersame Muster mit Kartoffelstempel her.

      Meine Urgroßmutter pflegte noch das „Brauchen“, wie das früher auf den Dörfern so üblich war. Hatte ich im Winter eine Erkältung, dann brachte mich meine Mutter zur „Stemmchemodder“. Das „fleißige Handauflegen“ bei Entzündungen im Kopfbereich war damals noch ein viel gepriesenes Mittel.

      Ein Bett im Heustadel, eine Ruhestunde im Heuschwaden oder ein Schäferstündchen auf dem Heuboden ist heute nicht mehr romantisch. Früher roch das Heu stark nach Kumarin, was dem typischen Waldmeisterduft entspricht. Kumarin ist eine Zuckerverbindung, die erst beim Verwelken der Pflanzen frei wird und ihren unvergleichlichen Heuduft entfaltet, ist vornehmlich im Ruchgras („Riechgras“) der Wiese, im Waldmeister, im Steinklee, in der Weinraute und in vielen Wiesenblumen enthalten. Da diese ja häufig aus den Wiesen verschwunden sind oder man sie nicht mehr ausblühen lässt, mangelt es heute dem Heu am würzigen Duft.

      „Heublumen“ aber sind keine Blumen. Es handelt sich um Pflanzenteile, die sich im Laufe der Zeit auf den Heuböden, häufig in einer mehrere Zentimeter dicken Schicht, ablagern. Diese Heublumen bestehen aus Blättchen, Samen, Blütenstaub und Blütchen der Gräser und Kräuter, die mit dem Heu eingebracht werden. Neben den eigentlichen Gräsern findet man Bestandteile des Löwenzahns, der Schafgarbe, des Eisenkrautes, des Ehrenpreises, des Kerbels, des Sauerampfers und anderer Kräuter. Heublumen sind vergleichsweise billig. Man kauft sie pfundweise in den Apotheken. Sie sollen gut getrocknet sein und nur bis zur nächsten Heuernte verwendet werden. Ältere Heublumen verlieren ihre Wirkung.

      Die Behandlung mit Heublumen war für meine Urgroßmutter eine „Chefsache“. Vor allem Vollbäder mit Heublumen und der Gebrauch von Heublumensäckchen waren bei meiner Urgroßmutter dorfweit bekannt. Sie halfen bei rheumatischen Erkrankungen, Gicht, Hexenschuss, schmerzhaften Gelenkentzündungen und bei Erkältungskrankheiten. Für Vollbäder benötigte sie ein bis zwei Kilo Heublumen. Sie überbrühte mit fünf Liter Wasser, ließ zehn Minuten ziehen, seihte ab und setzte den Aufguss dem heißen Badewasser zu. Nach dem Bad gönnte man sich eine längere Bettruhe. Für Sitz- und Fußbäder nahm sie ¼ kg Heublumen.

      Am bequemsten war für sie der Gebrauch von Heublumensäckchen. Dazu benutzte sie einen Leinenbeutel, den sie fast vollständig mit Heublumen füllte. Der Beutel wurde zugebunden und in kochendes Wasser gebracht. Bei zugedecktem Topf wurde er zehn Minuten ziehen gelassen. Der ausgedrückte Leinenbeutel wurde – so heiß wie nur möglich – auf die erkrankten Körperstellen gebracht. Die Heublumenauflage wurde mit wollenen Tüchern gut abgedeckt.

       Als noch Fuhrleute und Kutscher auf den Dorfstraßen unterwegs waren

      1945 gab es in unserem Dorf noch kein Auto. Doch den ganzen Tag über fuhren Fuhrwerke durch unsere Straßen, die ja noch nicht geteert waren. Da gab es Ortspolizeibeschlüsse, über die wir heute nur noch schmunzeln können.

      Fuhrleute und Kutscher mussten linksseitig neben ihren Fuhrwerken hergehen, die Zugtiere führen oder an doppelten Leitseilen lenken. Im Innern des Dorfes durfte nur im Schritt oder kurzem Trabe gefahren oder geritten werden. Beim Bergabfahren sind Fuhrwerke durch Einlegen des Radschuhes oder mittels anderer Bremsvorrichtungen zu hemmen. Pferde, und zwar nicht mehr als je zwei zusammen, durften nur von erwachsenen Personen zur Tränke geführt oder geritten werden. Bei schneebedecktem Boden waren die Zugtiere mit Schellen oder Rosseln zu versehen. Das Peitschenknallen war nur insofern gestattet, als dasselbe bei Straßenwendungen und Kreuzungen nötig war. Während öffentlicher Bekanntmachungen durch den Gemeindebediensteten mittels der Schelle hatten Fuhren und Reiter in einer Entfernung von mindestens fünfzig Meter stille zu halten bis die Bekanntmachung zu Ende war. Ebenso waren störende Unterbrechungen durch Geschrei zu vermeiden.

      Das Anhängen über drei Monate alter Pferde an Wagen sowie das Abschlachten des Viehes auf öffentlichen Straßen war verboten. Das Hetzen des Schlachtviehes durfte nicht geschehen. Schulpflichtiger Kinder waren bei eintretender Dunkelheit von der Straße fernzuhalten. Gänse waren an Sonn- und Feiertagen von öffentlichen Straßen und Plätzen fernzuhalten. Es war auch verboten, Vieh außerhalb geschlossener Höfe oder anderer umfriedeter Räume ohne gehörige Aufsicht umherlaufen zu lassen. Hausgeflügel, insbesondere Hühner, Enten und Gänse durften ohne Erlaubnis in fremde Gärten, auf Felder und Wiesen nie laufen gelassen werden. Tauben mussten während der Saat- und Erntezeit eingesperrt werden.

      Es war verboten, Hunde in öffentliche Wirtschaften, Fleischbänke, auf Märkte oder zu öffentlichen Feierlichkeiten mitzunehmen oder dieselben zur Nachtzeit auf öffentlichen Straßen und Plätzen frei herumlaufen zu lassen. Das Mitnehmen von Hunden in öffentliche Wirtslokale und auf Märkte war ausnahmsweise nur dann gestattet, wenn diese mit einem Maulkorb versehen waren und an der Leine geführt wurden. Läufige Hündinnen hatte der Eigentümer „gehörig“ zu verwahren. Freilaufende Hunde größerer Gattung mit Ausnahme der Jagdhund, während sie sich auf der Jagd befanden, und der Hirten- und Schäferhunde, wenn sie bei der Herde waren, mussten mit einem wohlbefestigten Maulkorb versehen sein, der das Beißen verhinderte. Auch war es verboten, an offenen Stellen in der Nähe von Wohnungen oder öffentlichen Wegen zu baden.

       Allerlei Aberglauben um die Rabenvögel

      Noch meine Urgroßmutter war dem Aberglauben unserer Vorfahren verfallen und wusste zu berichten: „Wenn eine Schar Krähen am Abend auf dem Felde schreit, stirbt ein naher Verwandter.“ Das sagte man auch dem Kauz nach, wenn er in der Nacht „Kiwitt – Kiwitt“ („Komm mit – komm mit“) rief.

      Im Volksmund machte man keine Unterschiede: Alle Rabenvögel, zu denen die verschiedenen krähenarten gehören, wurden „in einen Topf geworfen“. Es waren eben „Raben“. Dazu gehörten auch die „eigentlichen“ Raben, die Kolkraben. Selbst die „diebische Elster“ musste herhalten, um das schlechte Image unserer Rabenvögel zu erhalten.

      „Sie klauen wie eine Atzel“. „Wie ein Rabe stehlen“ ist bis heute eine Redensart geblieben.

      Bei den Bauernwaren insbesondere Saatkrähen gehasst. Fielen sie über Getreidesaaten, reifende Feld- und Gartenfrüchte her, verursachten sie großen Schaden. Die schwarze Farbe, dazu das Krächzen, das freche Heranflattern („frech wie ein Rabe“) und das scharenweise Auftauchen an grauen Novembertagen in der Nähe menschlicher Siedlungen haben bei unseren Vorfahren wohl einen so unheimlichen Eindruck erweckt, dass im Volksglauben und besonders im Märchen Rabenvögel als Unglücksvögel und Unglücksboten angesehen wurden: Ein „rabenschwarzer Tag“ war eben ein Unglückstag und ein „Unglücksrabe“ eben ein Pechvogel. Bei alledem mag der Rabe als „Galgenvogel“, der sich in der Nähe von Leichen aufhielt, eine Rolle gespielt haben. Auch sonst musste der Rabe als Symbol für Böses herhalten. „Rabeneltern“ („Rabenvater“ und „Rabenmutter“) kümmern sich nicht um ihre Kinder. Beides beruht auf

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