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Und er tat all das, ohne sie zu kennen. Ohne zu wissen, ob sie würdig dafür war.

      »Wer ist Dora?«, fragte sie dann leise, obwohl sie die Antwort bereits kannte.

      »Jene, die deinen Platz vorher einnahm. Auf dieselbe Weise dazu kam. Unter Zwang.«

      »Dein Vater hat dich zweimal gezwungen eine Frau zu nehmen?« Robyn quälte jedes ihrer Worte, der Schmerz wurde nur durch ihre stützende Hand etwas gedämpft.

      »Ja, zweimal, Nixe. Aber fast will mir scheinen, das zweite Mal bin ich nicht ganz unschuldig an der Situation.«

      »Bereust du deine Entscheidung?«

      »Dich zu retten?« Er sah sie erstaunt an.

      Sie nickte leicht.

      »Was glaubst du?«, wiederholte er ihre eigenen Worte, doch ihre Antwort überraschte ihn.

      »Es tut mir leid.« Ihre Stimme war so leise, dass es die Ehrlichkeit nur noch mehr hervorhob.

      »Sieh mich an, Nixe«, forderte er sie auf. Sie leistete ihm Folge.

      »Warum bist du gesprungen?«, verlangte er ein zweites Mal zu wissen.

      »Um zu st...«

      »Denk nach, Nixe«, unterbrach er sie jedoch, »geh in dich, geh tief in dich und sag mir, warum du gesprungen bist!«

      Robyn fürchtete die Tiefgründigkeit dieser Frage, doch sie schloss kurz die Augen, ging zurück zum Schiff der Nordmänner, zum krachenden Sturm, zum Sprung ins Wasser, zu ihrer Kindheit, zu Ath, zu ihrem Raub, zu jenem Nordmann tief in ihrer Erinnerung. Sie schnappte überrascht nach Luft, sah Wulf erschrocken an. Der Bilderrausch vor ihren Augen erlosch, und nur seine Silhouette blieb.

      »Ich wollte nicht sterben«, gab sie zu. Sein Gesicht kam dem ihren plötzlich sehr nah.

      »Deshalb tut mir nicht leid, dich aus dem Wasser gezogen zu haben. Das Schicksal ist ein nicht zu unterschätzender Verbündeter, Nixe. Nimm es an, sei dankbar und lass uns das Beste daraus machen. Gib dem hier Zeit und hoffe.«

      Robyn atmete ein und aus, bevor sie ihm antworten konnte.

      »Du scheinst deine Zeit in Byzanz nicht nur in Waffen verbracht zu haben. Du sprichst mit den Worten eines weisen Mannes.«

      Wulf ließ die Anerkennung zu, die ihn mit einem Mal für sie durchzog. Es war sehr lange her, dass er für eine Frau etwas Derartiges empfunden hatte.

      »Und du? Eine Angelsächsin, der Seneca nicht unbekannt ist ... die meisten hier halten eine kluge Frau für gefährlich. Ich jedoch denke, es wird dir von Nutzen sein. Du wirst es brauchen, Nixe, denn Freunde um uns sind rar und schwer zu erkennen.«

      Seine Stimme hatte sich unmerklich geändert, doch Robyn spürte die Wahrheit in seiner Warnung. Seine Stimme war rauer, verbittert, gefährlich, doch nicht sie musste sich fürchten. Sie stellte erstaunt fest, dass die Gefahr für jene bestand, die ihr zu nahetreten würden. Wulf und sie waren zu dieser Ehe gezwungen worden, doch seine Pflicht ihr gegenüber, ihr ein Heim zu geben und sie zu schützen, würde er ohne Widerspruch erfüllen.

      Wulf studierte ihre dunklen Augen, fand darin, was er erhofft hatte: Verstehen.

      Zufrieden lehnte er sich wieder zurück. Zum ersten Mal an diesem Tag entspannte er sich etwas. Nicht ganz, das hatte er seit vielen Jahren nicht mehr gekonnt, aber doch genug, um tief auszuatmen und mit seiner Frau im Arm aufzustehen und sie hinüber zum Lager zu tragen. Er legte sie neben die Holzwand des Hauses, legte zwischen sie und die Wand ein Fell und deckte sie dann zu.

      Kurz darauf hielt er Annijas Salbe in der Hand.

      »Reib deine Verletzung damit etwas ein. In ein paar Tagen sollte der Schmerz vergehen. Hörst du mit dem Ohr schlecht?«

      Robyn war überrascht, dass er derart gut über die Verletzung Bescheid wusste. Sie hatte ihn in dieser Hinsicht unterschätzt.

      Sie gehorchte, rieb die Stelle vorsichtig mit der aromatisch riechenden Salbe ein und gab ihm die Dose zurück.

      »Manchmal höre ich ein bisschen, sehr leise«, antwortete sie ihm.

      »Stell dich darauf ein, dass es nicht mehr besser werden wird. Dein Sprung ins Wasser hat deinem Gehör großen Schaden zugefügt.«

      »Aber mein Leben gerettet«, fügte sie hinzu.

      Sie sahen einander daraufhin lange schweigend an. Robyn musste diesen Blick nicht ertragen. Sie erlebte ihn, während er neben ihr auf dem Lager saß. Die Decken, die er um sie gelegt hatte, wärmten sie. Sie hatte nicht das Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein, obwohl er später neben ihr liegen würde, ein fremder Mann und doch ihr Mann.

      »Nixe, bevor ich die erste Nacht bei dir verbringe, verrate mir den Namen meiner Frau.« Seine Stimme war wieder rau, aber aus einem anderen Grund.

      »Robyn, mein Name ist Robyn.«

      »Robyn«, Wulf überlegte kurz, »hat es in deiner Sprache nicht eine Bedeutung ...«

      »Ein kleiner Vogel mit rotem ...«

      »Ja, ich weiß, ein Rotkehlchen ...«

      Robyn hörte ihn das nordische Wort aussprechen, erinnerte sich daran, nickte. Es entsprach ihrem Namen.

      »Eine kleine Beute für einen Wolf«, meinte Wulf.

      »Zu klein vielleicht«, entgegnete Robyn schläfrig. Plötzlich jedoch fühlte sie seine Hand auf ihrer Wange.

      »Irre dich nicht. Ein Wolf ist vielseitig. Unter bestimmten Umständen ist er sehr anpassungsfähig, ändert seine Beute.«

      »Aber wie lange jagt er eine Beute?« Robyn war atemlos. Sie spürte, dass sein Daumen über ihre Lippen strich.

      »Ein Wolf ist ein sehr geduldiger Jäger. Er wartet und respektiert seine Beute.« Er zog seine Hand zurück. »Schlaf, Nixe. Es war ein langer Tag.«

      Robyn beobachtete ihn mit halbgeschlossenen Augen. Sie konnte noch lange nicht schlafen, ruhte jedoch in diesem, ihrem Haus entspannt, atmete den aromatischen Geruch der Salbe ein, nahm die Wärme des Feuers wohlwollend auf. Sie sah Wulf eine Weile Ordnung schaffen, dann Stunde um Stunde am Feuer sitzen, etwas Met trinken. Er hatte sich so niedergelassen, dass die Wärme sie ohne Unterlass bestrahlte, sein Profil zeichnete sich scharf in dem Lichtschein ab. Seine Gesichtszüge, seine Augen, seine ganze Haltung blieben während dieser Nacht gedankenschwer. Ein-, zweimal strich er sich durch den Bart, der sein Kinn und seine Oberlippe bedeckte, seine Hände drehten das Methorn oft, als sei er unschlüssig, ob er daraus trinken solle oder nicht.

      Robyn würde diese erste Nacht in seinem Haus niemals vergessen. Für eine unendlich lange Zeit schien ihr Wulf wie ein Trugbild, unwirklich, aus einer anderen Welt. Sie sah seine Wangenmuskeln spielen, seine Augen, die sich von Zeit zu Zeit verengten, wieder entspannten, sich schlossen, als weile er weit entfernt, sich wieder öffneten. Robyn beobachtete ihn im Halbschlaf bis ins Morgengrauen. Erst dann erhob er sich, entledigte sich seiner Schuhe und legte sich neben sie auf eines der Felle, deckte sich jedoch nicht zu.

      Als sie wenig später seine gleichmäßigen Atemzüge wahrnahm, tat sie es für ihn, zog vorsichtig eine Decke über ihn. Sie bemerkte die winzige, überraschte Unregelmäßigkeit seines Atems nicht.

      * * *

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