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doch, Wulf, und es war dein Vater, der dir die Wahl ließ. Du bist wiedergekommen. Du bist nicht beim Kaiser geblieben oder hast dich in andere Dienste begeben. Du stehst mir gegenüber mit all deinem Stolz und Trotz, all deinen Fähigkeiten, deinem Mut und deiner Schlauheit. Und was gibst du deinen Leuten? Was gibst du uns, der du so anders bist als dein Vater? Der unsere Hoffnung sein könnte? Ablehnung, Wulf! Du lehnst uns ab. Deine eigenen Leute, die so darauf warten, erlöst zu werden.«

      »Niemand hat mich je um Hilfe gebeten, hat je auf mich gewartet ...«

      »Du hast ihnen nie wirklich Anlass dazu gegeben. Als dein Vater dich mit Dora verheiratete, gab er dir eine Frau aus einer der hoch angesehensten Familien. Was, glaubst du, wollte er damit erreichen? Er wollte, dass du dich eingliederst, dir bewusst wirst, wer du bist! Stattdessen hast du dich in deinem Haus im Wald verschanzt, dich und deine Frau damit unglücklich gemacht. Sie in die Arme anderer getrieben, auch wenn das vielleicht ohnehin passiert wäre.«

      Wulf lachte bitter auf. Er dachte an seine Hochzeitsnacht.

      »Arnulf, sie hatte zumindest schon mit einem Mann vorher das Lager geteilt ...«

      Wulf sah nach einigen Atemzügen der Stille auf Annija, und lächelte.

      »Würdest du mir ein paar Sachen für meine Frau geben? Ich befürchte, sie wird sonst nichts zum Anziehen haben in den nächsten Tagen.«

      Annija nickte und entfernte sich in eine Kammer, die vom Raum abführte. Wulf schritt um das Feuer auf Arnulf zu und wartete, bis sich ihre Blicke kreuzten.

      »Ich verspreche dir, über die Dinge nachzudenken, die du mir zu sagen hattest. Doch bitte erwarte dir davon nicht zuviel. Selbst wenn all das wahr ist, es gibt eine Seite an Eilaf, die mich schon immer abgestoßen hat. Ich kann dir nicht beschreiben, was es ist, aber Eilaf kann und wird deshalb nie den Platz in mir einnehmen, den du und Annija innehabt. Hätte ich je wählen dürfen, ich wäre aus den Trümmern in eure Arme gerannt. Ich hätte hier mit euch leben können, als euer Sohn.«

      Arnulf schwieg. Er wäre so froh gewesen, hätte Wulf die Wahl gehabt. Aber das würde er ihm nie sagen. Wulfs Bestimmung war eine andere und Arnulf würde immer hoffen, dass auch Wulf das erkennen würde.

      Als Wulf merkte, dass Arnulf keine Antwort geben würde, wandte er sich wieder Annija zu, die ihm ein Bündel überreichte.

      »Wenn sie weben und nähen kann, wird sie sie mir bald zurückgeben können. Ich hoffe, sie wird dich nicht schon darin enttäuschen, das Haus nicht ordentlich führen zu können.«

      »Wir werden sehen.« Wulf klang nicht überzeugt.

      »Noch etwas«, meinte Annija. Sie zögerte abermals, zog dann aber etwas aus ihrer Schürzentasche und legte es in Wulfs Hände.

      Er sah sie fragend an.

      Es war ein Armreif, etwa so breit wie ein Zeigefinger. Die Glieder des Reifes hatten die Form sich gegenseitig verschlingender Schlangen. Der Verschluss war nicht sofort erkennbar. Der Schmied dieses Stückes hatte ihn in eine der Schlangen eingearbeitet.

      »Ich weiß nicht, warum, Wulf«, erklärte Annija, »aber ich habe Dora nie für würdig empfunden, die Hochzeitsgabe deines Vaters an deine Mutter zu tragen. Ich bete noch immer, dass ich damit nicht Böses heraufbeschworen habe und sie mit dem Kind ins Unglück stürzte. Lege es deiner Frau noch heute um. Berichte ihr irgendwann, wenn sie bereit ist, wer der Träger dieses Armreifes war. Eine mutige Frau, die lieber mit ihrem Mann und ihren Söhnen starb, als sich einem König unterzuordnen, der nicht ihr wahrer König war. Die in einem brennenden Haus starb, aus dem nur ein Sohn gerettet werden konnte. Sage dies deiner Frau, wenn sie würdig ist, die Wahrheit zu erfahren. Ich werde zu den Göttern beten, dass sie dich glücklicher machen wird als deine erste Frau.«

      Wulf nahm den Armreif, der einst den Arm einer zierlichen, dunkelhaarigen Frau geschmückt hatte. Eine Frau, an die er sich nur noch vage erinnern konnte, die seine wirkliche Mutter gewesen war. Die sich geopfert hatte.

      »Ich wusste nicht, dass du etwas von meiner Mutter besitzt.«

      »Ich hüte den Reif schon so lange. Dein plötzliches Auftauchen heute, Wulf, ist ein Zeichen. Ich mag nichts von Zauber verstehen, aber ich deute es nicht als Zufall, dass du heute Nacht noch einmal zu uns kamst. Geh nun zu deiner Frau. Die Götter mögen ihre Hände über euch halten.«

      »Du bist dir sicher, dass ich es ihr geben soll?« Wulf wirkte nicht überzeugt.

      Annija sah auf, blickte in seine dunklen, blauen Augen.

      »Denke einen Moment an sie ...«

      »Was?« Wulf verstand nicht.

      »Tu es«, forderte Annija eindringlich.

      Wulfs Blick wandte sich auf einen unbestimmten Punkt an der Wand.

      »Siehst du sie?«, wollte Annija wissen.

      »Ja«, meinte Wulf.

      »Nun, sieh auf ihr Handgelenk ...«

      Wulfs starrer Blick wanderte für einen Moment.

      Dann sahen Annija und Arnulf, wie sich seine Hand plötzlich um den Reif schloss.

      »Ist gut.« Wulfs Stimme hatte jene Unschlüssigkeit verloren.

      »Ich sehe dich morgen am Strand«, meinte Arnulf zum Abschied, »wenn es das Wetter zulässt.«

      Wulf nickte, verstaute die Salbe und den Armreif sorgfältig in einem Bündel, das er wenig später am Sattel festband.

      Er küsste Annija auf die Wange und tauschte einen letzten Blick mit Arnulf, der schweigsam geblieben war.

      »Ich verspreche es, Arnulf, ich werde darüber nachdenken«, wiederholte sich Wulf ein letztes Mal vom Rücken des Pferdes.

      »Ich weiß, mein Sohn, ich weiß.«, Arnulf hob die Hand, während Wulf über das schneebedeckte, im Dunkeln leuchtende Feld ritt. Der Schnee knirschte lauter als zuvor und zeugte von der Kälte, die zurückgekehrt war.

      »Vielleicht hat Wulf Recht«, murmelte Annija, während sie ihn im Wald verschwinden sahen.

      »Womit?«

      »Nun, manchmal wünschte ich, er hätte einen Ort gefunden, der es wert gewesen wäre, fort von hier zu bleiben. Vielleicht wäre er dann glücklicher.«

      »Ich weiß, Wulf gibt keine leeren Versprechen. Er wird über die gesagten Dinge nachdenken. Aber was muss passieren, damit er spürt, dass dieser Ort immer hier sein wird? Es gibt keinen anderen Ort für ihn, Annija. Wulf gehört hierher. Wie wir alle, wie du, wie ich, wie all unsere Leute.«

      »Mag schon sein. Das Schicksal fragt nicht nach dem Glück des einzelnen.«

       10.

      Robyn versuchte sich den Fortlauf ihrer Reise vorzustellen. Sie war die Ehefrau eines Nordmannes. Sie würde sein Heim versorgen, seine Gefährtin in schwierigen Zeiten sein. Mit Selbstlosigkeit verbundene Gedanken jagten durch ihren Kopf. Es überraschte sie. Dann jedoch schweiften ihre Gedanken in eine andere Richtung. Ob er jemals eine Wiedergutmachung für ihr Leben verlangen würde?

      Welches Leben, fragte sie sich. Sie hatte nicht darum gebeten. Er hatte ihre Schwäche ausnutzen können, sonst nichts.

      Sie zog die Felldecke enger um sich. Das Feuer loderte noch friedlich, spendete angenehme Wärme, doch ihr Frösteln hatte nichts damit zu tun. Sie lag auf einer niedrigen Holzbank am Feuer, nachdem sie sich gewaschen und eine seiner Tuniken übergestreift hatte. Sie reichte bis zu ihren Knien. Sie hoffte, er würde ihr bald Kleider beschaffen können. Aber heute Abend genügte es vollkommen. Selbst etwas von dem Brot hatte sie gegessen und einen weiteren Schluck Met getrunken. Sie hatte sich davon etwas Schwere und Ruhe erhofft. Doch ihre Gedanken ließen sich nicht so leicht abstellen. Wieder und wieder kreisten sie um ihre Reise. Eine Reise,

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