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spürte plötzlich seine Hand. Sie umfasste ihr Kinn, hob es langsam zu ihm empor, als wisse er, dass ihr jede schnelle Bewegung weh getan hätte. Eine Ewigkeit blickte er sie an, intensiv und konzentriert. Dann kehrte die Bitterkeit in sein Gesicht zurück.

      »Wasch dich, wenn dir danach ist. Zumindest trockne dich. Zieh das Hemd dort an, Kleidung werde ich dir noch beschaffen. Essen, etwas Brot und getrocknete Beeren sind auf dem Tisch. Sieh zu, dass das Feuer nicht ausgeht. Leg noch etwas Holz nach und dann schlaf. Du siehst aus, als hättest du es nötig. Ich bin bald zurück. Warte nicht, geh schlafen.«

      Robyn erwartete, dass er sie loslassen würde, doch stattdessen siegte etwas anderes in ihm, nur für einen Augenblick. Er beugte sich gefährlich nahe zu ihr, sie konnte den Met in seinem Atem riechen.

      »Nicht Sklavin wirst du sein«, wiederholte er sein Versprechen.

      Robyn schreckte zurück, als er versuchte, sie zu küssen. Es war die erste bewusste Abneigung, die sie ihm offenbarte. Sie machte sich von seiner Hand los, von seiner Nähe.

      »Schon gut, Nixe«, meinte er, »ich hatte es nicht anders erwartet. Schlaf gut.«

      Er ging ohne ein weiteres Wort. Robyn stand da, ließ die Zeit verstreichen. Zuerst zuckten ihre Schultern, dann ihr Unterleib, dann sie. Im Schein des wärmenden Feuers stöhnte sie auf, vor Schmerz, Verzweiflung, Ungewissheit. Plötzlich war die Wärme nicht wohltuend, nicht mehr lindernd. Sie schrie auf, als sie zurück ins Freie trat hin zu einer aufgetürmten Schneewehe. Sie sank auf die Knie, drückte Schnee auf ihre linke Gesichtshälfte, bedeckte ihr Ohr damit. Ihr Aufstöhnen hallte durch den Wald, doch sie hörte es nicht, zuckte nach einer Weile nur noch unter ihren Weinkrämpfen, die nicht allein ihr Ohr verursachte.

      Wulf wusste das. Er saß im Wald verborgen auf seinem Pferd, hatte auf eine Reaktion gewartet, eine Flucht vielleicht. Doch sie dachte nicht an Flucht, sie betäubte dort ihren Schmerz, jenen offensichtlichen und jenen, den sie ihm vorhin eingestanden hatte. Keine Sklavin. Ehefrau. Verurteilt zu leben. Etwas, das sie nicht gewollt hatte.

      Er betrachtete ihren Kampf.

      Zumindest darin sind wir uns einig, Nixe, dachte er. Keiner von uns beiden will dieses Leben.

      Er wartete bis sie wieder nach drinnen ging, sicher war, dass sie die Tür verschloss und nicht daran dachte zu erfrieren. Sie würde weiterkämpfen.

       9.

      Der schwere Hengst stapfte zügig durch die Schneewehen. Er kannte den Weg gut. Sein Herr ritt ihn meist des Abends, wenn es unauffälliger war.

      Wulf interessierte nicht, dass die Ritte ein Vergehen bedeuteten. Er begab sich dorthin, wo er, anders als in seinem Dorf, Wärme und Zuneigung erhielt. Er ging dorthin, wo jene zwei Menschen lebten, die ihm wirklich Mutter und Vater waren, ihn verstanden, ihm gaben, was er von Eilaf und seiner toten Mutter nie erfahren hatte. Da sie selbst keine Kinder hatten, hatte Wulf in ihren Herzen immer diesen Platz eingenommen. Und Wulf wusste, dass er diesen Platz auch gehabt hätte, hätten sie Kinder besessen.

      Das Süddorf lag in einer Senke, so dass das Pferd mit Bedacht den Hügel hinabschritt, zuweilen hinunterglitt, doch sein Herr hatte ihn gut ausgebildet. Er blieb ruhig, wie er es in Byzanz gelernt hatte.

      Wulf fühlte, dass es kälter geworden war. Er würde nicht lange verweilen können. Doch zumindest wollte er sie sehen. Und er musste Annija um Kleidung bitten. Dann konnte er seinen Wahleltern erzählen, dass Eilaf ihm wiederum eine Frau gegeben hatte. Weil er ihn aus dem Weg haben wollte.

      Arnulfs Haus stand wie das seinige etwas abseits. Schon von weitem sah Wulf ihn in der Tür stehen. Der Lichtschein fiel auf den kräftigen Schiffbauer, der verhinderte, dass der Hund lossprang, um Wulf zu begrüßen. Annija tauchte hinter ihm auf, putzte sich ihre Hände an der Schürze ab und lächelte, als Wulf das Pferd vor ihnen zum Stehen brachte.

      »Es tut so gut, dich zu sehen«, sagte sie. Sie konnte es kaum erwarten, dass er abstieg und sie an sich zog und leicht hochhob.

      »Wie hat mir das gefehlt!« Wulf ließ sie wieder herunter, umarmte Arnulf wie es ein Sohn tun würde, ohne Scheu, ohne Zurückhaltung, einen Moment zu lang.

      »Willst du über Nacht bleiben, Junge?«

      Arnulf sah ihn abwartend an.

      »Lasst uns kurz reingehen, dann erkläre ich euch den Grund meines Hierseins.«

      Arnulf und Annija tauschten einen Blick. Sie bemerkten den bitteren Klang in Wulfs Stimme und folgten ihm wortlos hinein.

      Annija sorgte für etwas Met, während Arnulf seinen Sohn und Freund musterte, den er seit zwei Jahren nicht gesehen hatte. Der Junge starrte mit finsterem Blick in das Feuer, die Arme verschränkt. Erst als Annija ihm das Horn reichte, sah er auf. Die dunklen, blauen Augen suchten ihn und baten ihn wortlos um Hilfe.

      »Sprich, Junge, was ist passiert? Wir haben dein Haus in den letzten Tagen stets etwas hergerichtet in Erwartung deiner Ankunft, brachten dir Kleidung und Essen. Das Risiko hierher zu kommen ist groß, auch wenn wir froh sind über dein Kommen. Aber was hat dich bewogen?«

      »Auf der Überfahrt fischten wir eine Frau aus dem Wasser ... ich«, verbesserte er sich, »holte sie aus dem Wasser. Ein Schiff aus dem Westdorf hat sie geraubt und ist in dem Sturm untergegangen. Sie ist wahrscheinlich die einzige Überlebende. Eilaf fragte, wer sie zur Frau begehrte. Niemand wollte sie. Doch sie wird nicht als Magd hierbleiben. Er machte sie zu ...« Wulf atmete tief durch. Arnulf und Annija warteten, dass er weitersprach.

      »Er machte sie zu meiner Frau«, stieß er dann hervor.

      Die beiden schwiegen für einen Moment. Er hatte schon einmal so vor ihnen gestanden. Vor vier Jahren. Hatte eine Frau nehmen müssen, die er nicht einmal in der Lage gewesen war zu mögen. Die in ihm vieles zerstört hatte. Er bekam ein ungezügeltes Weib ohne jeden Anstand. Sie hatte nach Einfluss gegiert und blieb zeitlebens unverständig, dass ihr Ehemann sich nichts aus seiner Stellung machte. Sie war unleidlich gewesen, dass er weit ab einem anderen Herrn diente. Sie wurde maßlos, skrupellos. Und schließlich untreu.

      »Eine Nordfrau?«, fragte Annija vorsichtig.

      Wulf war fast froh, dass sie versuchte, ihn von seinen düsteren Gedanken und Erinnerungen abzulenken.

      »Wahrscheinlich. Sie hat noch nicht gesprochen. Sie scheint sich den Kiefer oder das Ohr verletzt zu haben.« Er wartete Annijas Reaktion ab. Sie überlegte, wägte die Umstände ab, wie sie es als Heilerin über viele Jahre hinweg gelernt hatte.

      »Kann es sein«, wollte sie dann wissen, »dass sie ins Wasser gesprungen ist?«

      »Sie hat sich damit womöglich sogar gerettet«, erwiderte Wulf.

      »Mmh«, murmelte Annija. Sie ging an einen Tisch, der offensichtlich ihr vorbehalten war und mit getrockneten Kräutern, kleinen Schalen und handgeschnitzten Dosen übersät war. Sie suchte eine Weile, dann ergriff sie eine Dose und brachte sie Wulf.

      »Ich denke, sie hat sich nicht den Kiefer verletzt, sondern das Ohr. Möglich, dass sie auf diesem Ohr nie wieder richtig hören wird. Aber gegen den Schmerz kann ich etwas tun. Gib ihr das, sie soll es um das Ohr schmieren, es kühlt und lindert etwas. Ist sie etwas desorientiert?«

      »Ja, schnelle Bewegungen fallen ihr schwer«, erklärte Wulf. Er erinnerte sich an ihre Unsicherheiten seit er sie aus dem Wasser gezogen hatte.

      »Ich weiß, es verlangt dir viel ab, aber lass sie in den nächsten Tagen etwas in Ruhe. Gib ihr nicht zu schwere Arbeiten; weben und Wasser holen und dir Freude bereiten kann sie später noch.«

      Annija und Arnulf sahen ihn wiederum schweigend an. Noch hatte Arnulf nichts gesagt, er kam jedoch nahe zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter.

      »Wer hat Schuld, Wulf? Das ist es, was du wissen willst, nicht wahr?«

      »Wer sonst, wenn nicht Eilaf?«,

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