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Was geschah, wenn sie an Land gingen? Was würden sie mit ihr tun?

      Vater, steh mir bei. Lass mich nicht allein.

      Die Angst verstärkte ihre Schmerzen. Sie wusste, sie musste sich zusammennehmen. Tat es nach einer Weile, atmete tief ein und aus.

      Langsam richtete sie sich auf, das Blut rauschte in ihrem Kopf, ließ sie nochmals geraume Zeit verweilen. Dann erst klärte sich ihr Blick und sie erkannte die Umrisse der Kleidung, die einer der Nordmänner ihr hingelegt hatte, Hosen und eine weite helle Tunika, einige Lagen groben Stoffes und Lederschnüre, um ihre Füße zu schützen. Vielleicht würden sie ihr später Schuhe geben.

      Später.

      Robyn stöhnte leise.

      Reiß dich zusammen! Die eigene Stimme in ihrem Kopf klang nicht überzeugend, aber sie sagte es sich wieder und wieder. Sie musste an das Jetzt denken, sich sammeln, um dem Später entgegentreten zu können.

      Sie bemerkte einen Eimer und sah sich unsicher um. Niemand war in der Nähe, wenigstens das blieb ihr erspart. Fast schien sie allein auf dem Schiff. Auch als sie wenig später die Kleidung anzog und ihr Haar mit einer Lederschnur zusammenband, störte sie niemand. Beruhigt lehnte sie sich an die Reling, zog die Decken wieder enger um sich und versuchte ihren hämmernden Kopf zu vergessen.

      »Nixe, schlag die Augen für einen Moment auf.«

      Robyn hörte die leisen Worte kaum, leistete ihnen aber Folge. Sie wollte diesen Männern keinen Grund geben, ihre Freundlichkeit zu bedauern. Sie schienen nicht glücklich über ihr Hiersein. Auch ohne sie lange Zeit in Augenschein genommen zu haben, konnte sie es fühlen. Trotzdem schenkten sie ihr genug Aufmerksamkeit, mehr als ihre ertrunkenen Entführer, die sie wie ein Warenstück zu den anderen Gütern abgelegt hatten. Hernach hatte wahrscheinlich nur der aufziehende Sturm verhindert, dass sie sogleich über sie hergefallen waren. Der Sturm war ihr ein Wunder, ein Gottesgeschenk, ein Zeichen gewesen.

      Einer der Nordmänner kniete neben ihr, hielt einen dampfenden Becher in der Hand. Es roch wundervoll nach Wacholderbeeren.

      »Trink das«, sagte er, »morgen früh gibt es etwas Suppe, mehr solltest du noch nicht zu dir nehmen. Wenn wir morgen Nachmittag an Land gehen, wirst du bald etwas Richtiges essen können.«

      Robyns Blick wanderte von dem Becher kurz zum Gesicht des Nordmannes.

      »Trink langsam, Nixe«, zog er sie auf, »es ist kein Salzwasser.«

      Sie nahm den Becher und er ging ohne ein weiteres Wort. In der Dunkelheit verhalten seine Schritte schnell. Robyn sog den Geruch des dampfenden Weines tief ein. Es dauerte nicht lange und die langsamen Schlucke betäubten den Schmerz. Dankbar ließ sie sich zurück auf die Decken sinken.

       6.

      Schläft sie noch?« Wulf blickte Sigurd entgegen, der auf seine Anweisung hin Wein zu ihr gebracht hatte. »Sie wird es bald wieder.« Sigurd legte seine Arme auf die Reling wie Wulf. Sie starrten hinaus auf die schwarzgraue See.

      »Sie war angezogen, lehnte am Bootsrand und döste, schien dem Wein aber nicht abgeneigt ...Glaubst du, sie versteht uns?«, fragte er dann.

      »Jedes Wort«, antwortete Wulf, ohne zu überlegen.

      »Wie kannst du so sicher sein?«

      »Beobachte nur ihre Augen«, erklärte Wulf. »Dass sie so langsam handelt, rührt einzig von einer Verletzung, die sie uns nicht preisgeben will, aber ansonsten versteht sie jedes Wort.«

      »Glaubst du, die vom Westdorf haben sie weiter südlich geraubt?« Sigurds Überlegung war auch Wulfs.

      »Sehr wahrscheinlich. Doch statt wie blind Beute hinterherzujagen, hätten sie besser daran getan, das Wetter zu beobachten.«

      Sigurd verkniff sich seine Antwort. Er verfluchte jene Nordmänner vom Westdorf innerlich. Jedweder Gedanke an eine Vereinigung mit dem Westdorf sollte ausgelöscht sein, allein durch einen solchen Akt. Sie beide wussten das. Und doch hoffte Wulf immer noch, dass es eines Tages wieder nur einen König geben würde, nicht zwei Königreiche und ein weiteres Reich, das sich weigerte, auch nur einen der beiden anzuerkennen.

      »Ich bezweifele, dass jemand sie zu sich nehmen wird«, sann Sigurd. »Es wird schwer für sie sein. Es wird ihr ewig anhaften, dass wir sie aus dem Meer gefischt haben. Die Alten werden es für kein gutes Omen halten, einer solchen Frau Schutz zu gewähren.«

      Wulf sah ihn von der Seite an, wartete bis Sigurd seinen Blick kreuzte.

      »Vielleicht gerade deshalb. Indem wir ihr Schutz gewähren, werden uns die Götter womöglich dankbar sein und unserem Volk etwas Zuwendung zeigen.«

      »Ja, eine solche Zuwendung wäre allerdings dringend nötig. Trotzdem befürchte ich, dass der König nicht begeistert sein wird, dass wir sie mitbringen.«

      »Das soll eure Sorge nicht sein«, beruhigte ihn Wulf. »Ich werde die Verantwortung übernehmen und ihm erklären, wie wir zu ihr kamen.«

      »Nach fünfzehn Jahren kehren wir heim. Fünfzehn Jahre«, wiederholte Sigurd. »Endlich kann ich daheim bei Weib und Kind sein, muss sie nicht nur für einige Wochen besuchen, um dann wieder zu gehen. Ich werde bleiben. Diesmal werde ich bleiben.«

      Wulf dachte kurz an sein eigenes Zuhause, im Wald verborgen. Dort wartete niemand mehr auf ihn. Und er war froh darüber.

       7.

      Robyn hatte nie wirklich an eine Flucht gedacht, doch nun war sie sicher, dass sie es nie geschafft hätte, diese in die Tat umzusetzen.

      Es war früher Abend, als sie endlich anlegten. Das Wetter hatte sich stetig verschlechtert. Kein wirklicher Nebel lag auf dem Wald, der sie traurig begrüßte, nur ein nasser Dunst stieg vom Schnee auf. Scheinbar hatte der Sturm den Winter für kurze Zeit abgelöst und ließ es etwas wärmer werden, doch nicht für lang. Sie hatte einige Gesprächsfetzen der Nordmänner aufgefangen. Am steinigen Strand begrüßten sie einige Nordmänner und Nordfrauen mit Packpferden für die Ladung. Geduldig warteten sie, während ihr Retter und die anderen Männer anlegten und eine Rampe aufstellten. Sie bemerkte auch die unsicheren Handbewegungen zu ihr selbst hin. Obwohl sich Robyn so weit wie möglich an Bord zurückgezogen hatte, um das Anlegen und ihre Fluchtmöglichkeiten abzuschätzen, blieb sie nicht lang verborgen.

      Sie verkrampfte innerlich, schalt sich, da ihr Kopf daraufhin wieder mehr schmerzte.

      Wie würden sie damit umgehen, dass die Heimkehrenden eine Fremde mitbrachten? Aus dem Meer gefischt. Keine der ihren, wie sie bald feststellen würden, sondern eine Angelsächsin. Sie würde sich nicht mehr lang in Schweigen hüllen können. Bis jetzt hatte sie es umgangen zu sprechen, da sie befürchtete, dass sich ihr Kiefer ausrenkte. Wenn der Schmerz nachgelassen hatte, würde sie wieder sprechen müssen, um zu sehen, welchen Schaden der Sprung ins Wasser tatsächlich angerichtet hatte. Noch immer konnte sie nur schwer hören, manchmal verschwamm ihre Umgebung etwas, als könne sie zu schnellen Bewegungen nicht folgen. So wie jetzt als einer der Nordmänner auf sie zukam und sie kurzerhand auf seine Arme nahm, um sie die steile Rampe herunterzutragen. Sie schloss umgehend die Augen und hielt sie geschlossen, solange bis er sie absetzte. Als sie sie wieder öffnete, drehte sich alles. Unsicher ergriff sie das nächstliegende, die Mähne eines Packpferdes. Doch es scheute nicht, blieb ruhig stehen, bis sie sich selbst beruhigte. Sie ließ los, atmete tief ein und aus, bemerkte erst jetzt, dass ihr der Nordmann zudem eine Decke umgelegt hatte.

      »Wirst du das Stück laufen können, Nixe?«

      Robyn blickte nicht auf, erkannte trotzdem die Stimme ihres Retters. Sie nickte. Ein leichter Luftzug strich über sie hinweg.

      »Halte dich am Pferd fest. Der Fußmarsch dauert nicht lang. Wenn wir in der großen Halle ankommen, wird man über deinen Verbleib entscheiden.«

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