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Juni konnte ich in den Räumlichkeiten des Vermittlers meinen Termin wahrnehmen. Es war einer der wärmsten Tage des bisherigen Sommers. Nicht etwa dass eine sengende Sonne ihre unbarmherzigen Strahlen zu uns herabgesandt hätte, nein, es war nur ein wenig sonnig und dann auch wieder bewölkt. Aber die vorangegangenen verregneten Wochen und die an diesem Tage doch sehr präsente Mittsommersonne sorgten für ein tropisch warmes Klima. Mein Termin: ausgerechnet am frühen Nachmittag. Im klimatisierten Besprechungsraum hieß mich ein älterer, kompetent wirkender Herr willkommen. Rasch entwickelte sich ein gutes Gespräch, meinem Gesprächspartner war anzumerken, dass er psychologisch gut geschult war. Aber nachdem ich beschlossen hatte, mich in keinster Weise zu verstellen und ganz und gar mich selbst zu verkaufen, lief die eineinhalbstündige Unterredung für mich perfekt. Es war mittlerweile halb vier geworden. Man hatte mich bereits im Vorfeld ersucht, »genügend Zeit mitzubringen«, da der umfassende Computertest doch zumindest eineinhalb Stunden dauern werde. Der Berater verabschiedete sich an dieser Stelle von mir, er werde bei Beendigung des Tests vermutlich nicht mehr im Hause sein. Dann führte mich eine Sekretärin in den Computerraum und erklärte mir den Ablauf. In dieser Kammer war es ziemlich warm, zumal sie exakt nach Westen ausgerichtet war und sich die Sonne mittlerweile an diese Gebäudeseite geschlichen hatte. Das Angebot, die Klimaanlage einzuschalten, lehnte ich jedoch dankend ab, ich vertrage diese generell nicht besonders gut.

      Am Bildschirm erschienen nun verschiedene Zahlen- und Buchstabenreihen, wobei es galt, nicht passende Elemente zu finden und in ein Kästchen einzutragen. Von Frage zu Frage wurde dies schwieriger, sodass ich bald drei oder vier Minuten benötigte, um eine Entscheidung zu treffen. Trotzdem quälte ich mich beharrlich durch die Aufgaben. Es hätte ja schließlich auch der Fall sein können, dass man anhand dieses zermürbenden Tests erkunden wollte, wie ausdauernd und belastbar ich denn sei. Als Nächstes erschienen Tabellen, sechs senkrechte Kolonnen und sechs Zeilen mit Zahlen. Oberhalb der Tabellen wurde erklärt, welche Zahlen an welcher Stelle durch eine andere Zahl zu ersetzen sind, dann erschienen Rechenaufgaben mit den Zahlen, die ja nun nicht mehr sie selbst waren, sondern im Geiste ersetzt werden mussten. Dabei wurde über drei oder vier Instanzen gerechnet, man musste sich also doch ziemlich konzentrieren und das Kurzzeitgedächtnis ausgiebig strapazieren.

      Direkt eine Erleichterung war dann der Worttest. Der Schirm zeigte jeweils ein selten verwendetes Wort, zumeist Fremdwörter. Sogleich erhielt man sechs Vorschläge, denen die Bedeutung des zuvor gesehenen Wortes zugeordnet werden musste. Gott sei Dank kann ich auf einen gediegenen Wortschatz zurückgreifen, diese Aufgabe kostete mich wohl keine 20 Minuten. Nun, es war mittlerweile halb sechs geworden. Ich fragte mich, wie lange wohl die Sekretärin Dienst hatte. Das Sakko und die Krawatte hingen längst am Kleiderständer, der »offizielle Teil« war ja bereits vorüber. Nun kamen Managementaufgaben auf mich zu. Plötzlich sah ich mich in der Rolle von Vorstandsvorsitzenden, von Abteilungsleitern mit hunderten von Mitarbeitern, von Börsenmaklern in prekären Situationen. Etwa zehnzeilige Texte erklärten den jeweiligen Sachverhalt. Meine Aufgabe war es, aus neun Reaktionsmöglichkeiten jene drei herauszufiltern, welche für mich die idealen Lösungen zur Bereinigung einer Situation oder zur Hintanhaltung größeren Schadens darstellen würden. Ich entschied mich, ein menschlicher Manager zu sein. Wenn es irgendwie möglich war, rettete ich meinen Mitarbeitern den Arsch, verhinderte Werksschließungen in Krisengebieten, widersetzte mich Korruptionsangeboten und erschuf innerhalb einer Dreiviertelstunde eine Wirtschaftswelt, nach der sich die Gutmenschen dieser Erde wohl schon lange sehnen. Tatsache ist, dass es in dieser Sequenz keine richtigen oder falschen Antworten gab, die Aufgaben dienten lediglich dazu, jemandes persönlichen Führungsstil zu analysieren. Die Sekretärin hatte mir inzwischen einen Krug Wasser gebracht. Die Managementaufgaben hatte ich wahrlich im Schweiße meines Angesichts erledigt. Auch hatte ich den Verdacht, dass das Fräulein über eine rasche Beendigung meiner Aufgaben nicht unglücklich gewesen wäre. Endlich erschienen die Spielkarten, welche das herannahende Ende der Computersession signalisieren sollten. Es galt, innerhalb einer sehr kurzen Zeit möglichst viele Aufgaben richtig zu erledigen. Gezeigt wurden jeweils vier Spielkarten. Nur wenn exakt zwei der Karten das gleiche Symbol trugen, musste ein »J« eingegeben werden. Sollten jedoch zweimal zwei gleiche Symbole dargestellt sein oder auch drei gleiche Symbole, war ein »N« einzutragen, genauso wenn überhaupt keine gleichen Symbole gezeigt wurden. Eine höchst einfache Aufgabe, nach diesem dreistündigen Test aber doch mühsam. Um halb sieben war ich fertig.

      Später sollte ich erfahren, dass ich unter allen Bewerbern unter die ersten drei gereiht worden war, sich der künftige Dienstgeber aber nicht so rasch entscheiden könne und vor Herbst sicherlich keine Entscheidung zu erwarten sei.

      Die Geschichte vom Mahlsteiner Axel

      Axel war einer von unseren Monteuren. Er gehörte also zu jenen Burschen, die man am einen Tag dahin und am anderen dorthin schickte, die also bestens beraten waren, Zahnbürste und Pyjama stets in der Firma zu haben, denn es konnte durchaus passieren, dass man als Monteur um 16 Uhr erfuhr, dass man am nächsten Morgen z.B. in Köln sein muss. Axel war ein gutmütiger Riese, etwa zehn Zentimeter größer als ich (und ich bin schon nicht klein) und mit Oberarmen, deren Umfang etwa jenem meiner Oberschenkel entsprach. Axel hatte vor seinem Dienstantritt bei den Bammers eine bessere schulische Ausbildung genossen, er war bereits Geselle, als ich in die Firma eintrat. Bisweilen wirkte er etwas schwerfällig, obwohl er sein Handwerk tadellos beherrschte. In der Firma konnte er jedoch nicht weiterkommen. So begann er, einen Meisterkurs zu absolvieren, um seine Chancen zu verbessern. Manni, jener Meister, unter dessen Ägide Axel arbeitete, sah natürlich sofort seinen Status bedroht. Er schickte Axel noch öfter in der Welt herum als zuvor, der sollte möglichst wenig Gelegenheit bekommen, seine Kursabende zu besuchen. Auch das Familienleben forderte Axel, zwei seiner drei Kinder waren bereits auf der Welt. Dennoch schaffte es Axel, nach etwa zwei Jahren hatte er seinen Meistertitel. Nun hoffte er darauf, endlich mehr Verantwortung, eine interessantere Herausforderung oder zumindest mehr Geld zu bekommen. Der Firma kam es natürlich am billigsten, Axel mit einer interessanten Herausforderung zu ködern, das Finanzielle sollte dann folgen, wenn das von Axel künftig zu verantwortende Projekt einmal satte Gewinne abwirft.

      Der Zufall wollte es, dass wir gerade ein sehr innovatives, jedoch auch komplexes Produkt auf den Markt gebracht hatten, dessen Entwicklung noch in den Kinderschuhen steckte und das daher die intensive Betreuung durch einen versierten Handwerker mit guten Theoriekenntnissen erforderte. So tourte Axel weiterhin durch die Welt, jedoch mit Fokus auf unser neues Produkt, die künftige Cash Cow der Firma. Sonst aber ging nicht viel weiter. Axels sich vergrößernde Familie saß in einer kleinen Wohnung fest, die Karotte, die man ihm vor die Nase gehängt hatte, kam nicht näher. So begann Axel seine Fühler auszustrecken und fand bald einen Arbeitgeber, der bereit war, schon als Einstiegsgehalt 400 Euro mehr zu bezahlen, als Axel nach etlichen Jahren bei den Bammers verdiente. Obwohl er dadurch zwei Monatsgehälter an Abfertigung verlieren sollte, beschloss Axel, zu kündigen. Die Kündigung gab er bei Albrecht ab, doch schon zwei Minuten später rief der Chef Axel zu sich. Die Szenen, die sich im Chefbüro abgespielt haben, wurden mir so beschrieben: »Ja, was glaubst du denn, du kannst uns doch jetzt nicht einfach im Stich lassen! Jetzt haben wir dir dieses tolle Projekt zukommen lassen und die Firma beweist so viel Vertrauen in dich, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich woanders zu bewerben.« Axel verwies darauf, dass er selbst als Meister noch im Arbeiterstatus geführt werde, die anderen Meister jedoch längst Angestellte seien und dadurch auch höhere Bezüge hätten. »Ja, dann sag das doch, das ist ja überhaupt kein Problem, du kannst ab nächstes Monat Angestellter sein.« Axel lamentierte weiter, dass er dann ja trotzdem noch als einfacher Monteur durch die Lande gondeln müsse, wobei er doch gerne Teamverantwortung übernehmen würde. Nun sagte ihm der Chef auch das zu. Gott sei Dank fiel Axel noch ein, dass er, wenn er nun Angestellter wird, in dieser Firma keinen Anspruch mehr auf Diäten haben würde. Es war den Bammers wichtig, dass Angestellte keinesfalls in den Genuss solcher steuerfrei auszubezahlenden Gehaltsbestandteile kommen, stattdessen behielt man es sich vor, eine jährlich neu zu beschließende Prämie (Schleimzulage) zu zahlen, von der wir Arbeitnehmer gleich einmal 60 % an Krankenkasse und Fiskus abliefern mussten. Im Fall von Axel sagte der Chef nun sogar zu, dass er auch als Angestellter weiterhin seine Diäten einreichen dürfe. Axel, von der spontanen und komplett unerwarteten Generosität des Chefs vollkommen überwältigt, zog seine Kündigung zurück und sagte dem potentiellen

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