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werden. Meine armen, jungen Mitprüflinge schrieben sich in der zur Verfügung stehenden Zeit fast die Finger wund, um dann – sich krampfhaft an ihren Zettelchen festhaltend – die Stichworte abzulesen und in der verbleibenden Zeit stakkatoartig zu beteuern, wie gut man doch für diesen Beruf geeignet sei und wie viel Freude man denn an Kindern habe. Dazu kam, dass jene gestrenge Professorin, welche uns am ersten Vormittag begleitete, die Stoppfunktion ihres iPhones aktivierte und exakt die Einhaltung der vorgegebenen Redezeit kontrollierte. Ich hatte beschlossen, mir keine Notizen zu machen. Aus etlichen Erfahrungen, die ich in den von mir absolvierten Kursen gemacht hatte, wusste ich, dass es mir möglich wäre, eine dreiminütige Präsentation auch ohne Stichwortzettel zu halten. Nach meinem Ermessen gelang das auch ganz gut.

      Die Vorgangsweise blieb die gleiche, als es darum ging, sich für seine fiktiven Schüler ein Schulprojekt auszudenken und dieses dann auf einem fiktiven Elternabend den staunenden Eltern zu präsentieren. Während meine künftigen Kommilitonen Skikurse und gesunde Jause präsentierten, also Projekte, die sie als Schüler soeben noch selbst erlebt hatten, entschloss ich mich, eine fächerübergreifende »Zukunftswoche« an der Schule einzuführen. In dieser Woche sollten die Schüler aufgefordert werden, ihre Vorstellungen von ihrer eigenen Zukunft zu präsentieren, anstatt ein fertiges Konzept der Erwachsenenwelt vorgesetzt zu bekommen. Mit viel Verve präsentierte ich dieses Projekt, sprach neben den fiktiven Eltern auch mein fiktives Kollegium an, schrieb in Riesenlettern an die Tafel und pries den Nutzen, den die ganze Gesellschaft aus einem solchen Projekt ziehen könne. Gott sei Dank hatte inzwischen ein Professorenwechsel stattgefunden, denn die drei Minuten werde ich bei dieser Präsentation wohl nicht ganz eingehalten haben.

      Am letzten Prüfungstag war ein Rechtschreibtest angesetzt. Dankenswerterweise hatte jemand in den Hinweisen zur Anmeldung einen Link zu einem ähnlichen Test gesetzt, so konnte ich einige Tage zuvor bereits nachsehen, wie dieser Test so abläuft. Da ich an meinem Rechner die Lautsprecher nicht angeschlossen hatte, bekam ich nicht mit, dass der Test auch akustische Anweisungen gab. So wunderte ich mich sehr, dass ich beim Ausfüllen von Leerfeldern, für welche mehrere Begriffe möglich waren, immer null Punkte bekam. Erst später bemerkte ich, dass hier genau jene Wörter zu ergänzen waren, welche eine sonore elektronische Stimme vorgab. Bei meinem ersten Testlauf hatte ich etwa 85 %, damit war ich einigermaßen zufrieden. Am Vorabend des Rechtschreibtests entschloss ich mich, den Beispieltest nochmals zu absolvieren, dabei hatte ich die Lautsprecher angeschlossen. Mit einer Quote von diesmal 93 % war ich durchaus zufrieden und ging am nächsten Tag voller Zuversicht zum Test. Die gnädigen Professoren und der Computer dürften meine Leistungen allesamt recht positiv beurteilt haben. Als etwa eine Woche später die Ergebnisse veröffentlicht wurden, stellte sich Folgendes heraus: Von etwa 140 Bewerbern konnten insgesamt 110 die Aufnahmeprüfung erfolgreich ablegen. Die anonymisierte Reihung zeigte mir zu meiner großen Überraschung aber auch, dass ich unter den 110 zukünftigen Studenten meiner Sparte an die 28. Stelle gereiht worden war. Ich schien also doch nicht ganz so unfähig zu sein, wie ich dies aufgrund meiner erfolglosen Bewerbungen inzwischen hatte annehmen müssen.

      Heilerfolg

      In den letzten Jahren hatten sich bei mir einige »Wehwehchen« etabliert. Die Lendenwirbelsäule war eigentlich permanent beleidigt. Es gab lediglich einen einzigen Stuhl in meinem Büro, den ich über längere Zeit benützen konnte, ohne immense Schmerzen zu bekommen. Leider sah die Chefin dies als Affront – schließlich hatte sie kurz zuvor optisch attraktive, farblich auf das Büro abgestimmte Drehstühle erworben, die von mir nun anscheinend »verschmäht« wurden. So gut es der Designer dieser Stühle auch gemeint hatte, zum Sitzen waren sie nur mäßig geeignet. Letztlich baute ich mir zuhause aus ein paar Brettchen ein kleines, aufklappbares Pult, das gerade Platz für Tastatur und Maus bot. Ich konnte also – wenn die Schmerzen zu belastend wurden – mein Erhöhungspult ausklappen, die Bildschirme leicht nach oben schwenken und im Stehen weiterarbeiten. Das brachte aber wieder andere Beschwerden mit sich: In der rechten Ferse wurde über die Monate ein stechender Schmerz spürbar, der im Fachjargon »Fersensporn« genannt wird. Jeden Morgen sah mich aus dem Spiegel ein Mensch mit stark geschwollenen Tränensäcken an, nur am Wochenende besserte sich das kurzfristig. Zusätzlich trat am linken Schulterblatt häufig ein krampfartiger punktueller Schmerz auf, für den ich überhaupt keine Erklärung hatte und der auch von meiner Hausärztin logisch nicht zugeordnet werden konnte. Bisweilen griffen noch weitere unerklärliche Schmerzen dieser Art an Händen oder Füßen Platz. Tatsache ist, dass ich mich in dieser Zeit zunehmend als körperliches Wrack fühlte. Zwar betrieb ich in der Freizeit gar nicht so wenig Sport, absolvierte die eine oder andere Physiotherapie, eine spürbare und nachhaltige Besserung meiner diversen Leiden konnte ich dennoch nicht verzeichnen.

      Wenige Wochen nach meiner Demission bei den Bammers waren alle diese Erscheinungen urplötzlich verschwunden. Mein Körper erschien mir um etliche Jahre jünger. Natürlich, ich hatte (bis auf ein bisschen Hausarbeit und ein, zwei Stunden Bewerbungen schreiben) Zeit für mich. Ich machte also noch viel mehr Sport oder vertrieb mir die Zeit auf angenehme Weise. Erstaunlich ist aber, dass mich die oben genannten Leiden auch dann nicht mehr einholten, als ich wieder einen geregelten Alltag bekam und Leistungen erbringen musste. Ich kann diese physischen Erscheinungen aus heutiger Perspektive einzig auf den psychischen Druck zurückführen, welchem ich in meiner alten Firma unbewusst unterlag.

      Meine Sonderregelung

      Womit wir wieder bei einer »Geschichte« angelangt wären: Wie schon erwähnt hatte ich, wie die meisten Angestellten des Unternehmens, einen »All-in-Vertrag«. Das bedeutet: Eventuell erforderliche Überstunden waren im Grundgehalt selbstverständlich inkludiert. Ebenso die Diäten, die gegebenenfalls für Dienstreisen angefallen wären. Für viele meiner Kollegen waren auch regelmäßige »Seminare« an den Wochenenden pauschal abgegolten – ich hatte Gott sei Dank sehr bald Seminar-Verbot erhalten, weil ich mich nach einer peinlichen Gehirnwäsche des Seminarleiters kritisch zu Wort gemeldet hatte, dazu jedoch später. Es war mir also nicht möglich, beispielsweise einen »Zeitausgleichspolster« aufzubauen, wenngleich ich im Schnitt 45 Stunden pro Woche arbeitete. Gleitzeit gab es nicht, von 7 Uhr 30 bis 17 Uhr herrschte strikte Anwesenheitspflicht. In den ersten Jahren war es jedoch üblich, dass ich mir, wenn ich einen dringenden Termin bei einem Lehrer meiner Kinder oder in einem Amt wahrnehmen musste, dafür stundenweise Urlaub nehmen konnte. Dies auch deshalb, weil das Lohnverrechnungsprogramm den Urlaub ohnehin in Stunden abrechnete, präzise bis zur zweiten Nachkommastelle. Irgendwann bemerkten meine Chefleute, dass es mir möglich war, dadurch wichtige private Termine wahrzunehmen, ohne dafür einen Urlaubstag opfern zu müssen. Ich wurde instruiert, mir in solchen Fällen halbe Urlaubstage zu nehmen. Es sei nämlich – so die Begründung – für die Firma nicht möglich, den Urlaub stundenweise abzurechnen. Das nahm ich wider besseres Wissen zur Kenntnis. Vorübergehend war das Thema also erledigt. Etwa ein oder zwei Jahre später, es war ein herrlicher Sommertag und es standen keinerlei dringliche Arbeiten an, bat ich den Junior (die Chefleute waren an schönen Sommertagen kaum zugegen), mir den Nachmittag freinehmen zu können. Er wollte von mir natürlich wissen, wofür ich diesen halben Urlaubstag denn benötigte. Wahrheitsgemäß antwortete ich, dass ich einfach den schönen Nachmittag genießen wolle, schließlich hätte ich ja noch einige alte Urlaubstage übrig. Meine entwaffnende Ehrlichkeit dürfte ihm keine Wahl gelassen haben, schmunzelnd zeichnete er meinen Urlaubsantrag ab. Guter Laune schrieb ich an alle Kollegen ein E-Mail, dass ich am Nachmittag privat außer Haus sei. Dies war von der Geschäftsleitung so vorgegeben, jede noch so kurze Abwesenheit aus dem Büro musste schriftlich an alle mitgeteilt werden.

      Am nächsten Vormittag rief mich der Chef in sein Büro. »Was hatten Sie denn gestern so Dringendes zu erledigen?« Auch dem Chef gegenüber antwortete ich wahrheitsgemäß, dass ich mir einfach einen halben Tag Urlaub genommen hatte, schließlich sei das zwischen uns so vereinbart gewesen. »Nein«, meinte er plötzlich, das könne er sich nicht vorstellen, dass er das jemals so gesagt habe. Grundsätzlich sei es ja die Intention eines Urlaubes, dass man sich erholt. Eine Erholung sei aber nur dann möglich, wenn man sich zumindest eine freie Woche gönnt, in Ausnahmefällen könne er jedoch einzelne Tage genehmigen. Es kam zu einer kleinen Diskussion. Ich erklärte, dass ich mir ja nicht jedes Mal einen ganzen Urlaubstag nehmen kann, wenn ich einen Termin in der Schule oder auf einem Amt wahrnehmen muss, der

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