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hatte, was er mit sich in dieser riesigen Stadt ohne Freunde anstellen sollte, hatte er das Buch verschlungen und viele Gemeinsamkeiten zwischen sich und dem Protagonisten Holden entdeckt. Mittlerweile fühlte er sich nicht mehr so einsam wie am Anfang, schließlich hatte er Freunde gewonnen und war Mitglied des Teams. Nichtsdestotrotz hatte der Anblick des Buches stets etwas Tröstliches an sich.

      Nachdem er aufgelegt hatte, die Finger über den Buchrücken wandern ließ und seine langen Beine von sich streckte, dachte er unwillkürlich über Teddys Frage nach und erinnerte sich daran, wie er vor einigen Monaten Sarah Matthews begegnet war.

      Er war mit einem total betrunkenen Blake in einem Club gewesen und hatte den Superbowlsieg gefeiert. Heute könnte er sich selbst ohrfeigen, wenn er daran dachte, dass er tatsächlich auf Blake gehört hatte, als dieser ihm Flirttipps gab. Damals waren ihm Blakes Fehler gar nicht aufgefallen und er hatte ihm blind vertraut, da Blake ein ziemlicher Aufreißer war und Erfahrung darin hatte, Frauen anzusprechen. Vielleicht hatte es auch daran gelegen, dass er Blakes Tipps nicht hinterfragt hatte, weil er sich sehr einsam gefühlt und ein Blick in das Gesicht der jungen Blondine ihn geradezu umgeworfen hatte. Neben ihm war die Blondine wie ein Winzling erschienen, aber sie hatte ein tolles Lächeln und war nicht sofort weggelaufen, als er sich dazu durchgerungen hatte, sie anzusprechen. Im Gegenteil, denn Sarah hatte mit ihm geplaudert, gelacht und war erst dann merkwürdig geworden, als er Blakes Tipps anwendete, ihr voller Stolz seinen Superbowlring zeigte und von dem vielen Geld sprach, das er verdiente.

      Er war sich selbst wie ferngesteuert vorgekommen, als würde ihn irgendjemand dazu zwingen, diesen Schwachsinn von sich zu geben, obwohl er eigentlich die Klappe halten wollte. Noch heute brannte sein Gesicht, wenn er darüber nachdachte, dass er ihr tatsächlich gesagt hatte, dass er normalerweise auf größere Brüste stand, aber bei ihr gerne eine Ausnahme machte. Ausgerechnet er, der sich unbehaglich fühlte, wenn ihn seine Kumpels in eine Striptease-Bar schleppten, hatte vor einem netten Mädchen über deren Brüste gefaselt!

      Die Situation war eskaliert, als sie ihm ihr Knie in die Weichteile gerammt hatte und abgehauen war. Wenigstens hatte Dupree sich damit trösten können, dass er sie nicht wiedersehen musste. Falsch gedacht, denn Sarah war einige Wochen später wieder aufgetaucht, um sich als Mitarbeiterin der Brustkrebshilfe herauszustellen, für die Dupree ehrenamtlich Werbung machte. Sie war sogar seine Ansprechpartnerin und arbeitete mit ihm zusammen an der Öffentlichkeitsarbeit. Das Leben konnte so ungerecht sein!

      2. Kapitel

      Das Leben konnte so scheiße sein!

      Sarah Matthews war extrem froh, dass sie in keinem Großraumbüro arbeitete, als sie die Bürotür verschloss, sich dagegen lehnte und ihren Tränen freien Lauf ließ.

      Von Anfang an hatte sie gewusst, dass es hart wäre, gerade diese Stelle anzunehmen und sich tagtäglich mit Brustkrebspatientinnen und deren Angehörigen zu beschäftigen, aber sie hatte sich gesagt, dass sie Gutes tun konnte und sich selbst einfach zurücknehmen musste. Ihr Job erfüllte sie, machte sie stolz und gab ihr das Gefühl, etwas bewirken zu können. An manchen Tagen jedoch wäre sie am liebsten verzweifelt und beklagte die Grausamkeit des Schicksals. Ihre Vorgesetzte Miranda behauptete zwar, dass es mit der Zeit besser würde, und Sarah wollte ihr da nicht widersprechen, dennoch hatte sie allein in den vergangenen vier Monaten so viele schlimme Schicksalsschläge miterlebt, dass sie das nicht glauben konnte.

      Mit zittrigen Händen wischte sie sich die Tränen beiseite und starrte unglücklich auf die wunderschöne Geburtsanzeige eines kleinen Mädchens. Sarah hatte die rosafarbene Karte erst vor fünf Wochen an ihre Pinnwand geklebt und ständig lächeln müssen, wenn ihr Blick darauf gefallen war. Das Mädchen mit dem zerknautschten Gesicht und dem winzigen Mützchen auf dem Kopf trug den Namen Sophie und war zusammen mit ihrer Mutter Mary Sarahs erste Initiative in diesem Job gewesen. Zu dieser Zeit war Sophie nicht einmal geboren und doch der Grund gewesen, weshalb Sarah einen langen Bericht über sie und ihre dreiunddreißigjährige Mutter veröffentlichte. Mary hatte am Anfang ihrer Schwangerschaft die Diagnose Brustkrebs erhalten und sich gegen eine Chemotherapie entschieden, um den Fötus zu schützen. Sie hatte gewusst, dass die aggressive Therapie, die bei ihr nötig gewesen wäre, das Baby höchstwahrscheinlich geschädigt hätte. Im Gegensatz zu ihr, die sich keine Illusionen über ihre Krebserkrankung gemacht hatte, war ihr Mann sehr hoffnungsvoll gewesen, dass Mary gleich nach der Geburt den Krebs besiegen könnte, wenn sie sofort mit der Therapie begann. Fünf Wochen später war Mary nun tot.

      Sarah stieß sich von der Tür ab und ging um ihren Schreibtisch herum, bevor sie nach ihrem Handy griff. Sie fühlte sich hilflos und rief den einzigen Menschen an, der sie jetzt aufmuntern könnte.

      „Hallo, Mom ... ich bin’s.“

      „Liebling“, erklang die tröstliche Stimme ihrer Mutter. „Geht es dir nicht gut? Du klingst schrecklich.“

      Mit wackligen Beinen setzte sich Sarah in ihren Sessel und schluckte. „Ich habe dir doch von Mary erzählt – der schwangeren Frau mit dem inflammatorischen Karzinom.“

      Ihre Mutter schwieg einen Moment, bevor sie leise erklärte: „Ja, das hast du. Sie hat ein kleines Mädchen bekommen, richtig?“

      „Ja“, mit einem Kloß im Hals flüsterte sie. „Mary ist gestern gestorben. Gerade eben hat ihr Mann angerufen.“

      „Das tut mir sehr leid.“

      „Mir auch.“

      Eine kurze Zeit herrschte Stille am anderen Ende, bevor ihre Mom mit sanfter Stimme erklärte: „In der nächsten Woche kann ich mir freinehmen, Schatz. Möchtest du, dass ich dich besuchen komme? Du weißt, dass ich dich vermisse und mir sehr gerne deine neue Wohnung anschauen würde.“

      „Ich vermisse euch auch, aber du musst nicht extra von Florida nach New York fliegen und meine Wohnung vorschieben, um mich zu trösten, auch wenn ich das sehr lieb finde und dich sehr gerne sehen würde.“

      Ein tiefer Seufzer war die Antwort. „Ach, Sarah ...“

      „Nein, wirklich. Weißt du, ich bin mittlerweile erwachsen“, erklärte sie amüsiert.

      Dieses Mal antwortete ihre Mom mit einem Schnauben. „Auch wenn du erwachsen bist, bleibst du mein Baby.“

      Lächelnd lehnte Sarah den Kopf zurück. „Du hast gar nicht die Zeit, um mich zu besuchen, Mom. Wie soll Jamie denn seine Collegebewerbung fertigbekommen ...?“

      „Dein Bruder wird sicherlich ohne mich diese Bewerbung schreiben können. Außerdem ist dein Vater auch noch da und kann ihm helfen.“

      Mit einem kleinen Lachen stellte sich Sarah vor, wie ihr Dad und ihr Bruder zusammen über der Bewerbung fürs College hingen und sich vermutlich nach wenigen Minuten vor den Fernseher setzten, um Sportnachrichten zu schauen und sich eine Pizza zu bestellen. Sobald ihre Mom das Haus verließ, herrschte daheim in Pensacola Anarchie. Sarahs zwei Brüder, die beide um ein paar Jahre jünger waren, tanzten ihren Eltern auf der Nase herum.

      „Danke, Mom. Du musst wirklich nicht kommen.“

      „Wenn du meinst ...“

      „In der nächsten Woche habe ich außerdem einige Termine, die ich nicht verschieben kann.“

      „Mit dem Footballspieler?“

      Sarahs Gesicht verschloss sich für einen Moment, als sie an das gestrige Telefonat mit dem wortkargen Dupree Williams dachte. In der nächsten Woche würde sie ihn treffen und sah dieser Begegnung mit Magenschmerzen entgegen.

      „Frag’ ihn doch bitte nach zwei Autogrammen für deine Brüder. Die beiden sind große Fans und bekommen sich vor lauter Aufregung, dass du ihn kennst, gar nicht mehr ein.“

      „Ich kenne ihn nicht wirklich ...“

      „Du erstellst seine Werbekampagne, Schatz.“ Mit einem amüsierten Laut kicherte ihre Mom in den Hörer. „Das ist doch schon etwas.“

      „Natürlich frage ich ihn nach den Autogrammen“, entgegnete Sarah, da sie keine Lust hatte, ihrer

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