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»Ein richtiger Sturkopf.«

      Als hätte er sie trotz der großen Entfernung gehört, warf der Chino den Zwillingen einen dreisten Blick zu, erst der einen, dann der anderen, musterte sie hochmütig und eitel von oben bis unten und drehte sich sogar leicht in ihre Richtung, um sie direkt von vorne anblicken zu können. Ada grinste und machte mit Daumen und Zeigefinger ein provozierendes Zeichen in seine Richtung.

      »Das Hähnchen muss erstmal krähen lernen«, sagte sie.

      »Ich war noch nie mit einem Jockey zusammen«, bemerkte Sofía.

      Der Jockey sah die beiden an und verbeugte sich in ihre Richtung. Dann ging er mit leicht wankendem Schritt, so als wäre ein Bein kürzer als das andere, die Reitpeitsche unter der Achsel, den kleinen Körper stolz aufgerichtet, zu einer Pumpe und hielt seinen Kopf unter den Wasserstrahl. Während er pumpte, betrachtete er Monito, der sich unter einen Baum gesetzt hatte.

      »Du bist zu früh gestartet«, sagte er zu ihm.

      »Und du redest zu viel«, antwortete ihm Monito, und sofort bauten sich die beiden voreinander auf, aber Schlimmeres geschah nicht, denn der Chino ging rückwärts zu seinem Rotbraunen und fing an, auf ihn einzureden und ihn zu streicheln, als wollte er ihn beruhigen, obwohl in Wirklichkeit er es war, der ziemlich aufgebracht war.

      »Also gut, ich gebe mich geschlagen«, sagte der Großgrundbesitzer aus Luján, »aber ich habe nicht verloren. Die Wetten werden ausgezahlt, und das war’s.« Er sah Ledesma an. »Wir wiederholen das Rennen, wann immer Sie wollen, suchen Sie einen neutralen Ort aus. In Cañuelas gibt es nächsten Monat ein paar Rennen, falls Ihnen das zusagt.«

      »Ich danke Ihnen«, sagte Ledesma.

      Doch er nahm die Herausforderung nicht an, und ihre Pferde liefen nie wieder gegeneinander. Es heißt, die Schwestern hätten den alten Belladona überzeugen wollen, das Pferd aus Luján zu kaufen – einschließlich des Jockeys –, um das Rennen zu wiederholen, doch der Alte habe sich geweigert. Aber das sind nichts als Mutmaßungen.

      Dann kam der März, und die Schwestern gingen nicht mehr zum Schwimmen ins Náutico. Jetzt erwartete sie Durán immer in der Bar des Hotels, oder er setzte sie am Ortseingang ab, fuhr an der Lagune entlang und machte eine Pause in der Ladenschänke der Madariagas, um sich einen Gin zu genehmigen. Zu jener Zeit interessierten ihn die Pferderennen schon nicht mehr, so als wäre er irgendwann bitter enttäuscht worden oder als benötigte er den Vorwand nicht mehr. Fast jede Nacht sah man ihn in der Hotelbar. Er hatte sich seine sympathische, vertraueneinflößende Art bewahrt, doch allmählich begann er sich immer mehr abzusondern. Die Vermutungen und Gerüchte, weshalb er in das Dorf gekommen war, nahmen eine andere Richtung, es hieß, man habe das und das gesehen oder habe ihn gesehen, er habe das und das gesagt oder jemand anderes habe das und das gesagt, und dabei senkte man die Stimme. Immer öfter konnte man ihn zerstreut im Dorf umherirren sehen, und offenbar schien er sich wohler zu fühlen, wenn Yoshio, der ihm gleichzeitig als persönlicher Gehilfe, Cicerone und Führer diente, an seiner Seite war. Der Japaner lenkte ihn in eine unvorhergesehene Richtung, die niemandem gefiel. Während der Siesta badeten sie nackt in der Lagune. Und mehr als einmal wurde Yoshio dabei beobachtet, wie er mit einem Handtuch am Ufer wartete und Durán kräftig den Körper abrubbelte, bevor er eine Decke unter den Weiden ausbreitete und ein Picknick herrichtete.

      Manchmal standen die beiden schon im Morgengrauen auf und fuhren zum Angeln an die Lagune. Sie mieteten ein Ruderboot, warfen die Angelschnur aus und betrachteten den Sonnenaufgang. Tony war auf einer karibischen Insel aufgewachsen und die Lagunen, die sich mit ihren stillen Flussarmen und kleinen Inseln, auf denen Kühe grasten, im Süden der Provinz aneinanderreihten, ließen ihn schmunzeln. Doch ihm gefielen die leeren, weiten Ebenen, die man vom Boot aus sah, jenseits der sanften Wellen, die sich zwischen den Binsen auflösten. Ausgedehnte Felder, von der Sonne versengte Weiden und hin und wieder ein kleiner Tümpel zwischen den Baumgruppen und Wegen.

      Zu der Zeit hatte sich die Legende um seine Person bereits gewandelt. Er war kein Don Juan mehr, kein Glücksritter, der reichen südamerikanischen Erbinnen nachstellte. Jetzt war er ein Reisender neuen Typs, ein Abenteurer, der schmutzige Geschäfte machte, ein kühler Ganove, der mithilfe seiner Eleganz und seines amerikanischen Passes Dollars durch den Zoll schmuggelte. Er besaß eine doppelte Persönlichkeit, zwei Gesichter, zwei Wesen. Es schien unmöglich, dass sich eine der Versionen erhärtete, denn sein rätselhaftes Leben sorgte immer wieder für neue Überraschungen. Er war ein verführerischer, extrovertierter Fremder, der viel erzählte, und gleichzeitig ein geheimnisvoller Mann mit einer dunklen Seite, jemand, der in den Bann der Belladonas geraten war und dem es nicht mehr gelang, sich aus diesem Strudel zu befreien.

      Das ganze Dorf beteiligte sich daran, die unterschiedlichen Versionen anzupassen und ständig zu ergänzen. Die Motive und der Blickwinkel hatten sich geändert, nicht aber die Person. Die Begebenheiten waren nicht neu, nur die Art, sie zu betrachten. Es gab keine neuen Erkenntnisse, nur andere Interpretationen.

      »Aber deshalb haben sie ihn nicht umgebracht«, bemerkte Madariaga und betrachtete den Kommissar im Spiegel, der noch immer nervös im Laden auf und ab ging, die Reitgerte in der Hand.

      Ein Rest Abendlicht drang durch das Fenstergitter, hinter dem sich die weite Ebene in der Dämmerung auflöste, als wäre sie aus Wasser.

       Sie saßen in Korbsesseln in der zum Garten hin offenen Galerie und unterhielten sich vom späten Nachmittag bis Mitternacht. Immer wieder stand Sofía Belladona auf und trat ins Haus, um neues Eis oder die nächste Flasche Weißwein zu holen. Auch von der Küche aus – oder während sie die Glastür durchschritt, oder während sie sich an das Gitter der Galerie lehnte – sprach sie weiter mit ihm, bevor sie sich wieder setzte und dabei ihre sonnengebräunten Oberschenkel sehen ließ, die weißen Sandalen, die den Blick auf ihre rot lackierten Fußnägel freigaben – die langen Beine, die zarten Knöchel, die perfekten Knie –, die Emilio Renzi versonnen betrachtete, während weiterhin die tiefe, ironische Stimme der jungen Frau ertönte, eine Stimme, die sich wie Musik in der Nacht entfernte und wieder näher kam, bis er sie mit einer Bemerkung unterbrach oder sie für einen Augenblick bat innezuhalten, um ein paar Worte oder einen Satz in seinem schwarzen Notizbuch festzuhalten, wie jemand, der mitten in der Nacht aufwacht und das Licht einschaltet, um ein Detail aus einem Traum, den er gerade eben geträumt hat, auf dem erstbesten Stück Papier zu notieren, in der Hoffnung, ihn sich am folgenden Tag wieder vollständig ins Gedächtnis rufen zu können.

       Sofía hatte oft gespürt, dass die Geschichte ihrer Familie ein Teil des historischen Erbes der Gegend war – eine rätselhafte Geschichte, die das ganze Dorf kannte und sich immer wieder neu erzählte, aber nie vollständig zu deuten verstand –, und sie war auch nicht sonderlich beunruhigt wegen der vielen unterschiedlichen Versionen und Verfälschungen, denn schließlich bildeten sie einen Teil des Mythos, den sie und ihre Schwester – die beiden Antigones (oder Iphigenien?) dieser Legende – nicht erklären mussten (sie mussten sich »nicht dazu herablassen, ihn zu erklären«, wie sie immer sagte), doch jetzt, in all dem Durcheinander, das das Verbrechen nach sich gezogen hatte, war es möglicherweise angebracht, den Versuch zu unternehmen, die Ereignisse zu rekonstruieren oder »zu verstehen«. Familiengeschichten gleichen sich, hatte sie einmal gesagt, die Personen wiederholen und überlagern sich – es gibt immer einen durchgedrehten Onkel, eine Verliebte, die ihr Leben lang ledig bleibt, es gibt einen Verrückten, einen Ex-Alkoholiker, einen Cousin, der sich auf den Festen gerne als Frau verkleidet, einen Gescheiterten, einen Gewinner, einen Selbstmörder –, doch was die Sache in ihrem Fall komplizierter machte, war die Tatsache, dass sich die Familiengeschichte der Belladonas und die allgemeine Geschichte des Dorfes überlagerten.

       »Mein Großvater hat das Dorf gegründet«, sagte sie verächtlich. »Als er ankam, gab es hier nichts außer karger Erde. Die Engländer haben den Bahnhof errichtet und ihn damit betraut.«

       Ihr Großvater war in Italien geboren worden, hatte Ingenieurswissenschaften studiert und war Eisenbahntechniker geworden. Als er nach Argentinien kam, brachte man ihn in diese Einöde und ließ ihn mitten auf dem Land an einer Abzweigung stehen, einer Haltestelle, die in Wahrheit nur der Kreuzungspunkt zweier Bahnstrecken war.

      

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