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das Haus verließ, und sie nicht, weil sie, nachdem sie ihn mehrere Monate lang gepflegt hatten, das lange Eingesperrtsein leid waren und beschlossen, ins Ausland zu reisen.

      Im Gegensatz zu ihren Freundinnen fuhren sie nicht nach Europa, sondern in die USA. Sie blieben einige Zeit in Kalifornien, um anschließend das Land mehrere Wochen lang mit dem Zug zu durchqueren, mit längeren Aufenthalten in verschiedenen mittelgroßen Städten, bis sie zu Beginn des Winters den Osten erreichten. Während der Reise gaben sie sich in erster Linie dem Glücksspiel in den Casinos der großen Hotels hin und machten sich ein schönes Leben, wobei sie sich darin gefielen, die vermögenden südamerikanischen Erbinnen auf der Suche nach Abenteuern im Land der Emporkömmlinge und Neureichen herauszukehren.

      Dies waren die Nachrichten von den Belladona-Schwestern, die das Dorf erreichten. Die Neuigkeiten kamen mit dem nächtlichen Postzug, aus dem die Briefe in großen Baumwollsäcken auf den Bahnsteig geladen wurden, und es war Sosa, der Vorsteher des Postamts, der die Reiseroute der jungen Damen anhand der Stempel auf den an ihren Vater adressierten Umschlägen rekonstruierte. Ergänzt wurden diese Neuigkeiten durch die ausführlichen Schilderungen der Reisenden und Vertreter, die sich den geselligen Runden in der Hotelbar anschlossen und berichteten, was man sich unter den ehemaligen Kommilitoninnen in La Plata über die Zwillingsschwestern erzählte. Die Kommilitoninnen wiederum schienen ihre Informationen direkt von den Schwestern zu beziehen, die am Telefon mit ihren nordamerikanischen Eroberungen und Entdeckungen prahlten.

      Bis die Schwestern Ende 1971 in die Gegend von New York kamen und kurze Zeit später in einem Casino in Atlantic City den freundlichen jungen Mann ungewisser Herkunft kennenlernten, der ein Spanisch sprach, das aus einer synchronisierten Fernsehserie zu stammen schien. Anfangs besuchte Tony Durán die beiden in der Annahme, es handele sich bei den zwei Schwestern um eine einzige Person. Mit dieser Art von Zeitvertreib vergnügten sich die Zwillinge schon lange. Als hätten sie jeweils eine Doppelgängerin, die die unangenehmen (und angenehmen) Aufgaben übernahm. Sie wechselten sich bei allen Dingen des Lebens ab, was den Dorfbewohnern zufolge hieß, dass sie nur die Hälfte der Zeit in der Schule und in der Kirche verbracht und auch nur die Hälfte ihrer sexuellen Initiation selbst erlebt hatten. Sie losten gewöhnlich aus, welche von ihnen was tun würde. »Bist du es oder deine Schwester?«, lautete die am häufigsten gestellte Frage im Ort, sobald eine von ihnen auf einem Fest oder im Speisesaal des Club Social auftauchte. Immer wieder musste ihre Mutter, Doña Matilde, bezeugen, dass die eine Sofía und die andere Ada war. Oder umgekehrt. Denn ihre Mutter war die Einzige, die sie unterscheiden konnte. Wegen ihrer Art zu atmen, sagte sie.

      Die Spielleidenschaft der Zwillinge war das Erste, was Duráns Aufmerksamkeit erregte. Die Schwestern waren es gewohnt, gegeneinander zu setzen, und er war ein Teil dieses Spiels. Von da an bemühte er sich, sie zu verführen – oder sie bemühten sich, ihn zu verführen –, und sie gingen nur noch zu dritt aus. Sie gingen gemeinsam tanzen, essen, hörten zusammen Musik, bis irgendwann eine der zwei darauf bestand, noch einen letzten Drink in der Bar des Casinos zu sich zu nehmen, während die andere sich entschuldigte und schlafen ging. Er blieb mit Sofía zurück – mit der, die behauptete, Sofía zu sein –, und die nächsten Tage lief alles gut.

      Doch eines Nachts, als er gerade mit Sofía im Bett lag, betrat Ada das Zimmer und fing an, sich auszuziehen. Es war der Beginn einer stürmischen Woche, die sie in den Motels an der Küste von Long Island verbrachten, in jenem bitterkalten Winter. Sie schliefen und reisten zu dritt und vergnügten sich in den Bars und kleinen Casinos, wo es nur wenige andere Gäste gab, da sie außerhalb der Saison unterwegs waren. Das Spiel zu dritt war hart und rücksichtslos, und oft war der Zynismus kaum auszuhalten. Niederlagen und Unglück sind Teil des Lebens, doch langsam, aber stetig nahmen die Streitigkeiten überhand. Die beiden Schwestern verschworen sich gegen ihn, und er schmiedete seinerseits Komplotte gegen die Frauen und spielte sie gegeneinander aus. Die Schwächste oder Sensibelste unter ihnen war Sofía, und sie war es auch, die als Erste kapitulierte. Eines Nachts verließ sie das Hotel und kehrte nach Buenos Aires zurück. Durán setzte die Reise mit Ada fort. Sie kamen in denselben Hotels und in denselben Casinos vorbei, die sie bereits auf der Hinfahrt aufgesucht hatten. Bis auch sie irgendwann beschlossen, nach Argentinien zurückzukehren. Durán schickte Ada voraus und folgte ihr wenig später nach.

      »Aber kam er wirklich ihretwegen? Ich glaube nicht. Auch nicht wegen des Familienvermögens«, sagte der Kommissar, blieb stehen, um sich eine Toscano anzustecken, und lehnte sich an den Tresen, während Madariaga die Gläser spülte. »Er kam, weil er ein unsteter Geist war, weil er keine Ruhe fand, weil er einen Ort suchte, wo man ihn nicht wie einen Bürger zweiter Klasse behandelte. Deshalb kam er, und jetzt ist er tot. Zu meiner Zeit war alles anders.« Er betrachtete die übrigen Gäste, doch niemand sagte etwas. »Warum um alles in der Welt muss dieser falsche Yankee, halb Latino, halb Mulatte, einem armen Dorfpolizisten wie mir das Leben so schwer machen?«

      Croce war in der Gegend geboren worden, war hier aufgewachsen und während der ersten Amtszeit Peróns Polizist geworden; seitdem war er im Dienst – abgesehen von einer kurzen Zeitspanne nach der Revolution von General Valle im Jahr 1956. In den Tagen unmittelbar vor dem Aufstand hatte Croce die Polizeireviere der Gegend aufgewiegelt. Nachdem er jedoch begriffen hatte, dass die Rebellion gescheitert war, war er wie ein Toter über die Weiden geirrt, hatte Selbstgespräche geführt und nicht mehr geschlafen, und als man ihn fand, war er nicht mehr derselbe. Als er erfahren hatte, dass viele der aufständischen Arbeiter, die Peróns Rückkehr gefordert hatten, vom Militär erschossen worden waren, war der Kommissar von einem Tag auf den anderen ergraut. Mit weißem Haar, den Kopf voller wirrer Gedanken, schloss er sich monatelang in seinem Haus ein. Er verlor seinen Posten, wurde aber 1958, während der Präsidentschaft von Frondizi, wieder eingestellt und hatte sich seitdem trotz aller politischen Machtwechsel im Amt gehalten. Man behauptet, dass er dies dem alten Belladona zu verdanken habe, der immer an ihm festhielt und ihn trotz aller Meinungsverschiedenheiten gegen alle Anfeindungen in Schutz nahm.

      »Man will mich bei einem Fehler ertappen«, sagte Croce lächelnd. »Deshalb lässt man mich überwachen. Aber das wird ihnen nicht gelingen, denn ich werde ihnen keine Zeit dafür geben.«

      Kommissar Croce war eine Berühmtheit, von allen verehrt, jemand, dessen Meinung zählte. Auch wenn man ihn im Dorf für ein wenig verschroben hielt. Man wusste nie so genau, was er gerade im Schilde führte, er fuhr aufs Geratewohl mit dem Sulky über die Felder und Farmen, verhaftete Viehdiebe, Landstreicher, aber auch die Kinder wohlhabender Viehzüchter, die betrunken aus den Hinterzimmern zwielichtiger Bars torkelten. Immer wieder sorgte sein Ermittlungsstil für Skandale und Gerede, doch die Resultate waren so beachtlich, dass am Ende alle glaubten, ein Dorfkommissar müsse auf diese Weise vorgehen. Er besaß eine so außergewöhnliche Intuition, dass sie an Wahrsagerei zu grenzen schien.

      »Ein bisschen spinnt er ja schon«, meinten alle. Vielleicht spann er tatsächlich ein bisschen, aber anders als der verrückte Calesita, der durch das Dorf irrte, vollständig in Weiß gekleidet, und in einem unverständlichen Kauderwelsch Selbstgespräche führte; nein, er spann in einem ganz speziellen Sinn, wie jemand, der ein Lied hört und es einfach nicht auf dem Klavier nachspielen kann. Ein unberechenbarer Mann, der ein wenig phantasierte und keine Regeln befolgte, aber immer gerecht war und das Richtige tat.

      Oft war er erfolgreich, weil er Dinge zu sehen schien, die die übrigen Sterblichen nicht sahen. Einmal beschuldigte er einen Mann, ein junges Mädchen vergewaltigt zu haben, weil er ihn zweimal aus dem Kino kommen sah, wo gerade der Film Vergelt’s Gott gezeigt wurde. Und tatsächlich hatte der Mann sie vergewaltigt, auch wenn die Umstände von Croces Anklage keinen Sinn ergaben. Ein anderes Mal überführte er einen Viehdieb, weil er beobachtet hatte, wie der Mann im Morgengrauen einen Zug nach Bolívar bestieg. Und wenn er nach Bolívar fahren wollte, dann nur, um das gestohlene Vieh dort zu verkaufen. Er sollte Recht behalten.

      Manchmal rief man ihn in die Nachbarorte, damit er einen schier unlösbaren Fall aufklärte – als könnte er Wunder bewirken. Er nahm den Sulky, hörte sich die Zeugenaussagen und die unterschiedlichen Beschreibungen des Tathergangs an und kehrte mit der Lösung des Falls in der Tasche zurück. »Der Pfarrer war’s«, sagte er, als er einmal eine Brandstiftung auf einer kleinen Farm in Del Valle untersuchte. Ein pyromanischer Franziskaner. Sie gingen zur Kirche und fanden in einer Truhe im Atrium mehrere Lunten und einen

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