Скачать книгу

Hemden und Schuhe und mehrere Anzüge. Aber kein Notizbuch, wie Saldías dem Kommissar mitteilte.

      »Was ein Toter hinterlässt, ist nichts«, sagte Croce.

      Das war das Geheimnis, das jedem Verbrechen innewohnt, die Überraschung desjenigen, der stirbt, ohne darauf vorbereitet zu sein. Was hatte er nicht zu Ende bringen können? Wen hatte er zuletzt gesehen? Man musste immer bei dem Opfer ansetzen, es war die erste Spur, ein mattes Licht.

      Im Bad befand sich nichts Besonderes, ein Flakon Actemin, ein Fläschchen Valium, eine Schachtel Tylenol. Im Wäschekorb entdeckten sie einen Roman von Ben Benson, Revolte im Zuchthaus, eine Straßenkarte der Provinz Buenos Aires vom Automobilclub, einen Büstenhalter und ein Plastiktütchen mit amerikanischen Münzen.

      Sie kehrten ins Zimmer zurück. Bevor der Leichnam fotografiert und zur Autopsie in das Leichenschauhaus gebracht werden würde, mussten sie noch einen schriftlichen Bericht anfertigen. Eine ziemlich undankbare Aufgabe, mit der der Kommissar seinen Assistenten beauftragte.

      Croce lief im Zimmer auf und ab, schaute sich hektisch um, ohne den Blick irgendwo verweilen zu lassen, und murmelte in einer Art anhaltendem Flüstern unverständliche Worte vor sich hin, als dächte er laut nach. »Irgendwas stimmt mit der Luft nicht«, sagte er. Sie ist gefärbt, eine Art Regenbogen im Sonnenlicht, blaue Luft. Was war das?

      »Siehst du das?«, fragte er Saldías, während er den Blick langsam durch das Zimmer schweifen ließ.

      Er deutete auf die fast unsichtbaren Staubpartikel, die in der Luft schwebten. Saldías hatte den Eindruck, als sähe Croce die Dinge mit ungewöhnlicher Schnelligkeit, als wäre er den anderen stets eine halbe Sekunde (ein halbes Tausendstel einer Sekunde) voraus. Der Kommissar folgte der Spur des hellblauen Staubs – ein zarter, von der Sonne bewegter Nebel, den er wie eine Fährte auf dem Boden betrachtete –, bis er in den hinteren Teil des Zimmers gelangte. An der Wand hing ein schwarzes Stoffquadrat mit gelben Arabesken, eine Art Batiktuch oder Wandteppich von schlichter Machart. Es war offensichtlich, dass es sich um keinen Zimmerschmuck handelte, sondern dass hier etwas verdeckt werden sollte. Ein leichter Luftzug, der ins Zimmer strömte, bewegte die Borten des Wandteppichs.

      Croce löste den Stoff mit seinem Federmesser, das er am Schlüsselring bei sich trug, und entdeckte, dass sich hinter dem Stoff ein Schiebefenster verbarg. Es ließ sich mühelos öffnen und führte zu einem Schacht. Man sah ein Seil. Einen Flaschenzug.

      »Der Lastenaufzug.«

      Saldías sah ihn mit großen Augen an.

      »Früher konnte man sich das Essen aufs Zimmer bestellen, wenn man wollte. Man brauchte nur unten anzurufen, und das Essen kam mit dem Aufzug.«

      Sie lehnten sich über den Rand der Öffnung. Zwischen den Seilen drang leises Stimmengewirr und das Rauschen des Windes zu ihnen herauf.

      »Wohin führt der?«

      »Zur Küche und zum Keller.«

      Sie zogen den kleinen Aufzugskasten mit dem Seilzug bis zum Rand des Schiebefensters herauf.

      »Zu winzig«, sagte Saldías. »Da passt keiner rein.«

      »Sag das nicht«, entgegnete Croce. »Mal sehen«, und er lehnte sich noch einmal in den Schacht. Er sah einen schwachen Lichtschimmer zwischen den Spinnweben und das schachbrettartige Muster eines Fliesenbodens.

      »Komm mit.«

      Sie fuhren mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und folgten einer Treppe, die zu einem Gang im Souterrain hinunterführte. Dort befanden sich die alten, schon seit geraumer Zeit nicht mehr genutzten Küchen und der Heizkessel. An einer Seite stand eine Tür offen, die zu einer Kammer mit gekachelten Wänden und einem alten, leeren Kühlschrank führte. An der Abzweigung am Ende des Ganges befand sich hinter einem Gitter die kleine Telefonzentrale des Hotels. Auf der anderen Seite gab eine halb geöffnete Tür den Blick auf einen Lagerraum mit nicht mehr gebrauchten oder vergessenen Gegenständen und alten Möbeln frei. Der Raum war geräumig und hoch und hatte einen schwarz-weißen Fliesenboden. An der hinteren Wand führte eine mit einem Rollladen verschlossene Luke zum Schacht des Lastenaufzugs, der früher einmal, an zahlreichen Kabeln entlang, zwischen dem Untergeschoss und den oberen Stockwerken verkehrt hatte.

      In dem Depot türmten sich die Überbleibsel des früheren Hotellebens: Truhen, Weidenkörbe, Handkoffer, Zaumzeug, zusammengerollte Gemälde, leere Rahmen, Wanduhren, ein Almanach von 1962 aus der Fabrik der Belladonas, eine Tafel, ein Vogelkäfig, Fechtmasken, ein Fahrrad, dem das Vorderrad fehlte, Lampen, Laternen, Wahlurnen, eine kopflose Marienfigur, ein Jesus mit wachem Blick, Matratzen, eine Kardiermaschine.

      Nichts, was Aufmerksamkeit erregen würde. Bis auf eine Fünfzig-Dollar-Note, die in einer Ecke auf dem Boden lag.

      Eigenartig. Ein neuer Geldschein. Croce steckte ihn in einen durchsichtigen Plastikbeutel, in dem sich bereits andere Beweisstücke befanden. Er betrachtete das Datum auf der Banknote. 1970er Serie.

      »Und wem gehört das Geld?«

      »Irgendwem«, antwortete Croce.

      Er betrachtete den Schein von allen Seiten, als könnte er auf diese Weise sehen, wer ihn verloren hatte. Aus Versehen? Jemand hat etwas bezahlt, und der Schein fiel auf den Boden. Möglich. Er studierte das Gesicht auf der Banknote genauer: General Grant, The Butcher, ein Trinker, ein Held, ein Verbrecher, der die Taktik der verbrannten Erde erfand, mit seinem Heer von Norden her kam und ganze Städte und Felder niederbrannte, der nur in die Schlacht zog, wenn seine Armee zahlenmäßig mindestens fünf zu eins überlegen war, und hinterher sämtliche Gefangene erschießen ließ.

      »Ulysses S. Grant, der Schlächter. Schau, wo er gelandet ist, als Geldschein auf dem Boden eines drittklassigen Hotels.«

      Er dachte einen Moment nach, den durchsichtigen Beutel in der Hand. Dann hielt er ihn Saldías wie eine Karte vor das Gesicht.

      »Siehst du? Jetzt habe ich’s kapiert … Oder besser gesagt, ich glaube, ich habe kapiert, was hier passiert ist. Sie sind hergekommen, um ihn auszurauben, sind mit dem Lastenaufzug nach unten gefahren und haben das Geld hier verteilt. Oder sie haben es irgendwo verstaut. Und in der Hektik ist ihnen der Schein runtergefallen.«

      »Sie sind nach unten gefahren?«

      »Oder nach oben«, sagte Croce.

      Wieder steckte der Kommissar den Kopf in den Schacht des Speiseaufzugs.

      »Vielleicht hat man auch nur die Kohle mit dem Fahrstuhl nach unten geschafft, und jemand hat hier unten gewartet.«

      Sie gingen durch den blau gestrichenen Gang zurück bis zu einer Glastür mit einem Gitter davor, hinter der sich in einer Art Kabine die kleine Telefonzentrale des Hotels befand.

      Croce und Saldías befragten die Telefonistin, Señorita Coca. Coca Castro – mager, sommersprossig – wusste über alles und jeden Bescheid. Sie war der bestinformierte Mensch der ganzen Gegend. Ständig wurde sie eingeladen, um zu erzählen, was sie wusste. Sie ließ sich lange bitten, doch am Ende rückte sie jedes Mal mit ihren Neuigkeiten heraus. Aus diesem Grund war sie auch ledig geblieben! Sie wusste derartig viel, dass kein Mann es wagte, sich mit ihr einzulassen. Eine Frau, die zu viel weiß, macht den Männern Angst, behauptete Croce. Gelegentlich ging sie mit den Vertretern und Handelsreisenden aus, und mit den jungen Frauen des Dorfes verstand sie sich bestens.

      Sie fragten sie, ob ihr etwas aufgefallen sei, ob sie jemanden kommen oder gehen sehen habe. Doch sie hatte nichts gesehen. Sie versuchten, noch etwas über Durán aus ihr herauszubekommen.

      »Zimmer 33 ist eins von drei Zimmern mit Telefon«, erklärte die Telefonistin. »Darum hatte Señor Durán ausdrücklich gebeten.«

      »Mit wem hat er telefoniert?«

      »Er hat nur wenige Gespräche geführt. Meistens auf Englisch. Die Anrufe kamen immer aus Trenton, New Jersey. Aber natürlich höre ich die Gespräche der Gäste nicht mit.«

      »Und heute, als er nicht abgenommen hat, wer hat da angerufen? So um zwei Uhr nachmittags, wer war das?«

      »Ein

Скачать книгу