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die Erwähnung ihres Namens hin dachte Timon Pardue nicht zum ersten Mal darüber nach, dass Adele Congreve eine komplexe und vielleicht missverstandene Frau war.

      »Und was will sie von mir?«, fragte Pardue nun.

      »Sie will sich nur mal mit dir treffen. Sie und ein paar andere«, erklärte Wimble.

      »Mir gefällt’s hier aber ganz gut.«

      »Dann trefft euch doch hier. Timon, die meinen’s ernst. Du bist ihr Mann. Lass sie doch einfach mal reden.«

      Timon war inzwischen gelangweilt und einsam genug, um intelligente, verständnisvolle und bemitleidende Gesellschaft nicht einfach abzulehnen. Jetzt den Schüchternen zu spielen, würde nur bedeuten, den durstigen Wimble noch länger hierzuhaben, als Pardue lieb war.

      »Sam, mir ist wirklich egal, was diese Leute vorhaben. Wenn sie sich hier rausschleppen wollen, um mit mir zu reden, kann ich sie nicht davon abhalten. Das ist schließlich ein freies Land.«

      »Damit hast du verdammt recht, Timon. Und wir wollen sicherstellen, dass es das auch bleibt.«

      KAPITEL 5

      Blackshaw hatte seinen Platz im Bus mit Bedacht auswählen wollen, aber vergebens. Alle Fensterplätze waren bereits besetzt und er schloss auch die hinteren Plätze nahe der stinkenden Toilette aus. Außerdem sah er davon ab, dort zu sitzen, wo schwergewichtigere Passagiere vermutlich wegnicken würde und Ellbogen und Schultern über die Armlehne in sein Territorium überquellen würden. Man konnte sich schließlich nicht ewig in den Gang lehnen.

      Nach einer kurzen Beurteilung setzte sich Blackshaw schließlich leise neben einen weißen Burschen, der auf linker Seite in der Mitte des Busses gegen ein Fenster gelehnt döste. Der Typ war Anfang zwanzig, mit geschorenem Kopf und einem kleinen Verband an seiner rechten Schulter. Der Verbandsmull sah einigermaßen frisch aus und die Jeans und das Unterhemd des Jungen wirkten sauber. Er war spindeldürr und seine Füße hatten sich gemeinsam mit seinen kantigen Knien und Ellbogen in all den richtigen Stellen der Armlehne und des Kanals der Klimaanlage an der Seitenwand verklemmt, um ihn in aufrechter Position zu halten, obwohl er tief und fest schlief. Ja, Blackshaw hatte das schwarze Klappmesser in seiner rechten Hosentasche durchaus bemerkt, aber das war für Jungs heutzutage normal. Zu guter Letzt und vielleicht am allerwichtigsten, war es, dass der Junge nicht schnarchte.

      Der Bus fuhr pünktlich von der Haltestelle in Washington, D.C. los in Richtung Los Angeles. Blackshaw musste in Richmond und Oklahoma City noch einmal umsteigen, aber der dritte Bus würde ihn den Rest des Weges bis zur Stadt der Engel bringen. Blackshaw hatte erst kürzlich eine ziemliche Menge Ärger bei der Jagd auf einen Sniper namens Nitro Express in Los Angeles gehabt, aber er verspürte dennoch den Drang, den Ort des Geschehens noch einmal zu besuchen. Er hielt LA für das absolute Gegenteil von Smith Island, sogar noch fremder als das New York seiner Erinnerung, von wo aus er in die Nitro Express-Geschichte verwickelt worden war. Der Big Apple war immerhin noch eine Insel, wenn auch knapp sechshundert Meter mit Glas und Stahl in die Höhe gebaut, und Blackshaw hatte Inseln definitiv satt.

      Er sah aus dem Fenster, als der Bus den Potomac überquerte. Er erinnerte sich an ein Linienflugzeug, das in den frühen Achtzigern auf dem Weg nach Tampa auf die Brücke und danach in den eisigen Fluss gestürzt war. Nur fünf Passagiere hatten überlebt. Vier Autofahrer waren ebenfalls auf der Brücke ums Leben gekommen. Als Inselbewohner sah Blackshaw Brücken nicht nur als Straßen über Wasser an, sondern auch als Überführungen in eine größere Welt. Was die Opfer des Air-Florida-Flugs anging, hatten diese ihre Überführung zwar bekommen, aber Särge und Urnen waren gewiss nicht die erhofften Bestimmungsorte gewesen. Vielleicht waren sie am Ende ja doch besser weggekommen. Es kam ganz darauf an, was man von Tampa hielt.

      Als der Bus von der Brücke nach Virginia rollte, unversehrt und ohne Zwischenfälle, rührte sich der Bursche neben ihm, grummelte und wachte auf. Für einen Augenblick hatten seine Augen eine schläfrige, jungenhafte Unschuld. Dann, als er vollends wach wurde, rückten gewisse Defizite seiner Persönlichkeit in sein Gesicht und verliehen ihm etwas Rattiges.

      »Was guckst du denn so dumm?«

      »Schaue nur aus’m Fenster. Nichts für ungut«, sagte Blackshaw monoton.

      Der Junge warf noch einen langen Blick auf Blackshaw, registrierte dessen Größe und den Ausdruck vollkommener Furchtlosigkeit in seinen Augen und nickte dann kurz. Zufrieden, dass der gebührende Respekt, der ihm zustand, gezollt worden war.

      Blackshaws Mission erwachte nun wieder in seiner Seele. Er betrachtete den Jungen seinerseits und glaubte, dass eine physische Konfrontation unwahrscheinlich war. Sein Reisegefährte war vermutlich den Großteil seines Lebens gemobbt worden. Er fragte sich, wie tief diese Aufsässigkeit ging, und dachte sich, dass dieser Junge deshalb mit Gemeinheit statt mit Freundlichkeit gegenüber Leuten wie ihm auf das Leid seiner Kindheit reagierte. Da es nur wenige Zielscheiben in der Welt gab, die vor so einem kleinen Scheißer klein beigaben, vermutete Blackshaw, dass er bei der Verübung von Rache Hilfe hatte. Manche, aber zum Glück nur wenige, gingen daraufhin zum Militär. Er war schon Typen wie ihm begegnet. Aber für diesen Kollegen hatte vielleicht auch eine Gang den Zweck erfüllt. Nun war Blackshaw doch neugierig, was sich unter dem Verband verbarg.

      »Neues Tattoo?«, fragte er deshalb.

      »Farbe auf ‘nem alten.« Der Junge konnte es offensichtlich kaum erwarten, mit seinem Kunstwerk anzugeben, aber aus irgendeinem Grund zögerte er nun.

      »Hab‘ auch drüber nachgedacht, mir eins zuzulegen«, sagte Blackshaw. »Zuerst fiel mir nichts ein, womit ich lange glücklich wäre.«

      »So jung biste nicht mehr. Brauchst dich damit nicht mehr lange rumschleppen.« Relativ gesehen hatte der Junge vielleicht recht. Er lotete offenbar gerade Blackshaws Frustrationsgrenze aus. Solche Kerle profitierten häufig von der Höflichkeit der restlichen Welt und nutzten diese tief verwurzelten, ungeschriebenen Spielregeln einer zwischenmenschlichen Gesellschaft, um ernsthaftem Ärger aus dem Weg gehen zu können.

      Blackshaw würde allerdings nur eine sehr begrenzte Menge an Unsinn von diesem Bengel tolerieren. Mit ruhiger Stimme gab er zu: »Auch wieder wahr. Aber bis ich was finden konnte, was ich mir für den Rest meines Lebens anschauen wollte, war meine Pelle schon zu lädiert, um noch ‘ne gute Stelle zu finden. Hab’ inzwischen aber trotzdem eins.«

      Der Junge setzte sich nun gerader hin und schenkte Blackshaw mehr Aufmerksamkeit. »Lädiert?«

      »Narben. Verbrennungen. ‘N paar Kugeln. Ben Blackshaw mein Name.«

      Seine Prahlerei hatte offensichtlich den gewünschten Effekt auf den Jungen. »Rufus Colquette. Kugeln, hm? Wie von ‘ner Schießerei?«

      »So ungefähr. Mit der Taliban.«

      Colquette verzog das Gesicht. Nicht das, was Blackshaw erwartet hatte.

      »Du warst bei der Army?«

      Blackshaw schob die Konversation langsam voran, von seiner Vergangenheit mehr geschädigt als beschämt. »Navy.«

      Colquette guckte selbstgefällig, als hätte er Blackshaws Lüge enttarnt. »Die Taliban hat neuerdings Schiffe?«

      »Die Navy hat die SEALs.« Entgegen seiner eher verhaltenen Natur entblößte Blackshaw kurz sein eigenes Schultertattoo eines Adlers, der einen Dreizack, einen Anker und eine Steinschlosspistole in den Fängen hielt. Blackshaw spürte instinktiv, dass an diesem Jungen mehr dran war, als Elend und Angeberei … etwas so Bedürftiges, dass es ihn gefährlich machte.

      Inzwischen wirkte Colquette wütend und seine nächsten Worte bestätigten Blackshaws Ahnung. »Oh. Also setzt die Navy sich jetzt für Übersee-Sandnigger ein, Big Ben?«

      Blackshaw fragte sich, ob sich der Knoten in seinem Magen auch auf seinem Gesicht abzeichnete. »Ich glaube, dass es an dem Tag eher um Demokratie ging.«

      Rufus Colquette schnaubte. Blackshaw vermutete, dass er zu viele Silben verwendet und den Jungen damit verwirrt hatte.

      Einen

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