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102

       KAPITEL 103

       KAPITEL 104

       KAPITEL 105

       KAPITEL 106

       KAPITEL 107

       EPILOG

       SLUDGE

       KAPITEL 1

       KAPITEL 2

       KAPITEL 3

       KAPITEL 4

       KAPITEL 5

       KAPITEL 6

       KAPITEL 7

       KAPITEL 8

       KAPITEL 9

       KAPITEL 10

       KAPITEL 11

       KAPITEL 12

       Über den Autor

       Über Taylor Griffith

      KAPITEL 1

      Der Lynchmord des Jungen war Ben Blackshaw immer noch unbegreiflich.

      An diesem ruhigen Morgen stand der Seemann ganz allein in der Nähe des Fischerkahns und dachte an die Vielzahl der Erinnerungen, die den groben, kantigen Linien dieser Behausung innewohnten. Das beengte Hausboot gehörte seiner Familie schon seit mehreren Generationen. Sein Großvater hatte es jedes Jahr zur Blaubarsch-Saison in die oberen Gewässer der Chesapeake Bay geschleppt und dort zusammen mit anderen Seemännern provisorische Uferlager errichtet. Was für grandiose Zeiten waren das gewesen.

      Die Planken der Behausung hatten sich durch die Wärme des kleinen Brennofens zusammengezogen, aber dank seiner stetigen Bemühungen und auch denen seines Vaters, verdeckte Dachpappe die meisten der Ritzen und stoppte die eisigen Winde, die selbst im späten Frühling noch über die Inseln der Bucht fegten. Auch der Tod lungerte in Blackshaws Herz, aber es war die Letzte Ölung für den Jungen, der er einst gewesen war, und gewiss nicht für ein fremdes, hilfloses Kind. Bens Entdeckung des eigentlichen Blutvergießens stand noch aus.

      Um Blackshaw herum auf dem Boden verteilt, lagen ein Rucksack, etwas Proviant und seine Schrotflinte. Drei Plastikflaschen, die Brennstoff für den Ofen enthielten, standen noch auf dem Heckbalken des Kahns.

      Sein Vater, Richard Willem Blackshaw, hatte erst kürzlich Zuflucht in dem alten Hausboot hier auf Lethe Island gesucht, als er sich von einer Verletzung erholt hatte, vermutlich einer entzündeten Schusswunde. Ben betrachtete den Stamm der riesigen Weide, die die Lichtung überschattete, und bemerkte zum ersten Mal, wie sorgfältig sein Vater die Stellen ausgewählt hatte, um die Rindenstücke herauszuschneiden, die er kaute oder zum Brauen fiebersenkender Tees nutzte. Der Baum würde die Krankheit seines Vaters noch lange überleben. Sofern Blackshaw nichts unternahm, würde er seine eigene, tiefer sitzende Unpässlichkeit allerdings nicht überstehen.

      Dieser Kahn weit weg von Smith Island, war der letzte Ort, an dem er mit seinen Eltern gesprochen hatte, wenn auch nicht zur gleichen Zeit. Seine Mutter würde womöglich wieder auftauchen, vielleicht aber auch nicht, das war schwer zu sagen.

      Auf der anderen Seite hatte Ben das Gefühl, dass der kürzliche Besuch seiner Mutter, Ida-Beth, ihr letzter gewesen war. Beide Eltern hatten versucht, ihre Abwesenheit während der letzten fünfzehn oder sechzehn Jahre herunterzuspielen. Ihre Ausreden hatten abwechselnd hochtrabend, überzeugend oder eigennützig geklungen.

      Sein Vater war durch seine Zeit in Vietnam ungeeignet für ein normales Leben geworden. Falls Richard Blackshaw jemals eine Behandlung in Anspruch genommen hatte, um sich niederlassen und Frieden finden zu können, wusste Ben nichts davon. Der Zustand seines Vaters hatte heutzutage sogar einen Namen: Posttraumatische Belastungsstörung. Aus eigener furchtbarer Erfahrung als Veteran, der den Grauen des Krieges entkommen war, konnte er das Verlangen, vor diesem Wolf zu fliehen, der ihm stets auf den Fersen war, durchaus verstehen. Ein Verlangen, das Richard Blackshaw nun als Söldner in Kriege auf der ganzen Welt zurücktrieb. Das alles war längst viel zu sehr Teil von ihm geworden, und nicht mit Medikamenten, einem aufrichtigen Gespräch oder mitfühlender Kameradschaft zu behandeln. Die Chesapeake rund um Smith Island hatte eine Palisade geschaffen, die viele Familien über die harten Zeiten hinweg zusammengehalten hatte. Bens Vater war eingezogen worden und würde sich niemals wieder heimisch fühlen, egal, auf welchem Kontinent er auch sein Haupt bettete. Seine langwierige Genesung hier im Schutz dieser Behausung hatte bei Weitem nicht ausgereicht, um ihn davon zu überzeugen, wieder heimzukehren, und sich auf Smith Island niederzulassen. Auch wenn Richard Blackshaw dieses Mal näher um seine Heimatgewässer zu kreisen schien, machte sich Ben keine großen Hoffnungen. Es mochte am Alter liegen, konnte aber auch einfach nur pure Neugier sein.

      Ben schob die Gedanken an seinen Vater zur Seite, denn die Flut war da. Es war endlich soweit. Er machte die Leinen los und schob den alten Kahn ins Wasser, bis er schwerfällig in den Wirbeln des Stroms dahintrudelte. Ben machte sich nicht die Mühe, im Kielraum nachzusehen, ob das Boot dicht war und das Brackwasser der Bucht draußen blieb. Es würde schließlich nicht lange schwimmen müssen. Bis zur Hüfte im Wasser, schob er die schwere Schute weiter bis zu einer Stelle, an der der Strom eine breite Kurve machte, und zerrte sie dann ans Ufer. In ein paar Stunden hätte die Ebbe den alten Kahn wieder auf Grund laufen lassen. Auf diese Weise lag er wenigstens nicht direkt unter der weit ausladenden Weide, die das Boot vor Blicken aus der Luft geschützt hatte, während sein Vater sich so weit erholt hatte, wie es eben möglich war.

      Während ihres Besuchs vor ein paar Wochen hatte Blackshaws Mutter weitaus weniger über ihr Verschwinden von Smith Island, und damit aus seinem Leben, offenbart, als er gehofft hatte. Als ob es der Preis dafür war, mit ihm zusammensitzen zu können, hatte sie widerwillig erklärt, dass sie die Rolle der Hausfrau und Mutter bereitwillig und frohen Mutes für eine ganze Weile ausprobiert hatte. Bald jedoch hatte sie das traditionelle Leben sattgehabt, das für sie vorgesehen gewesen war. Sie hatte auf der Stelle getreten und von Orten geträumt, die hinter dem Horizont gelegen hatten, wo neue Versionen ihrer selbst womöglich freier waren. Sie brachte die Zeit in ihrer Fantasie herum, wartete auf den richtigen Augenblick, als Richard Blackshaws alte Probleme aus dem Krieg und die Tatsache, dass er um sein Leben rennen musste, ihr die Gelegenheit verschafften, dieser so fremden Existenz auf Smith Island zu entkommen; ein Leben, zu dem sie einfach nicht länger passte. Aber sie hatte weder mit ihrem Ehemann fliehen wollen, noch hatte sie einen Weg einschlagen wollen, der auch ihrem Sohn genug Platz geboten hätte. Stattdessen hatte sie eine Leere hinterlassen,

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