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Er hatte bis dahin seine Erwartungen an sie auch eher niedrig gehalten.

      Fernweh, so hatte sie Ben erzählt, hatte sie nach ihrer Flucht für eine Weile zu anderen Kontinenten getrieben, aber sie war schließlich in die Staaten zurückgekehrt und hatte sich ausgerechnet in Baltimore niedergelassen, nur wenige Meilen vom Haus ihres Sohnes auf Smith Island entfernt. Sie hatte während dieser langen Zeit niemals Kontakt mit ihm aufgenommen, aber sie hatte seine Zeichnung eines Gänsesägers, die sie auf einem Wasservogel-Kunstfestival erstanden hatte, stets in Ehren gehalten.

      Genau wie ihr Weggang Jahre zuvor war Ida-Beths Besuch auf Lethe Island sehr viel mehr dazu da, ihre eigene Neugier hinsichtlich ihres einzigen Kindes zu befriedigen, als um Vergebung zu bitten und einen Platz in seinem Leben einzunehmen. Sie hatte einen einzigen Abend zögerlicher, gestelzter Konversation mit ihrem Sohn in dem Kahn zugebracht und am nächsten Morgen war die Frau erwartungsgemäß verschwunden gewesen. Sein Vater hatte wenigstens sein tödliches Handwerk zur Verfügung gestellt, als Ben in Not gewesen war, bevor er seinen Rucksack aufgesetzt und seinen Rückzug angetreten hatte.

      Blackshaw leerte nun die Brennstoffflaschen überall innerhalb der Baracke und außerhalb auf dem Deck, den Wänden und dem Dach aus. Sicher am Ufer stehend, entzündete er ein einzelnes Streichholz und warf es an Bord. Er hörte ein Wuuusch, als der Alkohol Feuer fing, und für einen Augenblick waren die Flammen so klar, dass sie beinahe unsichtbar waren – Hitzeflimmern stieg in die Luft. Dann verfärbten sich die Flammen blau und kletterten an den trockenen Planken der Barackenwand hinauf. Die Dachpappe, die hauptsächlich aus Bitumen-getränktem Filz bestand, loderte gelb auf und sonderte grauen Rauch ab.

      Blackshaw lief nun stromaufwärts durch das Schilf zu seinem Gepäck. Als er die Lichtung betrat, wo der Kahn ursprünglich gelegen hatte, sah er nur einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass der Rauch und die Funken auch von der Weide wegtrieben.

      »’Ne Menge Erinnerungen, die das Feuer da nähren.«

      Blackshaw unterbrach den Check seiner Ausrüstung, sah, wie Knocker Ellis gegen den Weidenstamm lehnte und steckte seine Bersa Thunder .380 Automatik wieder weg, die reflexartig in seiner Hand erschienen war.

      Der schwarze Mann, der vermutlich in den Sechzigern war, aber so drahtig und zäh wie ein viel jüngerer Mann wirkte, taxierte seinen Freund mit besonderer Sorgfalt.

      »Bist du jetzt Seelenklempner?«, fragte Blackshaw.

      »Bin ich das? Vielleicht ist ein Freudenfeuer ja besser, als den alten Kahn als Anbau an irgendein Haus zu klatschen.«

      »Manche Leute kommen wegen der Ruhe hierher«, merkte Ben an.

      »Du bist seit einer Woche nicht an dein Satfon gegangen, Ben.«

      Eine Mischung aus Furcht und Hoffnung huschte über Blackshaws Gesicht. Um das Unbehagen seines Freundes zu lindern, berichtete Ellis schnell: »Noch keine Veränderung.«

      Blackshaw verbarg sich augenblicklich wieder hinter der teilnahmslosen Maske, um seine tiefe Sorge zu überspielen. Seine Frau, LuAnna, war vor einem Monat bei einer Schießerei mit Menschenhändlern am Dove Point schwer verwundet worden und obwohl sie nun selbstständig atmete, hatte sie noch immer nicht das Bewusstsein wiedererlangt.

      Ellis sagte: »Die Ärzte sind fort. Sie stehen aber noch auf Abruf bereit, nur für den Fall, und wir haben gute Pfleger, die rund um die Uhr arbeiten und die den Stadtratfrauen in deiner Saltbox zur Seite stehen. Aber manche sagen trotzdem, sie wäre in ‘nem Pflegeheim besser aufgehoben.«

      »Nein!«, brach es aus Ben hervor. »Sie ist zu Hause, genau dort, wo sie gerade ist.«

      »Aber du bist es nicht. Woher willst du also irgendwas wissen, wenn du hier nur Trübsal bläst und Feuer legst?«

      Blackshaws Zorn, dieser Tage nie weit unter der Oberfläche, sprudelte bei dieser Anschuldigung sofort wieder hervor. »Ich war gerade im Begriff aufzubrechen.«

      »Aber du kommst nicht zurück nach Smith Island?«

      Blackshaw sagte nichts.

      Ellis fuhr fort: »Soll Leute geben, die viel davon halten, mit Komapatienten zu reden. Wenn sie dann aufwachen, erinnern sie sich nämlich angeblich an jedes nette Wort, das über Tage und Wochen mit ihnen gesprochen wurde.«

      Bens Wut loderte auf wie der Kahn. »Kannst du dir mich dabei vorstellen? Was soll ich ihr denn sagen? Dass es mir leid tut? Dass sie besser auf mich gehört und sich aus der ganzen Scheiße rausgehalten hätte?«

      »Nein«, sagte Ellis. »Passt nicht zu dir, jemanden anzuklagen, der sich nicht verteidigen kann. Und du weißt genau, dass sie ein Wörtchen dabei mitzureden hatte. Es war ihre Entscheidung, mitzumischen.«

      Blackshaw konnte nichts dagegen sagen, denn LuAnna hörte mehr auf ihn, als die meisten in ihre Ehemänner vernarrten Frauen, aber letzten Endes folgte sie doch immer ihrem eigenen Kopf. Das war es, was Ben am meisten an ihr liebte, zumindest bis zu diesem beinahe tödlichen Moment.

      Ellis schlug vor: »Mann, du könntest ihr doch das Telefonbuch vorlesen oder die Zeitung oder schlechte Gedichte, sogar den Wetterbericht.«

      Blackshaw gestand: »Ich kann ihr so nicht gegenübertreten.«

      »Obwohl du's versprochen hast«, sagte Ellis. »Aber ich versteh' schon. Du kannst ja noch nicht mal ihren Namen sagen.«

      »Jetzt gehst du zu weit.«

      »Zu weit für unsere Freundschaft? Meine Rasse? Sag schon, Ben, wie habe ich den König des Kummers beleidigt? Habe ich dein perfektes Selbstmitleid gestört? War das zu viel Wahrheit auf einmal für deinen Geschmack?«

      »Ellis, bitte hör auf mich, wenn ich dir sage, dass du jetzt gehen musst. Sofort.«

      »'N Scheiß muss ich! Du musst hier weg und nach Hause kommen, bevor du deine Dummheiten noch auf die Spitze treibst.«

      Ein Teil von Ben wusste, dass sein Freund recht hatte. Das änderte jedoch nichts an seinem Entschluss, einen anderen Kurs einzuschlagen. Er schulterte deshalb sein Gepäck, hob das Jagdgewehr auf und warf es Ellis zu.

      »Du willst reden, Ellis? Dann sag ihr, dass ich sie liebe.«

      »Sag's ihr doch selbst!« Ellis drehte sich um und verließ die Lichtung in Richtung des Stroms, wo sein Skiff angebunden war.

      Blackshaw warf einen letzten Blick auf die Lichtung und sah zu, wie stromabwärts die Steuerbordwand des Hausboots knisterte und in einer Wolke aus Rauch und Funken zusammenfiel. Dann machte er sich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg, wo sein altes Deadrise Miss Dotsy lag.

      KAPITEL 2

      Timon Pardue schoss gerade sein vorletztes Pferd nieder. Er war ganz kurz davor, so etwas wie Bedauern zu empfinden. Das führte dazu, dass sein Abzugsfinger eine Picosekunde zögerte, bevor der Hahn seines Henry-Gewehrs auf das Zündhütchen der geladenen Patrone prallte und Bucky zu Boden ging. Der Schecke war lahm, zum Reiten oder als Packtier nicht mehr zu gebrauchen, aber Pardue hatte trotzdem leichte Gewissensbisse. Das war mehr, als der frühere Sheriff von Cochise County, Arizona, für die meisten menschlichen Wesen empfand. Bucky hatte immerhin stets seine Pflicht erfüllt und das wollte etwas heißen.

      Pardue schlachtete Bucky unter dem gelassenen Blick seines letzten Pferdes, Popper. Nach einer kurzen Katzenwäsche in dem kleinen Bach, der sich durch den Arroyo nahe seines Camps schlängelte, hauchte er der Glut seines Lagerfeuers neues Leben ein und bereitete sich auf eine Nacht vor, die genauso wie die letzten ungefähr sechzig Nächte verlaufen sollte (er hatte beschlossen, dass es ihm beim Vergessen half, die Tage nicht mehr zu zählen), seit er aus Frust seine Dienstmarke abgegeben hatte und aus seinem Büro in Bisbee marschiert war. Nach acht Jahren treuen Dienstes war er in einer Abstimmung der Liberalen in Bisbee und dieser angeblich legal eingewanderter Latinos in Douglas abberufen worden, aber er war davon überzeugt, dass es einige Ungehörigkeiten in manchen der Wahllokale gegeben hatte. Die Jungs in Fort Huachuca waren daran gehindert worden, für ihn zu stimmen, da sie wegen eines ungelegenen Terrorismus-Alarms

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