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so?« Bubi verdrehte die Augen. »He, weißt du eigentlich, dass ich heute die Bilder meines Lebens geschossen habe? Und – kann ich was mit ihnen anfangen? Kann ich sie verkaufen, an irgendeinen gierigen Fernsehsender verkaufen? Morgen ist die ganze Arbeit wahrscheinlich wertlos! Morgen haben die bestimmt ihre eigenen Reporter überall hingeschickt, morgen ist mein ganzer Dreck nicht mehr aktuell – Schnee von gestern.«

      »Gut möglich.«

      »Soll ich dir mal was sagen, Martin? Ich dachte ein paar Stunden wirklich, das wäre meine Chance aus diesem Nest hier rauszukommen!« Bubi kratzte sich hinterm Ohr. »Weißt du, ich hab echt keinen Bock so zu enden wie mein Alter! Den ganzen Tag buckeln und dann, mit sechzig, wenn du Glück hast, machst du den Schirm zu und fertig. Das war’s.«

      Kiefer lächelte und nickte.

      Die Tür wurde aufgerissen und Christoph Eisele kam herein.

      »Oh, unser Beerdigungsunternehmer kommt!« Uwe Sigg, der, seit sie den Bagger bei Wünsche abgeholt hatten, eine Zeitlang unauffindbar gewesen war, prostete Eisele zu. »Komm her, Mann, ich geb dir einen aus!«

      »Eine Dusche wäre mir lieber! Läuft denn bei niemandem mehr Wasser?«

      »Geh an den Bach. Der läuft noch!«

      »Oder warte, bis es regnet.«

      Bubi Faust, der von dem, was um ihn und Kiefer herum vorging, nichts wahrzunehmen schien, redete weiter: »Ich hab keine Lust mehr auf die vorwurfsvollen Sprüche meines Vaters und auf meine Mutter, die den ganzen langen Tag durch das Haus schleicht und irgendwo putzt, wo es nichts zu putzen gibt und aufräumt, wo alles aufgeräumt ist. Ständig ist sie mir auf den Fersen, weißt du. Und weißt du, was das wirklich Schreckliche dabei ist? Sie sagt, egal was ist, kein Wort. Sie meckert nicht, schimpft nicht, bittet nicht. Aber sie gibt einem das Gefühl, nichts richtig machen zu können!«

      »Kenn ich«, sagte Kiefer ohne sichtliches Interesse.

      »Und dann dieses dämliche Flugzeug heute. Ein Geschenk des Himmels – rums, genau vor meine Haustür geschmissen! Du kannst dir wirklich nicht vorstellen, was für geile Bilder ich heute gemacht habe! Jeder hätte mir die aus der Hand gerissen und ich hätte endlich mal richtig fett Kohle machen können! Und dann wär’ ich abgehauen, Mar tin, irgendwohin. ’ne tolle Hütte, Auto und Weiber ohne Ende …!«

      »Wer sagt denn, dass die Chance vorbei ist?«, fragte Kiefer und lächelte. Wieder dieses unergründliche Lächeln, seltsam und ein wenig kalt.

      »Wie meinst du das?«

      Kiefer zuckte die Schultern. »Wer weiß.«

      »Komm schon, mach hier nicht einen auf geheimnisvoll! Davon hab ich für heute echt genug, du! Los sag, was hast du eben gemeint?«

      »Na ja«, zögerte Kiefer, obwohl ihm anzusehen war, dass er längst beschlossen hatte, mit Bubi über ein bestimmtes Thema zu sprechen.

      »Stell dir vor Bubi, alles bleibt so, wie es seit heute früh ist.«

      »Komm, lass den Scheiß!« Bubi Faust schien ehrlich entrüstet. »Wenn morgen früh mein Handy nicht geht, dreh ich durch!«

      »Stell es dir einfach mal vor. Nur so. Nur als Hypothese. Was meinst du, wer …«

      Mit einem lauten Knall stellte Sattler sein Glas vor sich auf den Tisch. Er hatte es kurzentschlossen in einem Zug leer getrunken.

      »In ganz Bonndorf«, begann er heftig und hielt Kiefer dabei den Zeigefinger vor das Gesicht, »und bei keinem der sieben Ärzte dort war Insulin zu bekommen! Entweder war alles abgeschlossen oder eine Sprechstundenhilfe hat mich wieder rauskomplimentiert. ›Tut uns leid, aber Frau Doktor ist leider nicht Ihre Hausärztin‹ oder ›Nein, wir können Sie bedauerlicherweise nicht behandeln. Wissen Sie, unser Lesegerät für Ihre Versichertenkarte funktioniert gerade nicht. Kommen Sie doch morgen wieder!‹ Könnt ihr euch das vorstellen? Ich soll morgen wiederkommen! Und was ist, wenn ich morgen im Eimer bin? In der einen Apotheke haben die mir nichts gegeben, weil ich kein Rezept hatte und die andere Apotheke war geplündert.« Ihm schien ein Gedanke zu kommen, denn plötzlich blitzte so etwas wie Hoffnung in seinen Augen auf. »Könnt ihr nicht morgen früh mit mir nach Waldshut fahren? Oder nach Donaueschingen oder Neustadt? Ist egal wohin, Hauptsache in ein Krankenhaus. Die haben doch immer haufenweise Insulin rumliegen. Was meint ihr, wir können auch mein Auto nehmen!«

      »Und warum fährst du nicht selbst?«, wollte Kiefer wissen.

      »Weil meine Augen kaputt sind – vom Zucker.«

      »Und was geht uns das an?«

      Sattler schien mit dieser Frage nicht gerechnet zu haben. Sein Blick wanderte zwischen Kiefer und Bubi hin und her und Überraschung wandelte sich in Fassungslosigkeit. »Immerhin«, stotterte er, »immerhin Bubi, kenne ich dich, da hast du noch fröhlich in die Windeln gemacht und du, Martin, haben wir nicht letztes Jahr noch zusammen …«

      »Schnee von gestern«, unterbrach ihn Kiefer. Dann, in völlig verändertem Ton: »Aber mal angenommen, einer von uns lässt sich zu einer Spazierfahrt breitschlagen, was springt dabei raus für uns? Schließlich scheint dir dein Insulin ja immens wichtig zu sein. Und so ein alter Junggeselle wie du«, Kiefers Lächeln wurde noch eine Spur breiter, »der hat doch sicher einiges auf der hohen Kante, oder? Was meinst du Bubi, hat er oder hat er nicht?«

      Bubi nickte. Er betrachtete den Alten und schien ernsthaft über die Frage nachzudenken, was Sattler die ganze Sache wert sein könnte. Sattler selbst, kinderlos und ohne Verwandte im Dorf, war von Kiefers Antwort sichtlich verblüfft. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, dass jemand, den er kannte, versuchen würde, Kapital aus seiner Lage zu schlagen. Bisher war es immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass man Hilfe erhielt und selbst auch half, wenn es an der Zeit war. Schließlich sieht man sich immer zweimal im Leben.

      »Nun sag schon, Georg, was ist dir der Ausflug wert? Und vergiss nicht, so wie Anne und Bardo erzählen, muss es überall ziemlich chaotisch zugehen.«

      Sattler war immer noch zu überrascht, um spontan auf Kiefers Angebot eingehen zu können.

      »Weißt du was, Georg? Ich muss jetzt los, aber wenn du willst, komm ich morgen früh bei dir vorbei und dann sehen wir weiter. Oder, was meinst du?« Kiefer erhob sich und ließ Geld auf den Tisch klimpern. »Also bis morgen, in Ordnung?«

      Sattler nickte.

      »Und was wolltest du mir vorhin erzählen?«, fragte Bubi und zahlte ebenfalls.

      »Erzähl ich dir morgen. Ich hol dich ab.«

      Beim Verlassen des Gasthauses liefen die beiden Männer Susanne Faust in die Arme.

      »Ist Papa drin?«, fragte sie.

      Bubi schüttelte den Kopf.

      »Hab ihn schon seit heute Nachmittag nicht mehr gesehen.« Susanne wirkte ratlos. Sie hatte gehofft, Frieder in der Wirtschaft zu finden und ihn mit nach Hause nehmen zu können. Eckard Assauer − oder Herr Mittwoch, wie Lea ihn getauft hatte − lag reglos im Gästezimmer und starrte in die Dunkelheit und Lea war erst vor einer halben Stunde endlich eingeschlafen. Das Kind wollte wach bleiben und auf seine Mutter warten. Susanne erklärte ihr, dass Eva sicher noch im Krankenhaus gebraucht werde und vielleicht erst spät in der Nacht heimkommen würde. Vielleicht auch erst am nächsten Tag. Aber Lea ließ sich davon nicht überzeugen. Erst als Susanne sie wie eine Erwachsene behandelte und an ihr Verantwortungsgefühl Herrn Mittwoch gegenüber appellierte, wurde Lea still. Sie überlegte kurz, dann rannte sie in das Gästezimmer und legte sich auf den Boden. Susanne brachte ihr eine Luftmatratze, Decke und ein Kissen.

      »Du musst auf ihn aufpassen. Und wenn er nicht schlafen kann oder Angst hat, singst du ihm einfach ein Lied vor.«

      »Kann ich noch meine Kassetten anhören?«

      »Die sind drüben in deinem Zimmer. Außerdem ist doch kein Strom da.«

      Susanne war danach ins Wohnzimmer gegangen. Sie setzte sich stocksteif auf die vordere Sofakante und wartete. Von oben hörte sie Lea

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