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siebt hatten sie es bis halb neun endlich geschafft, die Tür so weit aufzuhebeln, dass die Eingeschlossene den Tresorraum verlassen und die Leiche herausgezogen werden konnte. Danach überschlugen sich die Ereignisse in der kleinen Filiale.

      Während der Filialleiter das Gesicht der Toten mit seinem Jackett zudeckte, war den Kunden der Inhalt des kleinen Raumes hinter der Stahltür aufgefallen. Im Lichtkegel der Taschenlampe, die der Leiter mit in den Keller gebracht hatte, sahen sie Geldpakete, Hartgeldrollen und einige kleine Goldbarren.

      »Danke für Ihre Hilfe.« Der Filialleiter wollte die Menschen, die unruhig vor der Tresortür standen, nach oben schicken. »Könnte einer von Ihnen bitte zur Polizei gehen?«, hatte er gefragt.

      »Wozu denn? Der ist nicht mehr zu helfen«, hatte ein Mann geantwortet, der nach Alkohol roch und sich gerade eine Zigarette ange zündet hatte. »Ich würde aber gern die dreihundertvierundzwanzig Euro abheben, die noch auf meinem Konto sind.«

      »Tut mir leid, aber solange die Computer nicht funktionieren, kann ich nichts auszahlen. Außerdem«, fügte er mit einem Blick auf die Leiche der Frau hinzu, »weiß ich nicht, ob die Bank heute überhaupt noch öffnet. Wäre doch ziemlich pietätlos.«

      »Pietät hin oder Pietät her«, hatte der mit der Zigarette herumgefuchtelt und war einen Schritt auf den Filialleiter zugegangen, »ich will jetzt mein Geld. Sofort!«

      »Genau, ich will auch alles abheben!«

      »Ich auch!«

      »Und ich!«

      Alle sieben – der Sozialhilfeempfänger, der nach Alkohol roch, ein Ehepaar Ende sechzig mit goldener Kette um den Hals (sie) und Mercedesschlüssel in der Hand (er), ein etwas verschlafen wirkender Teen, eine spindeldürre Ökotante, spätgebärend, mit dem Zwillingskinderwagen vor dem Filialeingang sowie zwei Männer einer Baufirma, die, nachdem ihnen ihr Chef heute frei gegeben hatte, auf dem Weg zurück nach Hause waren und gerade zufällig an der Bank vorbeikamen, als der Filialleiter um Hilfe rief – sie alle waren sich in ihrer Forderung nach sofortiger Auszahlung ihrer Guthaben erstaunlich einig.

      »Bitte, versuchen Sie es doch in unserer Hauptniederlassung. Es sind doch nur ein paar Minuten von hier!« Doch sein Rat fiel auf unfruchtbaren Boden.

      »Also, wenn Sie mir nichts geben wollen, hebe ich meine Kohle halt selbst ab.« Der Mann, der nach Alkohol roch, hatte seine Zigarette ausgetreten und wollte sich durch die schmale Öffnung in den Tresorraum zwängen. Der Filialleiter griff nach dem Stemmeisen, das die beiden Maurer in ihrem Auto gehabt hatten und welches beim Öffnen der Tür wertvolle Hilfe geleistet hatte. Jetzt klemmte es so zwischen Türrahmen und Tür, dass diese etwa dreißig Zentimeter weit offen ge halten wurde. Er zerrte, versuchte das Eisen zu entfernen. Das immense Gewicht aber, mit dem die Tür diesen Keil eingeklemmt hatte, machte sein Unterfangen aussichtslos.

      So war es gekommen, dass der Sozialhilfeempfänger Hermann Fuchs, dreiundfünfzig, der erste Kunde dieses Morgens wurde. Dass er mit dem, was er abhob, sein Konto allerdings um fast zwanzigtausend Euro überzog, war ihm egal. Der Herr mit dem Mercedesschlüssel begnügte sich mit dreitausend Euro. Im Kundenbereich nahm er sich noch ein Blatt Papier und hinterließ dieses als Quittung auf einem der Schreibtische, ausgefüllt mit seinem Namen und Anschrift, dem abgehobenen Betrag und seiner Telefonnummer. Seine gewichtige Unterschrift nahm fast das gesamte untere Drittel des Bogens ein.

      Die Kunde, dass diese Sparkassenfiliale heute besonders großzügig auszahlte, verbreitete sich dank der Hilfe des ersten Kunden zügig unter den Passanten in der Nähe.

      Um 9:45 Uhr war dann die vierköpfige Polizeistreife eingetroffen und hatte dem Treiben ein Ende gesetzt. Aber, wie Meinhoff und Beck im Keller der Bank feststellen mussten, war der Tresor inzwischen leer. Nur einige wenige Papiere lagen noch am Boden. Sarah di Sario und Christian Wegmann, die oben den Haupteingang sichern sollten, schafften es nur mit Mühe und gezogenen Waffen, die gierige Menge auf Distanz zu halten.

      »Ach, die Geldsäcke wollt ihr beschützen, was?«, rief eine junge Frau mit einem Dreijährigen auf ihrem Arm. »Sagt uns lieber, wann der Strom wieder kommt und warum die Flugzeuge abgestürzt sind. Sagt mir, wann ich endlich Geld abheben kann und wann der Lebensmittelladen da vorn wieder öffnet!« Wütend war die Frau, deren Kind inzwischen zu schreien begonnen hatte, auf di Sario zugegangen. Die hielt ihre Waffe in Richtung der Frau.

      »Seht ihr das?«, rief die Frau den Umstehenden zu. »Bedroht eine Mutter mit ihrem Kind! Und du willst Polizistin sein? Pfui, schäm dich!« Sie spuckte Sarah di Sario ins Gesicht.

      Die junge Polizistin, erstmals mit einer wütenden Menschenmenge konfrontiert, hatte daraufhin in die Luft geschossen. Wegmann sprang ihr noch in den Arm, ein weiterer Schuss löste sich und noch einer und die vierte Kugel, die Sarah di Sario abfeuerte, traf einen Zwölfjährigen, der etwas abseits auf seinem Fahrrad saß und neugierig zu sah, mitten in die Stirn. Er merkte nicht, dass er getroffen wurde, er fiel einfach nur mit seinem Fahrrad um.

      Das Scheppern, mit dem der Drahtesel aufschlug, die glasigen Augen des Jungen und die Einschussstelle auf seiner Stirn, die wie ein drittes Auge genau mittig saß, ließen die inzwischen etwa einhundert Menschen erstarren. Es war fast völlig still, nur ein Motorroller knatterte vorbei und von den Dächern der Häuser war das Gurren balzen der Tauben zu hören, sonst nichts.

      Sarah kamen die letzten Sekunden ihres Lebens endlos vor. Sie hatte den Stein langsam auf sich zufliegen sehen. Ein Mann mit Bart hatte ihn vom Gehweg aufgelesen und nach ihr geworfen. Sie sah seine Augen, die Augen eines wütenden Familienvaters, mit einem Zwölfjährigen zu Hause, dessen Fahrrad sie im letzten Winter zusammen repariert und neu lackiert hatten. In seinen Augen flackerte Hass.

      Der Stein, er war oval, wie ihr auffiel, und schwarz und weiß marmoriert, zerschnitt langsam die Luft. Sie hatte das Geräusch genau gehört, das er hinter sich herzog und welches sie an Hubschrauberrotoren erinnerte. Je nachdem, wie der Stein sich drehte, machte er ein lauteres oder tieferes Geräusch. Zeitlupenbilder. Zeitlupengeräusche. Als der Stein sie an der Schläfe traf, schoss ein Reflex ihrer Hand das Magazin der Heckler Koch P7 leer. Vier Schuss befanden sich noch im Magazin, vier Treffer, fast alle in der vordersten Reihe. Dann traf sie eine Faust ins Gesicht, eine weitere in den Magen. Sie schoss weiter, aber die Waffe gab nur noch ein hohles Klicken von sich – die Sprache ihrer Wehrlosigkeit.

      Als Wegmann die wütenden Gesichter der Menge sah, ließ er seine eigene Waffe fallen und hob die Hände. Eine alte Frau mit dünnen Lippen und Augen, die den Anschein erweckten als würden sie jeden Moment aus ihren Höhlen fallen, bückte sich nach der Waffe, zielte auf Wegmann und verlagerte den Inhalt des Magazins aus der Waffe in Christian Wegmanns Unterleib. Schreiend brach der zusammen, beide Hände fest auf die Wunden gepresst. Dann überrannte ihn der Mob und stürzte sich mit bloßen Händen auf die Polizistin, die benommen auf dem Boden saß.

      Von den Schüssen aufgeschreckt, hatten Meinhoff und Beck den Keller verlassen und waren in den Kundenbereich gestürmt. Sie hatten noch gesehen, wie ein Hüne, der den Anschein erweckte, einem übertriebenen Prospekt für Bodybuilder entstiegen zu sein, Sarahs schlaffen Körper über seinen Kopf hob und gegen die Scheibe neben der Eingangstür schleuderte. Die Menge hatte getobt. Meinhoff und Beck blieb kaum mehr Zeit zu reagieren, denn schon hatte man sie entdeckt und die Hetzjagd auf sie eröffnet.

      Joachim Beck wurde vor einem offen stehenden Fenster im hinteren Bereich der Bank gestellt. Er hatte die Hände über dem Kopf erhoben. Zuerst waren sie nur zu dritt und hatten ihn voller Hass abschätzig taxiert. Dann war der Bodybuilder hinzugekommen. Die anderen wichen in Erwartung des Kampfes einen Schritt zurück. Der Bodybuilder musterte Beck von oben herab. Er war fast zwei Köpfe größer und doppelt so breit wie der Polizist.

      Der erste Schlag hatte Becks Nase zertrümmert, kurz und schmerzvoll. Er hatte ihn leicht seitlich getroffen, sodass sein gebrochenes Nasenbein zur Seite nachgab und seinem Gesicht einen völlig neuen Charakter verlieh. Sofort danach kam der zweite Schlag, der sein rechtes Auge mit Sternen übersäte. Becks Augapfel wurde zusammengequetscht, Äderchen platzten und machten jeden weiteren Blick durch dieses Auge für die kommenden Tage, sollte er das hier überstehen, unmöglich. Einer der Umstehenden, ein südländisch aussehender

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