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Gesicht himmelwärts, mit einer Hand abgeschirmt, er beobachtet den Flug der Vögel. Wenn sie über Meer gehen, wird der Sturm abflauen, das ist seine Hoffnung.

      Da beginnen die Männer zu lachen, ich höre ihr Grölen durch die Scheibe, sie zeigen mit den Fingern. Vor Scham verlässt mich mein Trotz, ich bin doch noch schön. Ich senke den Kopf, da sitzen die Kaninchen: Es mögen zehn sein, aufgereiht und farblich sortiert auf meiner Schwelle, die Männer schlagen sich auf die Schenkel.

      Mich haben sie nicht gesehen.

      Mittags wollen wir einen Spaziergang machen. Hovard möchte an den Weststrand, dort ist es geschützt, mit dem Auto eine Viertelstunde. Wir fahren durch die Dörfer, das schönste heißt B., hier lebt Erik.

      An der Hauptstraße Boutiquen und Nobelrestaurants im Winterschlaf.

      Vorgeblich unscheinbar die Nebenstraßen, schmal und bucklig, münden in armierte Auffahrten, ringsherum Videoaugen. Wege geräumt, als hätte es niemals geschneit.

      Ich auf dem Beifahrersitz, meine Hand in Hovards Nacken. Eine der Berührungen, die wir uns gestatten. Sein feines Haar fließt über meine Hand, er wäscht es morgens und abends. An keinem Tag unseres gemeinsamen, ein Vierteljahrhundert andauernden Lebens war Hovard anders als nahezu geruchsfrei. Zudem ist meinerseits ein neurobiologisches Phänomen nicht auszuschließen: ein Schaltkreis von Geruch und Gefühl. Nicht nur, dass mich Männerduft erregt. Umgekehrt löst der Gedanke an das männliche Geschlechtsteil ein eingebildetes Geruchsempfinden aus, eine Geruchs-Fata-Morgana, als entzünde mein Verlangen mein Riechzentrum, als heiße ans Vögeln zu denken, es zu riechen.

      Der Gedanke an Hovards Geschlechtsteil riecht nach nichts.

      Alles andere als geruchsfrei bin ich nach meinen nächtlichen Streifzügen. Sosehr ich mich auch parfümiere, Haut und Haar dampfen, Zigaretten, Wein, Schweiß und Ejakulat.

      Häufigste Konstellation: Vom Vögeln nach Hause gekommen, mitternächtlich oder später, einen Schwanz gelutscht dreißig Minuten zuvor, zwergenhaft, riesenhaft, es entlädt sich der eine wie der andere, nicht selten über mein Gesicht. Notdürftig gewaschen, die Zeit hat gedrängt, mein Liebhaber wird zu Hause erwartet. Keine Ehefrau, die Hovards Geduld besäße.

      Er dann hinter der Tür im Pyjama, er wartet immer, bis ich heimkomme, zwecks Kontrolle oder aus Sorge oder beides. Begrüßt mich, Küsse auf den Mund, da geht ein Reißen durch ihn, ein Moment kürzester Drangsal, eine Entgleisung seiner Züge für den Bruchteil einer Sekunde, und ist vorüber. Er nimmt meine Hand, zieht mich an den Tisch, mich und meinen Geruch, eine Schleppe von Sperma und Schuld hinter mir her. Wir setzen uns über Eck, Hovard lässt nicht los. Auf meiner Hand ein Geflecht blauer Venen, denen fährt Hovards Zeigefinger nach. Endlich: Ob ich einen schönen Abend gehabt habe.

      Ich bejahe, und wahrheitsgemäß: Ein kleiner Spaziergang, und irgendwo eingekehrt.

      Sehe Hovard ins Gesicht, Kiefer, die arbeiten, wie sie nur arbeiten auf der Suche nach einer Formulierung von außerordentlicher Schärfe und Seltenheit und Bedeutung.

      Er sagt: Auch unter dem Gesichtspunkt der Hygiene ist deine Handlungsweise wenig wünschenswert, wenn nicht sogar selbstschädigend, Judith.

      Nimmt meine Hände zwischen seine. Um uns wird der Dunst ranzig. Ich nicke, und wir schweigen.

      Mein Wunsch zu fliehen ist immens, aber Hovards Hand lässt nicht los. Ich weiß nicht, ob ich ihn lieben soll oder hassen. Entscheide ich mich, ihn zu lieben, besteht die Gefahr, mich selbst dafür zu hassen. Manchmal denke ich, nur einer von uns könne existieren.

      Irgendwann löst er seinen Griff. Ich stehe auf und gehe, an der Tür drehe ich mich um und sage: Ich werde jetzt ein Bad nehmen.

      Hovard mit dem Rücken zu mir sagt nichts, Ehemann und Arzt und Gefängniswärter.

      So oder ähnlich jedes Mal.

      Da rechts, ich kenne das Sträßchen. Drehe den Kopf, irgendwo am Ende verlässt eine schwarze Limousine die Einfahrt.

      Wohnt hier der Raucher? Willst du nachsehen?, fragt Hovard, drosselt schon das Tempo.

      Fährt zurück, ohne meine Antwort abzuwarten, und heftig in die Gasse, als der andere Wagen auf die Hauptstraße biegt.

      Ich sage: Achtung!, Hovard setzt auf den Gehweg, hält an, hebt zur Entschuldigung die Hand. Die Fahrerin eine feste Blonde, fest auch das Haar. Man kennt solcherlei Haar, stählern um den Kopf nach Art eines Helmes. Blick geradeaus, kein Winken.

      War das seine Frau?, fragt Hovard.

      Kann sein, sage ich.

      Dann hat er nichts zu lachen, sagt Hovard, rollt zurück auf die Fahrbahn und fragt: Welche Hausnummer?

      Wir zählen rückwärts, das letzte Haus rechts, handgefertigte Ziegel, Sprossenfenster, Strohdach weizengelb, am Garagentor lehnt ein Kinderschlitten.

      Unter fünf Millionen nicht zu haben, nicht auf dieser Insel, sagt Hovard, und: Edelspießer.

      Wendet das Auto.

      Ich setze das Kraulen fort, dort, wo Hovard es am liebsten hat, am Ansatz des Musculus sternocleidomastoideus, des Großen Kopfwenders oder Kopfnickers.

      Auf dem Steilufer beim Leuchtturm, er ist von 1856, weiß mit schwarzer Binde. Sein Feuer ist bei Tag erloschen, es erwacht eine Stunde vor Sonnenuntergang. Der Parkplatz eine asphaltierte Klippe, Schnee und Eis sind geräumt, darüber Türme von Wolken, im Westen reißen sie auf, aus den Fugen stürzt Blau und Gold.

      Hovard bei laufendem Motor in anhaltender Betrachtung. Ich betrachte Hovard.

      Lass uns, sage ich. Wir steigen aus, gehen über die verlassene Fläche in Richtung des tosenden Meeres. Rechter Hand die schwarze Heide, im Sommer ist sie violett. Weiter nördlich wird die Insel breiter, schemenhaft im Dunst der Rücken eines riesenhaften Wales. Von Kopf bis Schwanz einhundertfünfzig Meter, vielleicht auch mehr, quer über die Insel ausgestreckt und regungslos, er muss gestrandet sein. Sein Rücken ist schmutzig gelb. Vielleicht ist es auch die Wanderdüne, man sieht sie mal hier, mal dort. Dahinter nur noch Sandbänke, der Arktische Ozean. Dort kreuzen die anderen Wale, die nächste Küste ist Grönland.

      Wir laufen bis zur Abbruchkante, bleiben an einer Latte stehen. Auf einem Pfosten: Lebensgefahr. Dreißig Meter Tiefe.

      Das Kliff ist rot.

      Eine hölzerne Treppe führt hinab zum Strand, die Stufen bedeckt von gefrorener Gischt.

      Hovard geht voran in der unausrottbaren Überzeugung, mich beschützen zu müssen, tatsächlich rutsche ich aus, rutsche in meinen Ehemann, der hält mir stand.

      Unten hat der Sand eine Kruste, Schaumblasen von Wellenkämmen gerissen, zu Glas erstarrt, jeder Schritt klirrt. Wir halten nach Norden, quer über den Strand auf den Meeressaum zu, unter den Sohlen Messermuscheln, rasierklingenscharf. Dann laufen wir am Wasser, Gummistiefel umspült mit jeder Woge, manche Brecher treten über den Rand, laufen innen den Schenkel hinab. Hovard schreitet stramm, nach wenigen Minuten dampfen meine Füße.

      Vereinzelt Spaziergänger mit Kapuze, ununterscheidbar, Mensch und Hund gegen den Wind geduckt.

      Hovard nimmt meinen Schal, meine Handschuhe, es folgt der Mantel.

      Ich bin gern dein Kofferträger, sagt er.

      Jetzt pass auf, Kofferträger, sage ich, Pullover über den Kopf, in rascher Folge Hemd, BH, Schuhe, Jeans, Höschen.

      Nur mit den Füßen ins Wasser, ruft Hovard, bückt sich, beginnt, meine Kleidungsstücke einzusammeln. Er schüttelt, streicht und faltet, legt sie sich über den Arm.

      Die Erkenntnis kommt gleich der Entladung einer seit langem schwelenden Entzündung, dem Reißen gespannter Haut über der widerwärtigen Beule, dies bei ausbleibender Erleichterung, Heilung nicht absehbar: Hovard hält mich für ein Kind, sein Kind.

      Das Kind ist nackt.

      Bevor Sie denken, ich habe den Verstand verloren: Auf der Insel zieht man sich aus. Vollständig. Wann immer man will. Nur nicht

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