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im Sitzen, den Kopf auf der Umrandung. Und denke an Erik.

      Schön ist er nicht. Aber gepflegt. Gepflegt ist wichtiger als schön. Er wird gut riechen, da bin ich sicher, sein Mund wird mir schmecken.

      Für die Nymphomanin oberstes Gebot: rituelle Reinheit von Hautfalten, Körperöffnungen und -höhlen.

      Vor dem Geschlechtsverkehr die große Waschung, an der fremden Haut allenfalls ein schwacher Männerduft, molekulare Mengen von Pheromonen, unerträglich: Ausscheidungsprodukte. Ein einziges Fäkalatom, und ich fliehe.

      Anders ist es während des Aktes: alle weiteren Körperflüssigkeiten zugelassen.

      Diese Überlegungen stelle ich an, als Hovard ins Badezimmer kommt. Er klopft nicht an, das hält er für sein Hausrecht.

      Bringt in einem bauchigen Glas den Riesling.

      Aus dem Elsass, sagt er.

      Der Wannenrand ein kleiner, gemauerter Absatz, darauf kommt der Wein und auch Hovard. Sieht meine Nacktheit und sieht sie nicht.

      Eigentlich möchte ich verstummen, kreuze die Arme über der Brust.

      Gleichwohl wird aus Gründen des Fortbestands unserer Ehe ein diplomatischer Verkehr, kein sexueller, aufrechterhalten.

      Hovards Stimmlippen belegt, mehrmaliges Räuspern, dann hat er sich warmgeredet, grundsätzlich mangelt es ihm tagsüber an Gesprächspartnern. Er erzählt von seinem Tag, welche Fliesen er ausgebessert, bei welchem Trödler er Ersatz gefunden hat für den verrosteten Türbeschlag, wie es aussieht auf unserem Konto und mit der Altersversorgung.

      Mit dem kalkulierenden Hovard vor Augen kommt mir Erik abhanden, zerfließt zwischen meinen Schenkeln.

      Hovard reicht mir das Glas. Um es zu nehmen, muss ich die rechte Brust entblößen respektive denjenigen Abschnitt des Brustkorbs, dem sie anhaften sollte.

      Ob sich der Tittenmangel Hovard erschließt, vermag ich nicht zu beantworten. Gewöhnt man sich an Leerstellen? Ich glaube nicht. Schönheitsfehler bleiben Stachel im Fleisch, sogar Liebende sind von der Natur mit Urteilsvermögen beschenkt.

      In einem Zug leere ich den Riesling.

      Hovards Mängel sind offenkundig, sie quälen mich wie Ungeziefer, der turmhohe Schädel (hinter eckiger Stirn ein hochfunktionelles Frontalhirn), das spärliche Haar angeordnet nach Art eines Kränzchens, der schmutzig-graubraune Ton, an der Kuppe Restflaum derselben Farbe. Nase und Ohren lang, Augen hellblau, von wässriger Leuchtkraft, sie wären der einzige Reiz, hinge nicht das Unterlid, legte es nicht ein Geflecht hellroter Gefäße bloß.

      Sie wissen, wovon ich spreche, was uns befällt im Angesicht von Hässlichkeit, impulsartiges Zurückweichen, vergleichbar der Abscheu vor einem wilden Tier, niederschwelliger zwar, aber dauerhaft nagend.

      Seit einigen Jahren ist sein Bindegewebe schwach, auch die Muskulatur, das Glied nie anders als schwach gewesen. Die Natur verschwendet sich an Geist oder Körper, niemals an beide.

      Er hat seine Rede beendet, das Badewasser ist kalt.

      Die Standuhr in meinem Schlafzimmer schlägt elf.

      Hovard erhebt sich: Mach die Kerzen aus, bitte.

      Beugt sich hinab und sagt: Falls du noch wach bleibst, sieh nach dem Eisberg.

      Küsst mich auf die Lippen, nimmt das Glas und ist fort.

      Eigentlich ein guter Mann, auch wenn er mich nicht fickt. Er lässt mich mit anderen ficken.

      23.33 Uhr. Ich habe die Kerzen ausgeblasen, stehe nackt am Fenster. Brüste, Schenkel halbgefroren, in meinem Rücken der Kamin, Hintern und Waden glühen.

      Ich halte den rechten Arm gestreckt, wenn ich Daumen und Zeigefinger spreize, entspricht die Spanne der Höhe des Eisberges. Helles Türkis, jetzt, da es aufklart.

      In einer halben Stunde wird die Flut den Scheitelpunkt erreichen.

      Ich warte, Brustwarzen steif, die Wanduhr schlägt zwölf, noch einmal strecke ich den Arm aus. Um die Breite einer Fingerkuppe ragt der Eisberg über die Spitze meines Zeigefingers hinaus.

      Samstagmorgen

      Graugelb. Zuerst trifft im Großhirn das Licht ein, Sekundenbruchteile später der Ton. Irgendein Nachbar schaufelt Schnee.

      Erster bewusster Gedanke: Erik. Ich habe von ihm geträumt, noch kurz vor dem Aufwachen. Träume generiert das Stammhirn, ebenso wie Triebe. Dieser Trieb ist haltlos. Bei aller Unvollkommenheit des Liebesobjektes: Der Erik aus meinem Stammhirn verspricht Seligkeit, allein durch Visualisierung seines Geschlechtsteils.

      Im Anfangsstadium der Begierde reicht das an Vollkommenheit: die Vorstellung des erigierten Organs. Körpereigene Endorphinproduzenten lösen Glückseligkeit aus wie einen Rausch.

      Aber der Blutspiegel will gehalten werden, und die Unruhe kehrt zurück. Sie weicht einer Getriebenheit, der die Visualisierung des Gliedes nicht mehr genügt. Nur eine Inbesitznahme vermag sie zu befrieden.

      Unter der wünschenswerten Voraussetzung, dass der Liebeswunsch vom Objekt erkannt und geteilt wird, folgen Maßnahmen, die dem Zweck des Beisammenseins dienen, normalerweise ein Abendessen in einer Fischbude respektive beim Sternekoch, Mittelmaß ist auf der Insel nicht anzutreffen, am selben Abend Küsse, gelegentliches Herzeigen der Möse und Schwanzstreicheln. Im Normalfall von nun an eine Umkehr ausgeschlossen.

      Neben dem Glück stellt der hormonelle Niederschlag etwas Zweites, ebenso Mächtiges zur Verfügung: die Verblendung. Sie überzieht das Liebesobjekt mit Wohlwollen und stattet es mit wirklichkeitsfremder Anziehungskraft aus.

      Sie nehmen an, dass die darauf folgende geschlechtliche Vereinigung eine Katharsis darstellen müsse.

      Nicht für jeden. Nicht für mich.

      Ich antworte Ihnen: Was ist mehr als Geschlechtsverkehr? Vielfacher Geschlechtsverkehr.

      Mein Körper hat drei Löcher, die ich mit einer größtmöglichen Zahl an Schwänzen stopfe, nach Möglichkeit kein zweites Mal mit demselben.

      Am wenigsten mit Hovards. Mit jedem anderen, nur nicht mit seinem.

      Erik dürfte mein fünfhundertster Liebhaber werden. Einzig das zukünftige Glück zählt.

      Hovards Diagnose: Ich löse nichtsexuelle Konflikte durch Sexualität.

      Tosend meine Seligkeitsgedanken, tosend die dürren Zweige der Pappeln vor meinem Fenster, da verdrängt ein anderes Geräusch mein Erik-Glück: draußen Männerschritte in wilder Folge. Ich lausche ihren Füßen, acht oder zehn, sie haben schwer zu tragen.

      Im weißen Hemd barfuß über den Flur in die Stube. Es zieht, im Kamin liegt kalte Asche. Sonst facht Hovard am Morgen das Feuer an, überhaupt vermelden meine Sinne: Er ist nicht da (das Phänomen der spürbaren Abwesenheit des Gatten im Moment des Betretens der gemeinsamen Wohnung oder des Hauses ist allen Verheirateten bekannt, als käme auch das Unbelebte zur Ruhe, in meinem Fall gefolgt von Erleichterung).

      Die Männer stehen im Garten. Sie haben eine Kette gebildet, werfen sich mit baumstarken Armen Sandsäcke zu, der letzte stapelt sie auf, errichtet gegen die Flut eine Mauer an der Ostseite des Grundstücks. Dort steht auch Hovard, zu schwach als Mann und Kettenglied, die Stiefel knöcheltief im Wasser. Er dirigiert, wenngleich sein Orchester ihn nicht beachtet. Die Kameraden tragen Blau, neongrün auf ihren Rücken: Seenot. Vor lauter Gischt ist der Himmel eins mit dem Meer.

      Ich wollte, der Augenblick dauerte an, so schön sind die arbeitenden Mannsbilder.

      Ich hebe den Arm, spreize Daumen und Zeigefinger: Der Eisberg, obschon im Schaum kaum auszumachen, überragt die Spanne um eine halbe Daumenlänge.

      Ich habe versäumt, das Hemd zuzuknöpfen, stehe mit gestrecktem Arm und halbnackt am Fenster.

      Bald befinden sich Sonne, Mond und Erde in Opposition. Das ist die Springflut.

      Die Männer haben fertig

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