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      „Ja“, sagte er. „Donegal behält also doch recht mit seiner Vorhersage. Und auch der Rest wird wohl zutreffen.“

      „Wir kriegen Sturm!“ rief Siri-Tong vom Achterdeck her.

      „Ben, Ed!“ schrie der Seewolf. „Laßt vorsorglich die Manntaue spannen und haltet die Sturmsegel bereit!“

      „Aye, aye, Sir!“

      Hasard wandte sich zum Ruderhaus um und sagte im zunehmenden Heulen des Windes: „Pete, abfallen! Ruder etwas Steuerbord!“

      „Abfallen, Sir“, wiederholte Pete Ballie. Das Rad drehte sich unter seinen schwieligen Händen. „Ruder liegt etwas Steuerbord.“

      „Abfallen“, gab Ben Brighton, der auf dem Backbordniedergang zur Kuhl stand, den Befehl weiter. Die Crew bestätigte ihn.

      „Sir!“ schrie hoch über den Köpfen der Männer und der Roten Korsarin plötzlich Bill, der Moses. Er hatte sich auf seinem Posten, dem Großmars, kerzengerade aufgerichtet und wies mit der ausgestreckten Hand Steuerbord voraus. „Ich sehe Licht! Steuerbord voraus!“

      Hasard und alle anderen auf den Decks fuhren herum und blickten in die von Bill angegebene Richtung. Hasard sah noch das Zucken des Feuerblitzes in der Ferne, dann hörte er trotz des Jaulens und Summens des Windes das tiefe Grollen, das über die gefurchte See heranrollte.

      „Kanonendonner“, sagte er.

      „Nur ein einziger Schuß, Sir!“ rief Bill. „Es scheint kein weiterer abgegeben zu werden. Aber ich habe ein paar schwächere Blitze gesehen.“

      „Schwächere Blitze?“ brüllte Carberry zum Großmars hinauf. „Was zum Teufel meinst du Kakerlak damit? Drück dich gefälligst deutlicher aus, oder du kriegst es mit mir zu tun.“

      Hasard war an die Querbalustrade des Quarterdecks getreten und blickte zu den Männern, die er wie schemenhafte Wesen auf der Kuhl hin und her eilen sah. Carberry stand wie ein allgewaltiger Felsen in ihrer Mitte.

      „Ed!“ rief er ihm zu. „Ich schätze, es könnte sich um Musketenfeuer gehandelt haben.“

      „Aber ich hab’s nicht krachen hören, Sir!“

      „Der Wind heult zu laut, und die See rauscht zu stark, Ed. Wir haben nur den Kanonenböller vernehmen können.“

      „Jawohl, Sir. Wir haben da also ein fremdes Schiff vor der Nase?“

      „Wahrscheinlich“, erwiderte der Seewolf.

      Dan O’Flynn rief: „Was denn wohl sonst, Profos? Eine Reiterschwadron mit Kanonen vielleicht – oder eine fliegende Festung?“

      „Mister O’Flynn!“ brüllte Carberry, daß es von den Querwänden der Schiffskastelle widerhallte. „Es könnte immerhin angehen, daß es eine Inselfestung ist, von der aus in die Gegend geballert wird, oder? Dein schwacher Geist braucht eine zünftige Behandlung, du Stint!“

      „Ruhe!“ schrie der Seewolf. „Pete, weiter abfallen. Ruder Steuerbord!“

      „Ruder liegt Steuerbord, Sir!“

      „Abfallen, ihr Rübenschweine!“ tönte Carberrys Stimme über die Kuhl. „Habt ihr nicht gehört? He, ihr triefäugigen Seegurken, muß ich euch erst wachrütteln, was, wie?“

      „Gott bewahre uns davor“, sagte der Kutscher, der soeben die Kombüse verlassen hatte, um sich an den Manövern zu beteiligen.

      Philip und Hasard, die Zwillinge, waren jetzt auch an Oberdeck und lachten hinter der vorgehaltenen Hand. Carberry gewahrte sie, brüllte sie an und scheuchte sie quer über die Kuhl, damit sie beim Spannen der Manntaue mithalfen, und ihr Lachen war jetzt wie weggewischt.

      Sir John, der karmesinrote Aracanga, schrie von irgendwoher seine wüsten Flüche, und zwar auf englisch und auf spanisch. Arwenack, der Schimpanse, hatte den Großmars, wo er Bill Gesellschaft geleistet hatte, verlassen und turnte kekkernd in der Takelage herum.

      Es herrschte Aufregung an Bord.

      „Den Feuerblitz ansteuern, Pete!“ rief der Seewolf.

      „Aye, Sir. Ich hab’s mir gemerkt, wo die Stelle war!“ rief Pete Ballie aus dem Ruderhaus zurück.

      Höher türmten sich die Wellen auf, dichter ballten sich die schwarzen Wolken am Nachthimmel zusammen. Gischt sprühte am Bug und an den Bordwänden der „Isabella“ hoch und näßte die Decksplanken und die Gestalten der Männer und der schwarzhaarigen Frau.

      Siri-Tong war dicht neben Hasard getreten und fragte: „Sollten wir nicht lieber die Sturmsegel setzen?“

      „Noch nicht“, erwiderte er. „Ich will so viel Fahrt wie möglich laufen und den Punkt erreichen, an dem geschossen wurde.“

      Die „Isabella“ segelte immer noch mit Backbordhalsen und über Steuerbordbug liegend, aber die Gefahr, daß die Segel zu killen begannen, war gebannt, denn der Wind blies jetzt zwar steif bis stürmisch aus Südost, doch der neue Kurs lag Richtung Südwesten an.

      „Was meinst du?“ fragte die Rote Korsarin vorsichtig. „Ob das wohl die ‚Saint Vincent‘ gewesen sein könnte?“

      Hasard wandte den Kopf und blickte sie an. „Zu solch einer Hoffnung mag ich mich nicht versteigen. Ich kann nach wie vor nur alles dem Zufall überlassen. Was immer der Anlaß für die Schüsse war, was immer wir dort im Südwesten vorfinden – ich kann erst urteilen und handeln, wenn ich weiß, mit wem ich es dort zu tun habe.“

      Sie richteten beide ihren Blick voraus und warteten darauf, wieder einen Feuerblitz in der Nacht zu sehen.

      Aber es fielen keine Schüsse mehr.

      Die „Isabella“ kämpfte sich mit gut sieben Knoten Fahrtgeschwindigkeit durch die stark kabbelige See und schien es selbst eilig zu haben, den Dingen auf den Grund zu gehen.

      Grand Duc hatte es nie bedauert, daß die „Saint Vincent“ keine Heckgalerie hatte wie viele andere Segelschiffe ihrer Zeit, aber jetzt, als er triefendnaß mit dem Entermesser zwischen den Zähnen an dem riesigen Steuerruder hochkletterte, verfluchte er diese Tatsache. Eine Heckgalerie hätte sein Unternehmen wesentlich erleichtert. Er hätte sich über die Reling schwingen und in die Kapitänskammer eindringen können, um von dort aus quer durch die Hütte bis auf die Kuhl zu gelangen. So aber mußte er ganz bis zum hoch aufragenden Heck hinaufklettern.

      Gewiß, er hätte eins der Bleiglasfenster der Kapitänskammer zertrümmern können, aber dieses Geräusch hätten die Insulaner zweifellos vernommen. Sie wären daraufhin sofort mit ihren Beutewaffen herbeigeeilt und hätten vom Achterdeck aus ein Zielschießen auf ihn, Grand Duc, und auf Picou und die beiden anderen Kerle veranstaltet.

      Grand Duc arbeitete sich folglich vom Hennegat aus an den hölzernen Verzierungen des Schiffshecks hoch, um das Achterdeck zu erreichen. Er glitt zweimal mit den Händen ab und unterdrückte einen fürchterlichen Fluch, aber dann hatte er es endlich doch geschafft und konnte an der großen eisernen Hecklaterne vorbei über die Handleiste der Reling auf den hinteren Teil des Achterdecks entern.

      Hier verharrte er geduckt.

      Er hatte erwartet, daß die Polynesier wieder auf ihn und seine Kumpane schießen würden. Waren sie denn wirklich so einfältig, zu glauben, daß alle vier Piraten aus der Jolle ertrunken oder vom kenternden Boot erschlagen worden waren?

      Nein. Unmöglich. Sie konnten nicht so dumm sein. Vielmehr hatten sie sich jetzt wohl gesagt, daß es klüger sei, sich still zu verhalten und den Feinden auf dem Deck der Galeone aufzulauern.

      Eine Falle also.

      Grand Duc wandte sich zu Picou um, der in diesem Augenblick über die Heckreling kroch. Er gab ihm ein Zeichen, sich vorsichtig zu verhalten.

      Picou begriff und verständigte seinerseits die beiden anderen Piraten.

      Kurz darauf bewegte sich das Quartett auf allen vieren über die Planken des Achterdecks. Grand Duc befand sich an

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