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anders.

      Daß das auf einen ganz natürlichen Lichtbrechungseffekt in der Tropfsteinhöhle zurückzuführen war, konnte Old O’Flynn nicht wissen. Er hatte noch nie eine Tropf- oder Kalksteinhöhle gesehen und schon gar nicht betreten. Und weil er eine ausgeprägte Phantasie hatte, wurde das alles nur noch schlimmer, pittoresker und bizarrer.

      Eine neue Scheinwelt mit Ausgeburten der Hölle tat sich vor seinen entsetzten Augen auf.

      Der Alte fühlte sich wieder in seine Kindheit zurückversetzt und lauschte den Schauermärchen, die am Kamin um Mitternacht erzählt wurden. Da war nur von Geistern, Toten, Hexen, Teufeln, Dämonen und Unholden die Rede. Und das alles hatte er immer gierig in sich hineingefressen und sein Leben lang bewahrt.

      Jetzt kehrten die abnormen Gestalten zurück und offenbarten sich ihm, als seien sie aus Fleisch und Blut.

      Sobald Old O’Flynns zitternde Hände die provisorische Fackel auch nur um eine Kleinigkeit bewegten, kehrte neues Leben in die Gnomen, Trolle und Zwerge.

      Da war an einem steinernen Brunnen der Triefgurker mit der fürchterlich langen Nase, der auf einem großen Rentier hockte und ihn grimmig und feindlich anstarrte.

      Aber auch andere Geschöpfe gab es da. Um einen hünenhaften bärtigen Gesellen mit großen Tränen in den Augen hatten sich Elfen und Gnomen, Kobolde und Uldras versammelt, die ihm wie gebannt zu lauschen schienen.

      Der grausame Hexenmeister stand jetzt ganz im Hintergrund und schien sich an seiner Angst zu ergötzen. Die Hexe sah er nicht. Offenbar hielt sie sich zwischen buntschimmernden riesigen Orgelpfeifen versteckt. Stimmen flüsterten und raunten. Hämisches Kichern war zu hören, und merkwürdig glucksende Laute erklangen. Von etlichen der Orgelpfeifen rannen Blutstropfen herab, die auf den schimmernden Boden fielen. Von unten wuchsen wieder andere Orgelpfeifen nach oben, und manche hingen einfach so von einer sehr hohen und unsichtbaren Decke nieder, als würden sie gleich abstürzen.

      Old O’Flynn war immer noch steckensteif vor Angst. Sein Genick schmerzte, die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, und er spürte eine jämmerliche Angst von den Zehenspitzen bis in den Kopf.

      Er war hier eingedrungen, und jetzt erhielt er die Quittung, denn diese Zauberwelt durfte kein menschliches Auge sehen. Deshalb lag sie auch so unendlich tief unter der Erde, jedem menschlichen Blick entzogen.

      Aber er war hier nicht eingedrungen, er war nur versehentlich hineingeraten, durch einen Unfall sozusagen, und daraus konnte man ihm schließlich keinen Vorwurf machen.

      Er war völlig schuldlos, und er hätte alles darum gegeben, von hier so schnell wie möglich wieder verschwinden zu können.

      Doch offenbar gab es keinen Weg aus der Finsternis zurück.

      Wie gebannt starrte er auf die vielen Gesichter, die ihn aus allen Ecken belauerten. Dämonische Augen funkelten ihn an, verkrüppelte Hände waren erhoben, als wollten sie nach seinem Hals greifen, um ihn umzubringen.

      Er hatte jedoch noch die Nerven, schnell einen neuen Span zu entzünden, bevor der andere verglühte. Das geschah aber mehr instinktiv, denn die Finsternis ängstigte ihn noch mehr. Bei Licht konnte er die Gestalten wenigstens sehen, in der Dunkelheit jedoch nicht, und dann konnte es passieren, daß sie sich ihm lautlos näherten.

      Stumm und starr vor Schreck starrte er weiter um sich. In dieser Zauberwelt gab es immer neue Überraschungen zu entdecken, dabei hatte er bisher nur einen winzigen Bruchteil gesehen.

      Wem mag das hier alles gehören? fragte er sich bibbernd. Jenem rotbetuchten Hexenmeister, der alten Hexe selbst oder jenem Greis, dessen Bart durch den steinernen Tisch gewachsen ist?

      Er warf einen furchtsamen Blick in die Höhe. Von dort ragten riesige buntschillernde Zapfen nach unten, von denen es in bestimmten Abständen langsam tropfte. Mal waren die Tropfen rot, dann wieder grün oder von gelblicher Farbe.

      Etliche Zapfen waren dünn wie Finger, andere schenkelstark, und einige hatten den Umfang von ausgewachsenen Bäumen. Manche wuchsen aufeinander zu und berührten sich. Das gab dann jeweils ganz besonders bizarre Gebilde. An ihren unteren Wülsten befanden sich gigantische Aufwerfungen, die wie erstarrtes Wasser aussahen.

      Überhaupt schien hier alles seit Tausenden von Jahren erstarrt zu sein. War es nicht möglich, daß diese unheimliche Gesellschaft schon seit Ewigkeiten schlief und nur darauf wartete, endlich erlöst zu werden?

      Solche und ähnliche Fragen stellte er sich immer wieder, aber er fand keine Antwort darauf.

      Bewegte er sich nur ein wenig mit seiner Behelfsfackel, dann bewegten sich auch die unheimlichen Gnomen, Trolle, die Männchen mit den Schafsköpfen oder die Uldras. Also belauerten sie ihn doch und gaben nur vor, erstarrt zu sein.

      Hin und wieder war die Stille entsetzlich und fast mit den Händen greifbar. Aber dann platschte es irgendwo leise, und sofort wurde das Geräusch in alle Richtungen verstärkt. Old O’Flynn zuckte dann jedesmal heftig zusammen.

      Ein neuer Span war fällig, den er mit flatternden Händen entzündete.

      Diesmal hielt er seine schwach brennende Fackel so, daß er auch erkennen konnte, was sich hinter ihm befand. Vorsichtig drehte er sich um und hielt das Licht hoch.

      Da stand eine riesige Orgel, so gewaltig, daß sie nur von einem Riesen bedient werden konnte. Die Pfeifen waren gewaltige Stämme, die in eine riesige Kathedrale eingebettet waren, deren Decke er immer noch nicht erkennen konnte. Sie mußte so hoch wie der Himmel sein.

      Mitten in der Orgel gab es ein riesiges dunkles Loch, Dahinter begann eine Galerie, und da sah Old O’Flynn ebenfalls hünenhafte Männer mit endlos lang wuchernden Bärten, die unbeweglich in Reih und Glied standen.

      Es hätte ihn nicht mehr gewundert, wenn die Orgel jetzt plötzlich gespielt hätte. Er glaubte schon, die ersten zarten Töne zu hören, die dann immer mehr anschwollen.

      Er riskierte noch einen Blick und war nahe am Überschnappen.

      Ja, das hier mußte das Reich der Toten und Verwunschenen sein. Hier lebten die „Ünnererdschen“, die Hexenmeister und Geister, die nur nachts an die Oberfläche stiegen, um die Leute zu erschrecken.

      Er sah einen Mann an der Orgel sitzen, und dieser Anblick warf ihn fast um.

      Das war kein Mann. Das war ein Herkules, ein Gigant, gegen den selbst der Profos nur wie ein Säugling wirkte. Dieser Riese hatte seine gewaltigen Arme auf eine Tastatur gelegt, die aus bärtigen und tangähnlichen Fäden bestand. Die Register dieser Orgel waren knorzige Stämme von undefinierbarer Farbe.

      Aber das Gesicht des Giganten war es, was Old O’Flynn vor Schreck fast die Stiefel auszog.

      Das begann schon bei den Haaren, die wie steinerne Wogen sein Gesicht überfluteten. Die Augenbrauen waren schenkelstark und von grünlich wäßriger Farbe, und das Maul Gebilde wie ein Rüssel, und das Maul des Riesen war so weit geöffnet, daß Old O’Flynn bequem mit der Jolle hätte hineinsegeln können.

      Die Augen erinnerten ihn lebhaft an Mühlräder, die ihn furchtbar mörderisch ansahen. Der Riese sah aus, als würde er jeden Augenblick aufspringen, um ihm an die Gurgel zu gehen.

      Old O’Flynns Hand mit der Fackel zitterte stark. Das hatte zur Folge, daß sich der Lichtschein bewegte und alles verzerrte.

      Offenbar irritierte das auch den orgelspielenden Riesen, denn jetzt stützte er voller Wut die Arme auf die Knie und erhob sich.

      Da war Old Donegal mit seinen Nerven am Ende. Denn jetzt erhob sich auch der schweigende Chor der Bärtigen und reckte sich. Auch das waren Riesen, die immer größer und gewaltiger wurden. Was sie wollten, war dem Alten absolut klar: Umbringen wollten sie ihn – oder ihn zwischen die Männchen mit den Kalbsköpfen und langen Giftzähnen werfen, damit die ihn verspeisen konnten.

      „Hilfe!“ brüllte er, so laut er nur konnte. „Hilfe – helft mir doch! Die bringen mich um!“

      In seiner Panik und dicht davor, endgültig überzuschnappen, sprang er auf und vergaß ganz, daß sein Holzbein

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