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Richtungen. Sobald sich die Geräusche vervielfältigten oder zu laut wurden, hörte er auf und wartete, bis das geheimnisvolle Raunen und Flüstern beendet war.

      Dann tastete er nach dem Messer im Versteck des Holzbeines. Ferris Tucker baute ihm in jedes neue Holzbein immer gleich eine Hohlkammer ein, in die ein scharfes Messer hineinpaßte.

      Diesmal grinste er diabolisch, als er das Messer in der Faust hielt. Wenn sich jetzt ein kleiner Beelzebub anschlich, dann würde er ihn mit dem Ding erst einmal gehörig kitzeln.

      Wieder lauschte er nach allen Seiten. Irgendwo, sehr weit entfernt, murmelte etwas. Hörte sich nach einem Bächlein an oder einem Rinnsal, das da floß. Himmel, wo mochte er sich nur befinden?

      Er hockte jetzt auf dem Achtersteven und säbelte hingebungsvoll ein paar Späne von dem nutzlos gewordenen Holzbein ab. Die legte er ebenso vorsichtig vor sich auf den Boden, packte das Holzbein daneben und fummelte in seinen Taschen nach den Utensilien, um ein kleines Feuer zu entzünden oder sich zumindest eine kleine Behelfsfackel herzustellen, daß er mit deren Licht seine unheimliche Umgebung erkunden konnte.

      Das alles ging sehr umständlich in einer unbequemen Lage vor sich. Aber Old O’Flynn hatte Zeit und Ausdauer. Außerdem war es ihm gar nicht so sehr eilig. Wenn erst einmal die Späne brannten, wurde er vor Angst vielleicht ohnmächtig, denn er hatte nicht die geringste Vorstellung, wie es in seiner unmittelbaren Umgebung aussah.

      Als er alles beisammenhatte, schlug er ein paar Funken. Im kurzen Lichtblitz der kleinen Funken sah er es überall aufblitzen, und das stachelte ihn nicht gerade zu sonderlicher Eile an. Da blitzte es in allen möglichen und unmöglichen Farben, und er fühlte sich immer unbehaglicher.

      Teufel auch, das hier mußte eine ganz eigentümliche Umgebung sein, etwas, das er sicher noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Oder war das vielleicht eine Schatzhöhle, angefüllt mit Gold und Edelsteinen, die im schwachen Licht so funkelten?

      Nach ein paar weiteren Versuchen begann der Zunderschwamm zu glimmen. Bevor er ihn anblies, sah er sich noch einmal nach allen Seiten um. Vielleicht stand da jemand unmittelbar neben ihm, denn er hatte ständig das Gefühl, als streife ihn ein eisiger Hauch.

      Mit einer Gänsehaut auf dem Rücken blies er in den Zunder, bis der kräftig zu glimmen begann. An der Glut entzündete er dann den langen dünnen Span, den er von seinem Holzbein abgesäbelt hatte.

      Er hob die provisorische Fackel hoch, blies noch ein bißchen kräftiger und sah, daß sie jetzt brannte. Dann hielt er sie hoch über seinen Kopf und sah sich um. In der anderen Hand hielt er das scharfe Messer, und so stand er einbeinig da.

       6.

      Dann traf ihn fast der Schlag, als das Licht seine Umgebung schwach erhellte. Der Anblick war so furchtbar, daß Old O’Flynn stolperte, auf einem Bein herumhüpfte und sich prompt auf den Boden setzte. Dort blieb er mit verzerrtem Gesicht und weit aufgerissenen Augen hocken.

      Wenn er daran dachte, was er im Laufe seines langen Lebens schon alles gehört und gesehen hatte, dann war das hier die übelste und schlimmste Schreckenskammer der ganzen Welt.

      Ein heiseres Krächzen drang über seine Lippen. Sein Blut rieselte wie Pulver durch seine Adern, und auf der Stirn stand ihm der Schweiß in dicken großen Perlen.

      Nein, das gibt es nicht, dachte er schaudernd. Das durfte einfach nicht wahr sein.

      Jetzt ging seine Phantasie erst richtig mit ihm durch, und er sah Dinge, die es gar nicht gab und nur in seinem Schädel existierten und dort Gestalt annahmen.

      Er befand sich im bizarren und total perspektivisch verzerrten Vorgarten eines Hexenmeisters. Da gab es riesige Drachenzähne, furchterregende Kalbsköpfe mit wulstigen Lippen, glühenden Augen und aufgerissenen Mäulern, die ihn höhnisch angrinsten. Männchen mit riesigen Quellköpfen und bis zum Boden wuchernden roten Bärten standen schweigend da und grinsten höhnisch. Da drüben stand eine alte Hexe mit einer riesigen Kiepe auf dem Rücken. Sie hatte sich gerade umgedreht und starrte ihn hämisch kichernd an.

      Der Alte war wie vom Donner gerührt. Er erstarrte buchstäblich zur Säule und konnte sich vor Angst und Schrecken nicht bewegen. Er verdrehte nur die Augen, bis er schielte.

      Das hier war die bizarre Wunderweit aus frühen Kindertagen, die er nur vom Hörensagen kannte. Hier gab es alles das, was sie ihm in seiner Kindheit schon erzählt hatten und Jung O’Flynn damals gierig wie ein Schwamm in sich aufgesogen hatte. Da hatte es ihn ganz schön gegruselt, und jetzt war er selbst in eines dieser bizarren Geisterreiche eingedrungen.

      Dort schliefen eingetrocknete Mumien auf einer langen Bank, mit verdorrten langen Händen, die wie Wurzeln aussahen. Eine von ihnen schlief jedoch nicht, denn sie blinzelte aus grünlichen Augen ständig zu ihm herüber.

      Aber da gab es auch eine Gruppe furchterregender Kerle mit langen steinernen Bärten. Und an einem runden Tisch hockte ein alter Mummelgreis, dessen feuerfarbener Bart mitten durch die Platte gewachsen war.

      Old O’Flynn hielt sich bei diesem Anblick nur noch mühsam aufrecht. Er wollte schreien, ächzen, stöhnen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, als hätten sich die verdorrten Finger der Mumien um seinen Hals gewickelt.

      Er hockte nur da, schnatterte, bibberte und wackelte wie ein Pudding. Alles schlotterte an ihm. Aber immer noch brachte er keinen einzigen Ton heraus.

      Da drüben, an einer endlos hohen Wand, stand der Hexenmeister vor seinen Drachenzähnen. Ein giftiges Maul schien nach ihm zu schnappen. Der Kerl stand da in einer feuerroten Robe mit einem grünen Schal und kohlschwarzen Augen. Und einen weißen, bis zum Boden wallenden Bart hatte er, in dem ein Spalt klaffte. Zwei Hauer wie bei einem wilden Keiler schauten heraus. Der Kerl grinste gemein und abfällig, und sein großes Maul mit den Hauern öffnete sich langsam.

      Old O’Flynn glaubte jetzt ganz deutlich Stimmen zu hören, leise wispernde Stimmen, aber auch keifende oder murmelnde.

      „Was tust du in meinem Zaubergarten?“ fragte der Hexenmeister mit drohender Stimme.

      „Ich – ich will ja gar nichts“, jammerte Old O’Flynn, dem ein eisiger Schauer nach dem anderen über den Rücken lief.

      Die Hexe an der anderen Seite kicherte boshaft.

      „Er will die Drachenzähne stehlen!“ keifte sie.

      „Will ich nicht“, sagte Old O’Flynn, aber das bildete er sich nur ein, denn in Wirklichkeit sagte er nichts. Er wollte es zwar sagen, doch die Stimme versagte ihm den Dienst.

      Als er noch einmal hinsah, war der Hexenmeister spurlos verschwunden. An seiner Stelle saß da ein fettes Männchen mit einem riesigen Kalbskopf und langen, spitzen Giftzähnen.

      Old O’Flynn geriet von einem Extrem in das andere. Total verstört und erledigt hockte er da und hielt den brennenden Span über sich.

      Die Umgebung veränderte sich immer wieder auf furchteinflößende Art und Weise. Auch das wundersame Spiel der Farben wechselte ebenso wie die schaurigen Gestalten.

      Längst am Ende seiner Nerven, sah Old O’Flynn die eigentümlichen und bizarren Figuren langsam verblassen. Alle schienen sich lautlos auf ihn zuzubewegen, bis sie ihn von allen Seiten eingekreist hatten. Alles wurde jetzt grau und fast gegenstandslos.

      Mit einem Schlag verschwand der Geisterreigen aus Mumien, Hexen und Giftzwergen.

      Erst jetzt bemerkte Old O’Flynn, daß seine provisorische Fackel erloschen war. Er hatte schon geglaubt, er müsse jetzt sterben und würde in den bizarren Figuren aufgehen und mit ihnen verschmelzen.

      Von namenlosem Grauen geschüttelt, entzündete er mit zitternden und flatternden Händen den nächsten Span. Seine Zähne schlugen bretthart aufeinander, seine Hände flatterten so, daß er kaum in der Lage war, den nächsten Span zu entzünden.

      Als der Schein zögernd aufflackerte und gespenstische Schatten warf, veränderte sich auch das Schreckenslabyrinth in beängstigender Weise.

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