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      Er hatte die Worte beinahe drohend ausgestoßen, und die Mienen der beiden Wachsoldaten spiegelten echtes Erschrecken. Zweifellos malten sie sich in ihren Gedanken aus, welche schlimmen Konsequenzen es geben konnte, wenn sie die so überaus wichtige Besprechung der Proviantmeister und des Gouverneurs vereitelten.

      „Selbstverständlich dürfen, Sie passieren, Señores“, sagte der Sargento schnell.

      Don Antonio und der Proviantmeister nickten gnädig und bewegten sich auf die Pforte im Schanzkleid zu.

      Coloma enterte als erster ab. Zwar hatte er wegen seines Körperumfangs beträchtliche Schwierigkeiten, das Beiboot sicher zu erreichen, doch war er häufiger als Don Antonio gezwungen, die gewöhnlichen Arten der Fortbewegung zu praktizieren. So gelang es ihm vergleichsweise zügig, auf der mittleren Ducht des Bootes Platz zu nehmen. Für den Gouverneur wurde es indessen ein lebensgefährlich aussehendes Unternehmen, auf der schwankenden Jakobsleiter abzuentern.

      Coloma zog unwillkürlich den Kopf ein, als er aufblickte und den Koloß hoch über sich schweben sah. Der Gedanke, von diesen Zentnerlasten womöglich erschlagen zu werden, war alles andere als erheiternd.

      Ausgerechnet in diesem Moment stieß der Dicke auch noch einen quiekenden Laut aus.

      Alonzo Coloma erschrak. Er war versucht, in aller Eile die Leine zu lösen und das Boot von der Bordwand abzustoßen. Aber er begriff, daß er dies im Ernstfall sowieso nicht mehr schaffen konnte. Wenn der Gouverneur fiel, dann fiel er – und zwar so schnell, daß jeder Rettungsversuch aussichtslos war.

      Wieder dieses Quieken hoch oben auf der Jakobsleiter.

      Coloma schloß entnervt die Augen. Seine Hände umkrampften das Dollbord. Ein Planungsfehler, natürlich. Man hätte den Koloß in einem Bootsmannsstuhl abfieren müssen, um alle Schwierigkeiten zu vermeiden. Aber das wiederum hätte zuviel Aufsehen erregt.

      Andererseits war der Señor Gouverneur imstande, mit seinem Gejammer die ganze Schiffsbesatzung zu alarmieren.

      Alonzo Coloma wußte keinen Rat mehr. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er verspürte etwas, was ihm sonst völlig fremd war: Nervosität.

      „Coloma, um Himmels willen!“ rief der Gouverneur wimmernd. „So helfen Sie mir doch, Sie Narr! Ich hänge fest! Ich finde die nächste Sprosse nicht! Ich stürze ab!“ Es folgte ein abermaliges Quieken, schriller noch als zuvor.

      Colomas Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt. Voller Bestürzung mußte er erkennen, daß der linke Fuß des Gouverneurs tatsächlich suchend in der Luft kreiste. Und der Radius, den sein Leibesumfang erlaubte, reichte nicht aus, um die vorstehende Sprosse zu erreichen.

      Das Quieken und das Wimmern nahmen zu.

      Zu allem Überfluß wurden auch noch die Wachen aufmerksam. Ihre neugierigen Gesichter erschienen über dem Schanzkleid.

      „Können wir helfen?“ rief der Sargento.

      Coloma überlegte nicht lange. Allein konnte er es unmöglich schaffen, den Fettsack sicher ins Boot zu bringen.

      „Das wäre sehr freundlich“, erwiderte der Proviantmeister. „Werfen Sie ein Seil herab, wenn es recht ist.“

      „Sofort.“ Der Sargento erteilte seinem Untergebenen einen Befehl.

      Coloma richtete sich im Boot auf und begann, die Jakobsleiter zu erklimmen.

      „Halten Sie aus, Señor Gouverneur!“ rief er. „Nicht loslassen, um Himmels willen nicht loslassen. Ich bin sofort bei Ihnen. Dann kann nichts mehr passieren.“

      Don Antonios Stimme klang wie ein Greinen.

      „So beeilen Sie sich doch, Coloma! Schnell, schnell!“

      „Sie schaffen es“, versicherte der Proviantmeister, der auf der Jakobsleiter selbst erhebliche Mühe hatte. Doch es war die Furcht vor dem Mißlingen der Aktion, die ihn beflügelte. Wenn der fette Gouverneur ins Wasser fiel, dann fiel buchstäblich alles ins Wasser. Dann konnte man nur noch dem Untergang ins Auge sehen. Denn auch Alonzo Coloma war überzeugt davon, daß Cuberas Restverband dem Verderben geweiht war.

      Ein Tampen klatschte gegen die Bordwand, als Coloma den hilflosen Gouverneur fast erreicht hatte.

      „Zufassen!“ rief der Sargento. Er fierte das Seil weiter ab und hielt es dann gemeinsam mit dem anderen Soldaten.

      Coloma schaffte es, sich den Tampen zu schnappen. Doch der schwierigste Teil der Arbeit begann erst. Im ersten Moment erschien es fast unmöglich, den wimmernden und zitternden Koloß zu sichern, geschweige denn, überhaupt an ihn heranzukommen. Erneut mußte der Proviantmeister erkennen, daß ihm in der eigenen Beweglichkeit ebenfalls Grenzen gesetzt waren.

      Kurzerhand schlang er dem Gouverneur das Seil in Form einer Acht zweimal um die dicken Oberschenkel. Das Ende schob er hoch, so weit es ging.

      „Nehmen Sie schon!“ rief Coloma. Der Schweiß rann ihm bereits in Strömen über das Gesicht. „Und dann halten Sie den Tampen mit dem Seil zusammen gut fest. Um die Jakobsleiter brauchen Sie sich nicht mehr zu kümmern. Unsere hilfreichen Wachsoldaten werden Sie sicher abseilen.“

      Don Antonio wimmerte von neuem los.

      „Aber ich kann doch nicht – das geht doch nicht …“

      „Sie haben keine andere Chance“, entgegnete der Proviantmeister keuchend. Langsam hatte er die Nase voll von dieser Schinderei. Das angebliche Organisationstalent des Gouverneurs war ein Witz. Er hätte selbst daran denken müssen, wie beschwerlich es für ihn war, in ein Beiboot abzuentern. „Oder wollen Sie lieber wieder an Bord?“

      Der Gedanke behagte Don Antonio noch viel weniger, und er gewann neue Kraft. Ächzend und prustend gelang es ihm schließlich, das Seil festzuhalten. Coloma hatte sich eilends wieder ins Boot begeben. Frei pendelnd sackte der Gouverneur langsam abwärts. Die Soldaten bemühten sich, das Abseilen möglichst ruckfrei zu gestalten.

      Coloma gab ihnen ein Zeichen, als der Dicke knapp über dem Boot schwebte. Rasch drehte der Proviantmeister ihn in der Luft, und auf ein erneutes Zeichen ließen die Soldaten ihn präzise auf die Achterducht sinken.

      Augenblicklich stieg der Bug des Bootes in die Höhe.

      Coloma befreite den Gouverneur von den Seilwindungen und bedankte sich mit einem Winken bei den Wachen, die das Seil sofort wieder einholten.

      Der Proviantmeister löste die Leine, stieß das Boot ab und wuchtete die Riemen in die Dollen. Unverzüglich begann er zu pullen.

      Don Antonio betastete seine Oberschenkel und stöhnte leise.

      „Dieses verfluchte Seil hat mir tief ins Fleisch geschnitten“, klagte er. „Hoffentlich gibt es an Bord der Schaluppe einen brauchbaren Feldscher.“

      Coloma schüttelte verständnislos den Kopf und grinste. Im Dunkeln konnte es der Gouverneur sowieso nicht sehen.

      „Sicherlich sind Sie schwer verletzt, Señor Gouverneur. Aber ist es nicht besser, als dem sicheren Untergang ins Auge sehen zu müssen?“

      Don Antonio überhörte den Spott in der Stimme seines Verbündeten.

      „Wie wahr, wie wahr“, sagte er seufzend. „Was nimmt man nicht alles auf sich, um den Ungerechtigkeiten dieses Lebens zu entgehen.“

      „Und wir sind auf dem besten Weg, es zu schaffen“, erwiderte Coloma mit leisem Lachen. „Sehen Sie sich einmal um, Señor Gouverneur. Die Wachen kümmern sich nicht mehr um uns, und auf allen Schiffen herrscht selige Nachtruhe.“

      Don Antonio folgte der Aufforderung und nickte zufrieden. Er kicherte, als er sich wieder nach vorn wandte. Es klang wie ein Glucksen, und es ließ die Fettmassen seines Oberkörpers wogen.

      „Wer schläft, der sündigt nicht, mein lieber Coloma. Das gilt zur Zeit in besonderem Maße für unseren verehrten Capitán Cubera.“

      „Man soll den Tag aber auch nicht vor dem Abend loben“, entgegnete Coloma.

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