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diesen Tagen als beständig, den Wind aus nordöstlichen Richtungen konnte, man fast schon als festen Faktor einkalkulieren. Aber jetzt begann auch die Zeit der Wirbelstürme.

      Außerhalb des Felsendoms legte Martin Correa die „Empress“ auf Kurs Südost. Über Steuerbordbug segelnd, gewann der schlanke Dreimaster sehr rasch an Fahrt.

      Nach etwa zwei Seemeilen beschloß Old O’Flynn im Einvernehmen mit Jean Ribault, Don Juan und seinem Sohn Dan, nach Norden hin aufzukreuzen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie ohnehin genügend Zeit, und es war wichtig, bei Tageslicht nicht in die Sichtweite der Spanier auf Grand Turk zu gelangen.

      Dan O’Flynn ließ es sich wiederum nicht nehmen, Ausguck zu gehen. Vom Vorschiff aus behielt er die Kimm nach allen Richtungen im Auge. Doch während der gesamten Dauer der Kreuzschläge zeigte sich nirgendwo auch nur das Tüpfelchen einer Mastspitze.

      Als sie sich etwa fünf Seemeilen nordwestlich von Grand Turk befanden, gab Old Donegal erneut Order zum Kurswechsel, diesmal nach Osten. Eine halbe Stunde später war es an der Zeit, die Segel zu bergen und den Treibanker auszubringen. Zwar sank die Sonne im Westen bereits der Kimm entgegen, doch bis zum Beginn der Dämmerung würde noch eine Stunde vergehen.

      Gemeinsam mit dem alten O’Flynn lehnten Jean Ribault und Don Juan an der Heckverschanzung. Matt Davies, Nils Larsen und Sven Nyberg waren auf dem Hauptdeck damit beschäftigt, Taue aufzuschießen und Nagelbänke zu klarieren. Die Zwillinge unterstützten Martin Correa dabei, in der kleinen Kombüse einen schmackhaften Happen für das Abendessen zuzubereiten. Plymmie hatte sich zu Dan O’Flynn auf das Vorschiff gesellt.

      Dan war froh, den Ausguck übernommen zu haben, denn als er die krächzende Stimme seines Vaters vernahm, wußte er bereits, in welche Richtung das Gespräch gehen würde.

      Übernatürliches stand mal wieder auf der Tagesordnung.

      „Ehrlich gesagt“, begann Old Donegal gedehnt, „mir hat Arauas Verhalten sehr zu denken gegeben.“

      „Das junge Mädchen?“ fragte Don Juan interessiert.

      Zu spät warf ihm Jean Ribault einen warnenden Blick zu. Aber Don Juan verstand ohnehin nicht, denn schließlich konnte er nicht wissen, daß man bei dem alten O’Flynn nur ein Fünkchen von Interesse zu zeigen brauchte, um gleich darauf in ein stundenlanges Gespräch über die Rätselhaftigkeiten dieser Welt verstrickt zu werden.

      „Die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana“, sagte Old Donegal eifrig. „Und die Tochter des Seewolfs.“

      Der Spanier zog überrascht die Augenbrauen hoch.

      „Ja, allerdings“, bekräftigte der alte O’Flynn. „Im Grunde ist das kein großes Geheimnis. Aber das Wesentliche sind die übersinnlichen Kräfte von Mutter und Tochter.“

      „Ja, zwischen Himmel und Erde gibt es eben unerklärliche Dinge, von denen wir armseligen Menschenkreaturen nicht die geringste Ahnung haben.“ Jean Ribault sagte es mit einer theatralischen Gebärde und einem langgezogenen Seufzer.

      Old Donegal fauchte ihn an.

      „Spotte nur. Damit beweist du nichts anderes als deine Einfältigkeit. Ein Mensch sollte begreifen, daß sein Grips nicht ausreicht, um gewisse Sachen zu erfassen.“

      Jean Ribault verdrehte die Augen.

      „Im Grunde teile ich diese Ansicht“, sagte Don Juan nachdenklich. „Wenn ich mir vorstelle, wie unendlich vieles auf dieser Welt noch nicht erforscht ist …“

      „O Himmel!“ rief Ribault mit einem Stöhnen. „Jetzt gibst du ihm auch noch Wasser auf die Mühle.“ Entnervt wandte er sich ab, lehnte sich über das Schanzkleid und starrte außenbords.

      Old Donegal grinste den Spanier an. Mit dem Daumen deutete er auf den Franzosen.

      „Einer von denen, die immer denken, sie müßten mir die Galle überlaufen lassen. Diese Burschen wissen nämlich genau, daß ich fuchsteufelswild werden kann, wenn sie mich einen alten Spinner nennen.“

      „Das würde ich mir nicht im Traum einfallen lassen“, sagte Don Juan und ahnte nicht, was er damit heraufbeschwor.

      „Wirklich nicht?“

      „Nein, warum? Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie das Mädchen in Trance geriet. Das war keine Schauspielerei, das war absolut echt.“

      „Sag ich ja.“ Die Augen Old Donegals begannen zu leuchten. „Paß mal auf, Don Juan …“ Er senkte die Stimme zu verschwörerischem Ton. „Was die kleine Araua da von sich gegeben hat, ist die Wahrheit. Sie hat nämlich eine Botschaft erhalten. Ebensogut hätte die Botschaft auch an Arkana gerichtet sein können. Aber Hasard hat sich eben Araua als Empfängerin ausgesucht.“

      Don Juan blinzelte verblüfft.

      „Eine Botschaft? Ich hätte eher angenommen, daß es überaus starke Gedankenströme waren. Dabei bleibt nur die Frage offen, was die Ursache war. Es könnte zum Beispiel sein, daß Araua mit übermenschlicher Willenskraft von dem Wunsch beseelt war, Hasard möge noch am Leben sein. Daraus hat sich dann ihr Trancezustand entwickelt, auf den sie selbst keinen Einfluß hatte.“

      „Nein, ausgeschlossen“, widersprach der alte O’Flynn energisch. „Hasard hat eine Gedankenbotschaft abgeschickt. So was funktioniert, das kannst du mir glauben. Ich habe da mal eine Geschichte miterlebt, die sich auf den Hebriden abgespielt hat. Also, das war so – da gab es eine Fischersfrau, die hatte ihren Mann auf See verloren. Und ihr einziger Sohn ließ sich beim besten Willen nicht davon abbringen, ebenfalls Fischer zu werden. Ständig hat die arme Frau auf den Jungen eingewirkt, er möge doch um Himmels willen an Land bleiben und bei einem Bauern arbeiten. Aber der Junge wollte nicht hören, obwohl die Mutter ihn regelrecht anflehte. Sie hatte nämlich das zweite Gesicht, weißt du? Hat ihm auf den Kopf zugesagt, daß er auch auf See bleiben würde – wie sein Vater. Aber der Junge hat sie natürlich nur ausgelacht. Und dann …“

      Langatmig schilderte Old Donegal seine angeblich selbst miterlebte Geschichte von den Hebriden. Natürlich hatte die arme Fischersfrau schließlich einen Hilferuf als gedankliche Botschaft von ihrem Sohn erhalten, als dieser sich in höchster Seenot befand.

      Nachbarn hatten die Frau am nächsten Morgen tot aufgefunden. Danach hatte sich dann herausgestellt, daß sie haargenau zum selben Zeitpunkt gestorben war, in dem ihr Sohn weit entfernt auf See den nassen Tod gefunden hatte. Und kein Arzt hatte ihre Todesursache feststellen können.

      Don Juan begriff jetzt, warum Jean Ribault ihm den warnenden Blick zugeworfen hatte. Und er schwor sich in diesem Moment, den alten O’Flynn auf das Thema Übersinnliches nie wieder anzusprechen.

      „Der beklagenswerten Frau brach das Herz“, schloß Old Donegal endlich seine Litanei, „und zwar bewirkte das die Botschaft, die ihr Sohn geschickt hatte – dieser verzweifelte Hilferuf.“

      Jean Ribault hatte sich umgedreht. Mit gespielter Fröhlichkeit schlug er die Handflächen gegeneinander.

      „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Eins hast du vergessen, Großvater: Als sich das tragische Unglück ereignete, warst du zufällig gerade als Fischer auf den Hebriden tätig.“

      „Nenn mich nicht Großvater“, entgegnete der alte O’Flynn bissig. „Du kannst so was überhaupt nicht beurteilen. Erstens war ich wirklich auf den Hebriden, und zweitens geht es dich einen feuchten Käse an, was ich da zu tun hatte.“

      Jean Ribault verkniff sich eine Antwort und grinste nur.

      „Wir sollten jedenfalls hoffen“, sagte Don Juan diplomatisch, „daß Hasard trotz allem noch am Leben ist. Und jetzt meine ich, wir könnten langsam Kurs auf die Nebeninsel von Grand Turk nehmen.“ Er zwinkerte dem Franzosen zu und deutete nach Westen.

      Dort versank die Sonne hinter der Kimm, und innerhalb von Minuten trübte sich das Licht über der weiten Wasserfläche ein.

      „Muß wohl sein“, sagte Old O’Flynn knurrend, „sonst gibt’s bloß noch Streit. Diese Spottdrossel von einem Franzmann hat auch

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