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merkwürdig wenig Schwarzpulver und Kugeln verbraucht hatte. Ein unmißverständliches Zeichen also, daß sich dieser Mann gewiß nicht ins dickste Kampfgetümmel gestürzt hatte.

      Es war Don Antonio gelungen, de Pinzón unbemerkt beiseite zu nehmen und ein paar vertrauensvolle Worte mit ihm zu wechseln. Auf Anhieb hatte sich gezeigt, daß der Instinkt richtig gewesen war. Vicente de Pinzón war sofort Feuer und Flamme gewesen.

      Die Andeutung des Gouverneurs, man müsse sich von diesem Wahnsinnsunternehmen absetzen, bevor es zu spät sei, hatte ihn wahrhaftig begeistert. Dann war die Begeisterung des Schaluppenführers kaum noch zu zügeln gewesen, als er ein Säckchen mit Goldtalern aus den Wurstfingern des Gouverneurs empfangen hatte.

      De Pinzón, soviel stand fest, war ab sofort ein durch und durch zuverlässiger Gefolgsmann.

      Letzteres hatte sich auch dadurch gefestigt, daß Don Antonio es an weiteren goldenen Versprechungen nicht hatte mangeln lassen. Großherzig hatte er zugesagt, daß der Sub-Teniente nach Havanna versetzt und dort sofort zum Teniente befördert werden würde – nach geglückter Mission, versteht sich. Weiteren Beförderungen in zügiger Folge solle dann ebenfalls nichts mehr im Wege stehen.

      Solche Glockenklänge hörte Vicente de Pinzón überaus gern.

      Denn bisher hatte er mit seiner Schaluppe eintönigen Küstenwachdienst vor Remedios versehen – eine Aufgabe, bei der auch die Aufstiegsmöglichkeiten gleich Null waren.

      Was die Zuverlässigkeit der Schaluppen-Crew betraf, hatte de Pinzón Don Antonio sofort zu beruhigen verstanden. Seine Männer waren samt und sonders aus ähnlichem Holz geschnitzt wie er. Wenn es schon sein mußte, ließ sich das Kämpfen nicht immer vermeiden, aber sterben – nein, sterben mußte man deshalb wirklich nicht gleich.

      „Wie der Herr, so’s Gescherr“, hatte Don Antonio grinsend bemerkt. Und Vicente de Pinzón hatte zurückgegrinst. Ja, seine Männer hätten die Schnauze gestrichen voll nach allem, was sie mit diesem verteufelt harten Gegner bislang erlebt hatten.

      Gegen Mitternacht rappelte sich Don Antonio aus seiner Koje hoch. Es war an der Zeit, aktiv zu werden – wie vereinbart. An Bord war es mittlerweile endgültig still geworden. Wenn alle Vorbereitungen reibungslos abgelaufen waren, dann konnte beim besten Willen nichts mehr schiefgehen.

      Zu diesen Vorbereitungen gehörte eine weitere Person, die Don Antonio auf seine Seite gezogen hatte:

      Alonzo Coloma, seines Zeichens Proviantmeister des Flaggschiffs „San José“. Ein vollgefressener, bestechlicher Bursche, dem der eigene Wanst mehr wert war als alles andere.

      Dies hatte Don Antonio unumwunden festgestellt, ohne dabei einen Vergleich mit seiner eigenen Person zu ziehen. Was ein Mann niederen Standes an Fressalien in sich hineinstopfte, war eben nicht gleichzusetzen mit den erlesenen lukullischen Genüssen, denen ein Gouverneur zu frönen vermochte. Folglich konnte man auch das Ergebnis an Leibesfülle bei zwei so völlig unterschiedlichen Menschen nicht auf eine Ebene stellen.

      Coloma hatte indessen Vorzüge, die für Don Antonio von unschätzbarem Wert waren. Zum einen handelte es sich dabei um den hellwachen Verstand des Proviantmeisters. Ein Verstand, der stets dann blitzschnell und präzise funktionierte, wenn aus einer Sache Vorteile in klingender Münze herauszuschlagen waren.

      Zum anderen hatte Coloma dank dieses Verstandes aber auch begriffen, daß es an der Zeit war, auf seine Pfründe zu verzichten. Lebensmittel und Wein, an Bord unterschlagen und an Land verschachert, waren nichts im Vergleich zu dem kostbaren eigenen Leben, das man womöglich auf dem Altar des Vaterlandes opfern sollte.

      Don Antonio öffnete das Schott seiner Kammer, ohne dabei auch nur das leiseste Geräusch hervorzurufen. Langsam, um keine unbedachte Bewegung zu verursachen, beugte er sich vor und horchte angespannt.

      Kein Laut war im Achterschiff zu hören.

      Don Antonio grinste. Capitán Cubera und seine Offiziere waren eben pflichtbewußte Männer. Sie gehörten zur Sorte der Frühaufsteher, und da geziemte es sich, rechtzeitig in die Koje zu kriechen. Sollten sie. Auf diese Weise richteten sie wenigstens zu später Stunde keinen Schaden an.

      Vorsichtig schob Don Antonio seine Leibesfülle aus der Kammer in den finsteren Gang. Matte Helligkeit fiel lediglich von links herein. Aufatmend stellte er fest, daß das Schott zur Kuhl offenstand. Die Helligkeit rührte von der Laterne her. Letztere war allerdings noch nicht zu sehen.

      Mit größter Sorgfalt setzte Don Antonio einen Fuß vor den anderen. Schlafende sollte man nicht stören. Ein Leitsatz, der besonders in dieser Situation galt. Aus einem völlig unangebrachten Drang heraus reizte ihn dieser Gedanke, zu kichern. Er konnte es sich gerade noch verkneifen.

      Nach einigen Schritten verharrte er und lauschte abermals.

      Von Deck waren jetzt gedämpfte Stimmen zu hören.

      Don Antonio atmete auf und setzte seinen lautlosen Weg fort. Es konnte sich nur um Coloma handeln, der zur vereinbarten Zeit zur Stelle war und ordnungsgemäß die Vorbereitungen getroffen hatte.

      Der Proviantmeister hatte nach heimlicher Absprache mit dem Gouverneur vom Bootsmann der „San José“ ein Beiboot requiriert. Als Grund hatte er angeführt, man müsse die Proviantmeister der beiden anderen Schiffe aufsuchen. Es gelte, mit ihnen das Problem der Verproviantierung zu lösen. Denn wahrscheinlich sei man gezwungen, die Rationen zu kürzen. Das Gespräch der Proviantmeister sei aber nicht vor Mitternacht möglich, da erst dann eine endgültige Auswertung der Bestandslisten abgeschlossen sein könne.

      Natürlich war dies ein lebenswichtiger Grund, dem Proviantmeister der „San José“ das Beiboot auch wirklich zur Verfügung zu stellen. Coloma war überdies so freundlich gewesen, auf Rudergasten zu verzichten und wollte selbst zu den anderen Schiffen pullen, sobald er mit der Zusammenstellung seiner Listen fertig war.

      Don Antonio näherte sich dem offenen Schott zur Kuhl, und im nächsten Moment vollführte sein Herz einen Freudenhüpfer.

      Am Steuerbordschanzkleid stand Alonzo Coloma vor den beiden Wachsoldaten und redete auf sie ein. Folglich war der Plan geglückt. Der Bootsmann hatte keinen Argwohn gehegt und das Beiboot tatsächlich zur Verfügung gestellt.

      Don Antonio beschleunigte seine Schritte und gab sich nun weniger Mühe mit einer leisen Fortbewegungsart.

      Bereits nach wenigen Sekunden wurden die Wachen auf das Geräusch seines Watschelgangs aufmerksam und wandten sich um.

      Don Antonio beachtete sie nicht. Er ging schnurstracks zum Schanzkleid und spähte abwärts. Dort unten über dem Wasser war es fast völlig dunkel. Doch mit ein bißchen Anstrengung konnte er die Umrisse des Beiboots erkennen, das längsseits an der Jakobsleiter lag.

      Der Gouverneur stieß sich vom Schanzkleid ab und watschelte auf den Proviantmeister zu. Die Wachsoldaten, die ihm mißtrauisch entgegenblickten, beachtete er nicht.

      „Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Ranghöhere der beiden Soldaten, ein Sargento. „Haben Sie Erlaubnis, sich unbewacht an Deck zu bewegen, Señor Gouverneur?“

      Don Antonio musterte ihn mit der Miene einer verblüfften Katze, die mit einer furchtlosen Maus konfrontiert wird. Dann wandte er sich an den Proviantmeister.

      „Erklären Sie es ihm, Coloma. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit unnötigem Geschwätz aufzuhalten.“

      Coloma deutete eine Verbeugung an.

      „Selbstverständlich, Señor Gouverneur“, sagte er unterwürfig. Dann, als er sich wieder der Wache zuwandte, wurde sein Ton schroff und herrisch. „Der Capitán hat mir alle Vollmachten erteilt, das wißt ihr, verdammt noch mal. Das Proviantproblem muß vordringlich gelöst werden, alles andere ist vergleichweise unwichtig. Klar?“

      „Allerdings“, erwiderte der Sargento gepreßt.

      „Na also. Und ich brauche den Señor Gouverneur bei der Besprechung mit den anderen Proviantmeistern. Don Antonio hat ein hohes Amt inne, wie ihr wohl wißt. Deshalb verfügt er über einen reichen Erfahrungsschatz. Außerdem habe ich sein

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