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denken? Schließlich sagtest du ja, du hättest Sir Freemont bei seinen Krankenbesuchen begleitet.“

      Der Kutscher verschwand wie ein Geist und kehrte nach knapp zwei Minuten mit einem Arm voller Leinentüchern zurück.

      „Na also“, sagte Hasard.

      Er beugte sich über Gary Andrews und fuhr mit den Fingerspitzen leicht über die Wundränder. Dann schaute er zu dem Kutscher hoch.

      „Wo hätte Sir Freemont den Schnitt geführt?“

      Der Kutscher kniete sich neben Hasard hin und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf zwei Stellen, die links und rechts neben der eigentlichen Schnittwunde lagen.

      „Da und da.“

      Hasard nickte. „Halte zwei Leinentücher bereit. Gleich fließt der Eiter.“

      Er führte zwei blitzschnelle Schnitte – einmal links, einmal rechts. Eiter spritzte hoch, und der Kutscher fing ihn mit den Leinentüchern auf. Jetzt war sein Gesicht sehr ernst und gesammelt. Er schob Hasard etwas zur Seite und drückte die Leinen auf die Schnittwunden.

      „Salzwasser“, sagte er.

      Hasard grinste Pete Ballie an und langte nach dem Kessel. Das Messer legte er zur Seite.

      Der Kutscher nahm die Leinen von den Schnittstellen, beäugte sie, drückte wieder, nahm die Leinen weg und sagte: „Bitte, jetzt orgendlich Salzwasser auf die beiden Stellen.“

      Hasard goß heißes Salzwasser darüber.

      „Mehr!“ befahr der Kutscher.

      Hasard blinzelte Pete Ballie zu, und der blinzelte zurück. Heißes Salzwasser war genug im Kessel. Und jetzt diktierte der Kutscher die weitere Behandlung.

      „Ordentlich durchspülen“, sagte er.

      Hasard setzte die ganze Wunde unter Salzwasser.

      „Sehr gut“, sagte der Kutscher und tupfte mit den Leinen die Wunde ab. Er wartete, drückte wieder auf die Schnittstellen, tupfte, drückte.

      „Wasser!“ befahl er.

      Hasard schüttete das ganze Wasser aus dem Kessel. Noch einmal säuberte der Kutscher die Wunde, dann legte er Gary Andrews einen neuen Verband an. Das tat er sehr geschickt.

      Als er zu Hasard hochblickte, wurde sein angestrengtes Gesicht wieder ängstlich.

      „Soll ich jetzt ‚Sir Freemont‘ zu dir sagen?“ fragte Hasard lächelnd.

      Der ängstliche Mann senkte den Kopf. „Ich war doch nur sein Kutscher.“

      „Ich schätze, du warst mehr für ihn“, sagte Hasard leise. „Sei so wie er. Die Verletzten und Kranken haben Vorrang vor allem. Dem hat sich auch ein Kapitän zu beugen – das betrifft diese Sache von vorhin.“

      „Danke, Sir“, sagte der Kutscher.

      Prompt reagierte Hasard. „Wenn du ’ne Suppe versalzest, ziehe ich dir die Haut vom Hintern.“

      „Aye, aye, Sir“, sagte der Kutscher, und sein Gesicht war gar nicht mehr ängstlich.

      6.

      Stetig segelten die beiden Galeonen – die spanische und die „englische“ – nordostwärts. Wie Schwäne, ruhig und majestätisch, glitten sie über die weite See, die rings um sie herum bis an die sichtbare Grenze der Kimm leer war.

      Der Wind, immer noch gleichmäßig aus Südsüdwest heranwehend, strich durch die Takelage, die summend antwortete. Das Wasser gurgelte an den Bordwänden entlang, spreizte sich an den Hecks zum Fächer aus, der breiter und breiter wurde, als Spur eine Zeitlang wie ein Keil über dem Wasser lag und plötzlich wie weggewischt war. Nie würde eine solche Spur erhalten bleiben. Die See löschte sie aus.

      „Tümmler – ho!“ rief Donegal Daniel O’Flynn vom Hauptmars nach unten. Sein Arm wies nach Backbord.

      Drei, vier, sechs schlanke Leiber zogen auf gleichem Kurs mit, etwa dreihundert Yards querab. Wie ein Spiel sah es aus. Schwarbraune Körper schossen mit elegantem Schwung aus dem Wasser, segelten durch die Luft, klatschten zurück, tauchten wieder auf. Eine Weile begleiteten sie die beiden Schiffe, bogen dann plötzlich wie auf Kommando um neunzig Grad ab und blieben verschwunden.

      Hasard hatte drei Stunden wie ein Toter geschlafen, war aber völlig erfrischt, als Ferris Tucker ihn wecken ließ. Sein erster Gang war zum Vordeck. Gary Andrews war wach und grinste ihn matt an.

      „Na, mein Junge? Wie fühlst du dich?“ fragte Hasard.

      „Mächtig stark“, erwiderte Gary Andrews, „außerdem könnt ich jetzt ’n ganzen Hammelbraten verdrücken.“

      „Das ist gut. Hammel gibt’s aber nicht. Der Kutscher wird dir eine kräftige Suppe kochen.“

      „Mir auch?“ fragte Pete Ballie.

      „Dir auch. Bei dir alles klar?“

      „Bestens“, sagte Pete Ballie. „Morgen stehe ich wieder am Ruder.“

      „Mal sehen. Eigentlich sollten wir euch nach draußen auf die Kuhl packen. Ihr braucht frische Luft. Die Sonne scheint, und direkt am Schanzkleid seid ihr gut geschützt.“

      Die beiden nickten.

      Hasard ließ die beiden samt Hängemattenmatratzen auf die Steuerbordseite ans Schanzkleid bringen. Der Kutscher erhielt seine Anweisungen für die Krankenkost, dann übernahm Hasard mit Ben Brighton die Wache und paukte spanische Vokabeln.

      Die Sonne stand jetzt genau im Süden. Die See glich einem riesigen, silbern funkelnden Teppich. Es war ein Tag zum Helden zeugen, wie Ben Brighton sagte.

      Bis auf die Wachgänger lagen die Männer faul an Deck und schliefen oder sonnten sich – drüben auf der „Barcelona“ war es nicht anders. Der eiserne Carberry, Profos auf der „Marygold“, hätte wahrscheinlich Zustände gekriegt, daß britische Seeleute dem lieben Gott die Zeit klauten. Hasard war anderer Ansicht. Die Männer würden spätestens ab dieser Nacht mit jeder Minute Schlaf geizen müssen. Vorausgesetzt, alle waren gesund, dann blieben für die Bemannung der beiden Galeonen – wenn sie die „Barcelona“ kaperten – ganze acht Leute.

      Hasard krauste die Stirn, als er daran dachte. Mutete er den Männern zuviel zu? Und was würde Kapitän Francis Drake sagen, wenn er erfuhr, daß Philip Hasard Killigrew auf eigene Faust Kaperkrieg führte? Drakes Auftrag lautete, die „Santa Barbara“ nach Plymouth zu bringen. Hatte er ihm absichtlich keine Anweisungen gegeben, was er tun sollte, wenn ein spanisches Schiff seinen Kurs kreuzte? Wenn es sich so verhielt, dann mußte der Kapitän davon ausgegangen sein, daß Hasard das tun würde, was er für richtig hielt. Also hatte er die Freiheit der eigenen Entscheidung.

      Aber auch wenn ihm der Kapitän die strikte Order gegeben hätte, vor jedem Spanier den Schwanz einzuziehen und die Flucht zu ergreifen – Hasard hätte sich darüber hinweggesetzt. Entscheidend war schließlich der Erfolg. Versagte er aber, dann konnte der Kapitän seinen Kopf fordern.

      Hasard hatte keineswegs vor, zu versagen. Dennoch war er sich darüber im klaren, daß das, was er plante, tollkühn, wenn nicht sogar leichtsinnig war.

      Aus zusammengekniffenen Augen musterte er die „Barcelona“. Sie war größer als die „Santa Barbara“ und besser bestückt. Ihre Segel waren hervorragend getrimmt, was darauf hinwies, daß dieser Capitan Descola ein ausgezeichneter Seemann sein mußte. Natürlich war die „Barcelona“ schneller als sein Schiff, das noch dazu mit verkleinerter Fock und einem klapprigen Notmast segelte. Drüben auf der „Barcelona“ hatten sie die Blinde weggenommen, und am Hauptmast führten sie nur das Großsegel. Mit der Blinden und dem Großmarssegel würde die „Barcelona“ auf und davon gehen und der „Santa Barbara“ nur noch das Heck zeigen.

      Was mochte die schwarze Galeone geladen haben? Hatte sie wie die „Santa Barbara“ Afrika umrundet oder kam sie von Westen aus der Neuen Welt?

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